Hamburg . Der Hamburger Saliya Kahawatte machte trotz extremer Sehschwäche Karriere in der Gastronomie. Kinofilm mit Kostja Ullmann.
Das scharfe japanische Messer zerteilt die Zwiebel binnen Sekunden in hauchdünne Scheiben. Tschack, tschack, tschack. Dann schält Saliya Kahawatte (45) Rote Bete, schneidet sie in winzige Würfel. „Ihr müsst sehr fein arbeiten, sonst dauert das Garen zu lange“, mahnt er die elf Teilnehmer seines Kochkurses.
Wo sie gerade in der One-Kitchen-Kochschule in Ottensen stehen, kann Kahawatte nur erahnen. Er sieht bestenfalls verschwommene Konturen. Kahawatte muss sich genau merken, wohin er das Brett mit den Zwiebelscheiben schiebt, finden würde er es sonst kaum noch. Manchmal fischt er eine Lupe aus seiner Schürzentasche, wenn die Buchstaben auf den Ölflaschen groß genug sind, kann er die Sorte identifizieren.
Saliya Kahawatte ist fast blind, er hat nur noch ein Sehvermögen von fünf Prozent. Gleich zu Beginn des Kurses appelliert er an die Teilnehmer, sich in Acht zu nehmen: „Ich werde euch nicht korrigieren können, ihr müsst aufpassen, dass ihr euch nicht schneidet.“ Eine Mitarbeiterin zieht die Schublade mit Verbandszeug auf.
Im Kino spielte Kostja Ullmann das Leben Kahawattes
Ein Koch, der kaum etwas sieht, erklärt Laien, wie sie ein feines Drei-Gänge-Menü (Creme von Roter Bete mit Koriander und Sesam, Kabeljau mit Zwiebel-Kokos-Curry und Basmatireis, Kokos-Milchreis mit marinierten Granatapfelkernen) zubereiten – es klingt absurd. Und doch passt es zum Leben des Saliya Kahawatte, inzwischen verfilmt als „Mein Blind Date mit dem Leben“. 800.000 Kinobesucher sahen, wie Kostja Ullmann als Saliya Kahawatte seinen Traum von der Karriere in der Gastronomie lebt.
Freiberg, eine Kreisstadt in Sachsen. Hier wurde im Dezember 1969 Saliya geboren, die Mutter eine Deutsche, der Vater ein Singhalese. Drei Jahre später floh die Familie in den Westen. Mit 15 Jahren sah er die Welt wie durch eine Milchscheibe, Augenärzte diagnostizierten eine progressive Netzhautablösung, Operationen brachten keinen Erfolg. Dennoch wechselte Saliya nicht in eine Schule für Sehbehinderte, sondern kämpfte sich durch das Abitur in Lotte bei Osnabrück, seine Schwester paukte mit ihm nächtelang.
Er verschwieg seine Behinderung
Unbeirrt hielt er an seinem Plan fest, eine Ausbildung in der Hotelbranche zu machen. Er verschwieg seine Behinderung, lernte, am Klang der Gläser zu hören, ob sie poliert sind, lernte Weinkarten auswendig, filetierte Fisch über das Ertasten von Gräten. Mit wenigen Eingeweihten zimmerte er ein Lügengebäude, das über Jahre hielt, auch im Hamburger Hotel Atlantic. Als es einstürzte, brach Kahawatte zusammen. Alkohol, Kokain, Selbstmordversuche, geschlossene Psychiatrie, Hartz IV. Dann diagnostizierten Ärzte einen Hodentumor, der gestreut hatte. Wochenlang schwebte Kahawatte zwischen Leben und Tod. Heute sagt er, dass ihn der Kampf gegen den Krebs gestählt habe: „Ich bin stärker aus dem Ring gestiegen, als ich hineingegangen war.“
In der Kochschule beugt sich Kahawatte über das Zwiebel-Kokos-Curry, das ein Pärchen in seinem Kochkurs nach seinem Rezept zubereitet hat. Er greift nach einem Löffel, schmeckt ab, kippt noch Currypulver in den Topf. Seine Bewegungen wirken sicherer als zu Beginn, er weiß jetzt, wo seine Utensilien stehen. Schon zwei Stunden vor Beginn des Kurses hat ihm sein Assistent Dimitrios Kyratsas die Rezepte immer wieder vorgelesen, er will sie Gramm für Gramm auswendig können.
Der Wunsch nach Perfektion
Der Wunsch nach Perfektion – nichts treibt ihn mehr. Schon vor zehn Jahren, damals startete Kahawatte gerade in die Selbstständigkeit als Unternehmensberater, sagte er dem Abendblatt: „Wenn Sie Existenzgründer sind und noch schwerbehindert, müssen Sie sich große Skepsis gefallen lassen und dürfen sich keine Fehler erlauben. 99 Prozent heißt durchgefallen.“ 100 Prozent, das ist Kahawattes Maxime.
Sein Assistent Kyratsas zeigt auf seinem Smartphone ein Video seines Chefs bei einem Unternehmertag in der Nähe von Koblenz. 40 Minuten berichtet Kahawatte über sein Leben, schonungslos, alle Abstürze inklusive. Seine wichtigste Botschaft: Wer im Wettbewerb bestehen will, muss Haltung zeigen und darf sich nicht unterkriegen lassen. Seine Rede, getippt auf einem Laptop mit Sprachausgabe, hat er auswendig gelernt. 5100 Wörter, 40 Minuten, genau wie vom Auftraggeber bestellt. Kahawatte spricht frei, tigert auf der Bühne auf und ab. Den Rand hat Kyratsas zuvor mit Leuchtstreifen markiert, damit Kahawatte nicht stürzt.
Minusvinus hat der studierte Hotelbetriebswirt sein Unternehmen genannt. Ohne Sehschärfe. Er, der seine Krankheit immer tarnte, um nach oben zu kommen, macht sie nun zu seinem Markenkern. „Mein Tast-, Hör- und Geruchssinn sind viel stärker ausgebildet als bei Normalsichtigen“, sagt Kahawatte. Er spüre sofort, ob ein Mensch mit einer Stimme spricht, die zu ihm gehört oder nur aufgesetzt ist: „Ich höre Probleme, die ein Klient nicht zugeben will.“ Genau diese Fähigkeit mache ihn als Coach so besonders. Der unternehmerische Erfolg gibt ihm recht. Gerade erst hat ihn eine Versicherung beauftragt, Mitarbeiter bundesweit zu schulen. Daneben baut Kahawatte einen Onlineshop mit Gewürzmischungen auf.
Kahawatte setzt sich selbst extrem unter Druck
In der Kochschule köchelt unterdessen der Milchreis. Die Suppe wird mit Sesamöl und Korianderblättern garniert. Kahawatte eilt von Herd zu Herd, umkurvt lässig die Müllbehälter. Das Anrichten übernimmt er selbst, da ist Kahawatte ganz im Element, genau wie vor vielen Jahren im Atlantic. Er serviert jeden Gang selbst, lobt seine Schüler („Ihr habt 100 Punkte verdient“). Als er sich verabschiedet, klatschen die Teilnehmer. Kahawatte strahlt, er hat seine Kunden glücklich gemacht, mehr geht nicht. Doch zwei Minuten später raunt er dem Abendblatt-Reporter zu: „War wirklich alles okay? Sag mir bitte, was ich noch besser machen kann.“
In diesen Momenten ist fast körperlich zu spüren, unter welchem Druck Kahawatte steht. Er trägt jetzt auch noch Verantwortung für seine Mitarbeiter. „Wenn meine Kreativität mal nachlassen sollte, ist das Saliya-Regal ruckzuck leer“, sagt er. Kahawatte hat in seinen Lebenskrisen zu oft in Abgründe geschaut, um jetzt entspannt auf seiner Erfolgswelle surfen zu können. Neue Ideen müssen her, jeden Tag. Das zweite Kochbuch ist in Planung, ein Kinderbuch und ein Roman ebenfalls. Zudem laufen erste Gespräche über eine eigene TV-Kochshow. Dazu neue Reden, neue Coaching-Aufträge, 100 dienstliche E-Mails jeden Tag. Viele sehbehinderte Jugendliche melden sich, bitten um Rat: „Saliya, ich will wie du auf einer normalen Schule Abi machen. Wie kann ich das packen?“ Kahawatte kümmert sich, derzeit etwa sucht er Rundfunk- und TV-Sender, die sehbehinderten Journalisten eine Chance geben.
Eiserne Selbstdisziplin
Das Pensum wäre schon für Menschen ohne Behinderung kaum zu schaffen. Und natürlich ist für Kahawatte der Stress ungleich größer, besonders im Straßenverkehr. Vor ein paar Tagen erst hat ihn ein Radfahrer fast angefahren: „Den habe ich einfach nicht gehört.“ Kahawatte muss immer hoffen, dass der Supermarkt seines Vertrauens an der Großen Bergstraße das Sortiment nicht groß verändert, nur dann kann er das Einkaufen ohne Hilfe schaffen.
Für dieses rastlose Leben als Coach, Berater und Koch braucht Kahawatte eiserne Selbstdisziplin. Jeden Morgen meditiert er 20 Minuten, schwimmt drei Kilometer im Festlandbad oder stemmt Hanteln in der Mucki-Bude. Für die Gesundheit. Und die Körperspannung: „Ich kann beim Vortrag nicht rumhängen wie ein Schluck Wasser in der Kurve.“ Kahawatte hofft, dass ihm der Sport hilft, sein lädiertes linkes Hüftgelenk noch lange zu erhalten. Rechts trägt er das zweite Implantat.
Bei seiner Augenkrankheit gibt es kaum Hoffnung: „Ich bin mental darauf eingestellt, dass ich vollständig erblinde.“ Seinen Tatendrang werde es nicht stoppen. Und wenn irgendwann eine künstliche Netzhaut für seine Krankheit entwickelt würde? „Ich weiß gar nicht, ob ich das wollte“, sagt Kahawatte.
Vielleicht wäre es der Sinne zu viel.