Hamburg. Die Initiative „Perlen polieren“ setzt sich für die günstigen, historisch wertvollen Bleiben ein. Eine Tour durch die Stadt.

Johannes Jörn muss nur um die Ecke gehen. „Und jetzt hören Sie, dass Sie nichts mehr hören.“ Ein paar Schritte von der Stiftstraße in den Garten des Amalie-Sieveking-Stifts, schon steht er im Grünen. Tiefstes St. Georg, aber die totale Wohlfühloase. Und zwar nicht für Leute mit Geld, sondern für Menschen, die es nicht so dicke haben. Die meist alt und arm und krank oder alles zusammen sind. Für sie wäre diese Wohnlage unbezahlbar. Aber für sie gibt es Wohnstifte, mehr als 100 in Hamburg.

Auch historisch wertvoll:  Drittes Stift der Amalie- Sieveking- Stiftung
Auch historisch wertvoll: Drittes Stift der Amalie- Sieveking- Stiftung © Klaus Bodig

Johannes Jörn arbeitet für die Pa­triotische Gesellschaft, heute führt er launig moderierend zu den Wohnstiften der Stadt. Er nennt sie „Perlen“, weil die oft mehr als 100 Jahre alten historischen Anlagen ein ansehnlicher Teil der Hamburger Geschichte sind. Ein kostbarer Teil, der erhalten werden sollte. Einst errichtet von Hamburgern, die zu Wohlstand gelangt waren und ihr Geld in Wohnstiftungen für Bedürftige steckten.

5000 Wohneinheiten

Allein der günstige Wohnraum ist ein aktuelles Argument. Deshalb hat Jörn mit Mechthild Kränzlin von der Homann-Stiftung und Ulrike Petersen von Stattbau Hamburg die Initiative „Perlen polieren“ zur Rettung und Weiterentwicklung der Hamburger Wohnstifte ins Leben gerufen. Heute sind die Perlenpolierer „on tour“.

Ungefähr 4000 bis 5000 Wohneinheiten besitzen die etwa 100 Wohnstiftungen der Stadt. „Die Datenlage ist schlecht gewesen“, sagt Ulrike Petersen. Um einen genauen Überblick zu erhalten, wurde vor zwei Jahren der Bestand erhoben. Ergebnis: Etwa ein Drittel der Wohnstifte ist seit 25 Jahren unsaniert, die Hälfte ist nicht barrierefrei, jedes dritte Stiftungsgebäude steht unter Denkmalschutz. Mäßige Voraussetzungen für eine modernisierte Zukunft des altersgerechten Wohnens.

Begegnungsort der Generationen

Wie Wohnstifte dennoch finanziert, erneuert und erhalten werden können, zeigt der Halt mitten in St. Georg. Links und rechts des nicht grundlos Stiftstraße genannten Weges schmiegen sich Neubauten der Hartwig-Hesse- und der Amalie-Sieveking-Stiftung an historische Substanz. Das erste Kinderkrankenhaus der Sieveking-Stiftung wurde an diesem Ort eröffnet. Sogar die Kita der Straße heißt hier „Die Stifte“.

Im Heinrich-Sengelmann-Haus erläutert Maik Greb, Geschäftsführer der Hartwig-Hesse-Stiftung, dass es viele Säulen für einen „Begegnungsort aller Generationen“, wie es Stifte auch sein wollen, braucht. Konkret sind das Wohnpflegegemeinschaften, Familienbaugenossenschaften, Wohnungen für Obdachlose, Kita oder ambulanter Pflegedienst. Dass es auch in einer jungen Stadt den demografischen Bedarf dafür gibt, zeige die Warteliste: „Die ist sehr, sehr lang“, sagt Greb. „Wir könnten
locker 1000 Wohnungen vermieten.“ Bei angebotenen Quadratmeterpreisen von 6,30 Euro in einem stiftungseigenen Neubau in der Innenstadt kein Wunder.

Dieser Neubau entsteht nebenan, Eröffnung 2018. Stichwort Wirtschaftlichkeit: Wegen des oft bestehenden Denkmalschutzes bei Stiftungen sei es immer auch eine ökonomische Abwägung, ob abgerissen, neu gebaut oder barrierefrei saniert werden kann. Die Amalie-Sieveking-Stiftung macht an ihrem historischen Standort in St. Georg beides. 60 Bewohner müssen dafür umziehen, haben aber Rückkehrgarantie. Der günstige Wohnraum bleibt.

Senatorin rät Stiften, Förderprogramme zu nutzen

„Sichtbare Kleinode“ nannte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) im Ledigenheim in der Neustadt die vielen Wohnstifte in Hamburg. Sie unterstrich die Wichtigkeit der Initiative „Perlen polieren“ – inzwischen haben sich viele Fürsprecher angeschlossen, um die Häuser zu erhalten. Die Initiative sei gut für das Stadtbild und ein Beitrag für günstigen Wohnraum. Hilfreich für die Stiftungen sei sie, da sie Zuständigkeit in einem Netzwerk bündeln könne. Bisher seien die Stifte sehr stark quartiersbezogen ausgerichtet.

„Die unterschiedlichen Stiftungen haben oft die gleichen Interessen, ohne voneinander zu wissen“, so Prüfer-Storcks. Die Stadt brauche barrierefreie Wohnungen wie in den Stiften, um das Altern in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Wenn die Initiative helfe, Stiftungen beim Anzapfen der Förderprogramme der Gesundheitsbehörde zu unterstützen sei das begrüßenswert. Drei Millionen Euro stünden dafür zur Verfügung, sie müsste nur abgerufen werden.

Im Dornröschenschlaf

Eine „Servicestelle für Wohnstifte“ sei deshalb das erklärte Ziel der Initiative „Perlen polieren“ für 2018, sagte Ulrike Petersen von Stattbau Hamburg. Einige Stifte müssten erst aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst werden wollen, ergänzte Mechthild Kränzlin mit Blick auf den weit verbreiteten Sanierungsstau. Heike Sudmann, Bürgerschaftsabgeordnete der Linken, hakte nach, was die Politik tun könne. Sich mit einfacheren Förderprogrammen beschäftigen, lautete die Antwort. Es sei mitunter kompliziert für Stiftungen, ihre „Perlen“ zu polieren.