Hamburg. Der niederländische Konzern baut in Hamburg die digitale Gesundheitssparte aus, vernetzt Kliniken und checkt Zähneputzen per App.
Das Gerät trägt den etwas sperrigen Namen Sonicare DiamondClean Smart, sieht aus wie eine elektrische Zahnbürste eben aussieht und ist seit einigen Tagen in drei Varianten zu Preisen bis 400 Euro auf dem Markt. Und doch ist die Bürste, die der Hersteller Philips unlängst in der Hamburger Fischauktionshalle dem deutschen Markt präsentierte, eine besondere. Denn mit der Sonicare DiamondClean Smart erreicht die Digitalisierung des Alltagslebens nun auch den Rand des Badezimmerwaschbeckens.
Die Bürste für weiße Zähne kann per Bluetooth mit dem Smartphone kommunizieren, und das sagt dem Anwender dann, was er beim Zähneputzen gerade falsch macht – oder was er besser machen könnte: Verharren die Borsten zu lange auf einer Stelle oder putzt der Nutzer zu druckvoll, schlagen das Gerät und die Smartphone-App Alarm. Ebenso, wenn ganze Gebisspartien ausgelassen werden. Der SmartTimer achtet darauf, dass die Bürste mindestens zwei Minuten lang eingesetzt wird, und ein BrushPacer sagt, wann es Zeit ist, zum nächsten Kiefersegment zu wechseln. Regelmäßig verlangt das Hightech-Gerät nach einem neuen Bürstenkopf.
Es sind Produkte wie diese, die Philips veranlassen, sich inzwischen als Gesundheitsunternehmen zu bezeichnen. Der niederländische Konzern und seine Hamburger Zentrale für den deutschsprachigen Raum haben sich neu erfunden. Das Geschäft mit Fernsehern und Unterhaltungselektronik ist ausgegliedert, mit der Lichtsparte wurde vor gut einem Jahr die einstige Keimzelle ebenfalls in eine separate Organisation verlagert und an die Börse gebracht.
Wandel des Konzerns zum Healthtec-Unternehmen
Nun ist die Gesundheitswirtschaft das Philips-Kerngeschäft. Und die steht vor umwälzenden Herausforderungen: „Der Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft wächst beständig, die Menschen werden immer älter, damit gibt es mehr chronische Erkrankungen und zugleich weniger jüngere Menschen, die das Gesundheitssystem finanzieren. Das erfordert einen ganz neuen Blick und neue Lösungen“, sagt Peter Vullinghs, Philips-Chef für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Er treibt den Wandel des Konzerns zum Healthtec-Unternehmen von der Zentrale in Fuhlsbüttel aus mit voran.
Digitalisierung ist dabei das Zauberwort. „Das Krankenhaus der Zukunft ist vernetzt“, sagt Vullinghs. Was man sich darunter vorzustellen hat, davon gibt ein vom Innovationsfonds für das Gesundheitswesen gefördertes Pilotprojekt eine Ahnung, das in wenigen Wochen in Mecklenburg-Vorpommern starten wird und in dem Philips unter anderen mit der Universitätsklinik Rostock zusammenarbeitet.
Doppeluntersuchungen entfallen
In der Bevölkerung des dünn besiedelten Bundeslands sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen überdurchschnittlich häufig. Nun sollen bis zu 1500 Risikopatienten mit intelligenten Blutdruckmessgeräten, Körperwaagen und Bewegungstrackern ausgestattet werden. Deren Daten werden mittels einer App übertragen und zentral gespeichert. Der Vorteil: Jedes der angeschlossenen Behandlungszentren im Land kann sofort auf alle relevanten Patientendaten zugreifen. Zeitraubende, kostspielige, womöglich belastende Doppeluntersuchungen entfallen. Zudem können die Mediziner den Zustand eines Patienten fernüberwachen und frühzeitig eingreifen, wenn sich dessen Gesundheitswerte bedenklich verändern. Im Idealfall werden teure und belastende Klinikaufenthalte vermieden.
Philips hat die technologische Plattform zur Vernetzung der Projektteilnehmer entwickelt. „Ich bin überzeugt, dass ein solches System Sinn macht“, sagt Vullinghs. Es lasse sich auf andere Regionen und Krankheitsbilder übertragen. Und es ist ein erster Schritt dahin, Diagnostik und Therapie sehr viel stärker als bisher auf den Einzelfall zuzuschneiden.
Keimzelle der neuen Konzernausrichtung
Geforscht und entwickelt wird dafür auch in der Hansestadt. „Hamburg ist einer der weltweit fünf großen Forschungsstandorte von Philips“, sagt Vullinghs. Er sieht in der Stadt sogar eine Keimzelle der neuen Konzernausrichtung. Denn mit dem Kauf der Hamburger Firma Röntgenmüller im Jahr 1927 machte der damalige Glühlampenhersteller Philips den ersten Schritt in die Medizintechnik. „Hier hat begonnen, was jetzt die globale Strategie des Konzerns ist“, sagt Vullinghs.
Um in der Digitalisierung mindestens ebenso schnell voranzukommen wie bei Computer- und Magnetresonanz-Tomografen, hat Philips sich selbst mit jungen, innovativen Unternehmen vernetzt, die womöglich manchmal auch etwas schneller sind als eine Firma mit Konzernstrukturen. In der Ende 2015 bezogenen Zentrale an der Röntgenstraße, in der sich die Mitarbeiter jeden Tag einen neuen Arbeitsplatz in ihrer Abteilung suchen und selbst der Chef in der Führungsetage keinen Anspruch auf einen Schreibtisch nur für sich hat, bietet Philips seit gut einem Jahr Start-ups einen Raum, die an der Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft arbeiten. „Die dafür bereitgestellten Flächen sind mittlerweile ziemlich gut besetzt“, sagt Vullinghs. Am 11. Oktober soll der sogenannte Health Innovation Port, an dem sich seit Kurzem die Techniker Krankenkasse beteiligt, offiziell eröffnet werden. Vullinghs sagt: „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir weitere Flächen zur Verfügung stellen.“
Im Foyer der Deutschlandzentrale laufen derweil auf Philips-Bildschirmen Imagefilme über die neue, schlaue Zahnbürste und über Kapselkaffee-Maschinen. Haushaltsgeräte verkauft der Gesundheitskonzern immer noch. Sogar eine Fritteuse. Das, sagt Vullinghs, stehe keineswegs im Widerspruch zur globalen HealthtecStrategie. Der Pommes-Macher wird ohne Fett betrieben.
Ärzte sollen Daten elektronisch austauschen
Video-Sprechstunden zwischen Arzt und Patient, Röntgenbilder und Rezepte auf dem Smartphone, elektronische Krankenakten werden schon bald der Alltag im deutschen Medizinbetrieb sein. Sensoren, die registrieren, ob ein alleinlebender Patient daheim gestürzt ist und dann den Rettungsdienst alarmieren, sind in Ländern wie den USA bereits im Einsatz. Maschinen, die automatisch die tägliche Medikamentendosis minutengenau zuteilen, auch. Sie registrieren sogar, ob die Pillen aus dem Portionsschälchen weg sind.
Die Bundesregierung hat bereits ein E-Health-Gesetz beschlossen. Künftig sollen alle Kliniken, Arztpraxen und sonstige sogenannte Leistungserbringer in der Lage sein, Gesundheitsdaten elektronisch zu speichern und auszutauschen.
Eine Studie der HSH Nordbank prognostiziert erhebliche Investitionen in die Digitalisierung: Im Schnitt müsse eine Klinik etwa 20 Millionen Euro dafür aufbringen, eine Arztpraxis um die 250.000 Euro. Eine Studie der Beratungsgesellschaft PwC sagt zugleich große Einsparpotenziale voraus. Demnach könnten durch die Digitalisierung etwa zwölf Prozent der Gesundheitskosten entfallen. 2014 wären das etwa 43 Milliarden Euro gewesen.