Hamburg. Bei Anhörung zur neuen Müllgebühr wird Jens Kerstan als “Raubritter“ beschimpft. Der Senator sagt während der Sitzung kein Wort.

Eines war vorher klar: Lob und Jubel waren an diesem Abend für den grünen Umweltsenator Jens Kerstan nicht zu erwarten. Vielleicht haben SPD und Grüne deswegen einen Freitagabend vor einem potenziell langen Wochenende für die Anhörung zur ungeliebten neuen Straßenreinigungsgebühr gewählt.

Aufgegangen wäre die Rechnung nicht. Rund 50 Bürger kamen in die Patriotische Gesellschaft, um ihrem Unmut Luft zu machen. Wie berichtet, soll jeder Grundbesitzer von 2018 an bei wöchentlicher Reinigung eine Gebühr von 59 Cent pro Frontmeter des Grundstücks zahlen. Bei wöchentlich zweimaliger Reinigung verdoppelt sich dieser Betrag, bei einer Reinigung alle 14 Tage halbiert er sich. Die Kosten werden voll auf Mieter umgelegt.

"Das ist wirklich Abzocke von den Grünen"

Noch steht nicht fest, welche Straßen in welche Kategorie fallen. Vor Beginn der Sitzung kritisierte CDU-Umweltpolitiker Stephan Gamm, dass die Anhörung erst wenige Tage vor dem Termin öffentlich bekannt gemacht worden sei. Auch die Abgeordneten selbst seien sehr kurzfristig informiert worden. Danach ging es dann ziemlich deutlich zur Sache. „Das ist wieder eine Abzocke von den Grünen“, begann eine Bürgerin. „Wir kleinen Rentner müssen jeden Cent umdrehen, nächstes Jahr wird der HVV wieder teurer, Lebensmittel werden teurer. Das ist alles nicht mehr zu bezahlen. Es ist unmöglich, was hier abläuft.“

Eine andere Rentnerin klagte, sie müsse für ihr Eckgrundstück 400 bis 700 Euro jährlich zahlen. „Das geht von meinen Rücklagen für Reparaturen ab. Ich weiß nicht, aus welchen Rippen ich mir das schneiden soll.“ Seit 1984 habe sie Straße und Weg selbst gereinigt und vom Laub befreit, aber nie etwas dafür bekommen. Auch andere Bürger betonten, dass jahrzehntelang selbst gereinigt hätten. „Ich sehe es nicht ein, dass ich dafür jetzt zahlen soll, sagte ein Herr. „Oder könnten Sie mir eine Rückzahlung geben, für 30 Jahre, die ich gereinigt habe?“

Trennung bei Gebühren verwirrt Bürger

Für viele Nachfragen sorgte auch die Trennung zwischen der Wegereinigungsgebühr, die es bereit in vielen Gebieten gibt, und der neuen Straßenreinigungsgebühr. „Wir Bürger haben bisher alles gereinigt, es ist doch absurd, jetzt das Hirn zu spalten zwischen Wegen und Straßen“, befand einer. Die Ausschussvorsitzende Birgit Stöver (CDU) erläuterte, dass die Straßenreinigungsgebühr tatsächlich nicht für die Reinigung der Fußwege gedacht sei.

Hat eigentlich mal jemand über die Co2-Bilanz für unsinnige Straßenreinigung nachgedacht?“, fragte die Anwohnerin einer kleinen Stichstraße. Es sei doch unsinnig, wenn Straßen mit gereinigt würden, die gar nicht schmutzig seien, nur um Gebühren zu erheben, die in Wahrheit für die Reinigung von Plätzen, Wegen und Grünanlagen genutzt würden. Auch andere befanden, es handle sich um „Zweckentfremdung“ von Gebühren.

Eine St. Paulianerin sagte, es sei ja nicht Schuld der Anwohner, dass es auf St. Pauli schmutziger geworden sei. Das habe mit Tourismus und Veranstaltern zu tun. Daher solle man doch die Nutznießer zahlen lassen, nämlich Hamburg Marketing, Gaststätten und Hotels.

Kommen Müllsünder weiterhin davon?

Immer wieder wurde auch kritisiert, dass gerade diejenigen nun mit hohen Gebühren bestraft würden, die ihren eigenen Schmutz und denen anderen seit Jahren selbst entfernten – oder bei denen es kaum Verschmutzungen gebe. Und diejenigen, die ihren Müll achtlos fallen ließen, würden gar nicht zur Rechenschaft gezogen. „Wenn Sie jetzt diese Gebühr einführen, dann werden alle sagen: Ich zahle ja, dann kann ich auch alles auf die Straße schmeißen. Wollen wir das?“, fragte ein Grundbesitzer.

Einige Bürger monierten, dass die Stadtreinigung selbst dort, wo sie bereits für Wegereinigung kassiere, nur selten wirklich komme. „Die haben zwar seit 2011 immer kassiert, sind aber nicht ein einziges Mal ohne Aufforderung gekommen, um zu reinigen“, sagte ein Herr mit Haus an der Alster. „Wir haben nichts als Ärger mit den Grünen“, sagte ein Besitzer eins Eckgrundstücks. Einer sprach von „Raubrittertum“.

Mehrere Redner zeigten sich enttäuscht, dass SPD-Bürgermeister Olaf Scholz den grünen Umweltsenator Kerstan nicht stoppe. „Eine kleine Partei mit zehn Prozent führt den Senat vor“, sagte einer. Gerade für kleine Rentner, die sich mühsam Eigentum zugelegt hätten, sei die Belastung zu hoch. Auch sei es ungerecht, dass Eckgrundstücke so stark benachteiligt würden.

Vorsitzende einer Siedlung schrieb einen Brief an den Bürgermesiter

Eine ältere Dame beklagte, dass sie genauso viel zahlen müssen wie ein ganzes Hochhaus mit Dutzenden Bewohnern. All das sei „nicht sozialdemokratisch“, so ein Bürger. „Dieser Senat muss weg, damit wir in Hamburg wieder ruhig schlafen können“, befand ein anderer. „Herr Kerstan selbst hat dieses Problem als hochbezahlter Senator wohl nicht, wenn er in Rente geht.“

Die Vorsitzende einer nach einem SPD-Senator benannten Siedlung sagte, sie habe einen Brief an Bürgermeister Scholz geschrieben, „damit der die Reißleine zieht“. Mehrere Bürger bekräftigen, dass sie sich an Musterklagen beteiligen wollten. Antworten bekamen die Kritiker an diesem Abend nicht. Die Abgeordneten des Umweltausschusses beteuerten aber, all das Gesagte werde „in die weiteren Beratungen einfließen“.

Senator Kerstan selbst hörte sich die Kritik in den rund anderthalb Stunden vollkommen ungerührt an. Nach Ende der Sitzung ging er – ohne ein einziges Wort gesagt zu haben.

Allerdings betonte Kerstan später, dass es nicht üblich sei, dass sich ein Senator bei einer Anhörung zu Wort melde. Die Ausschussvorsitzende Stöver dagegen verwies auf einen Vermerk der Bürgerschaftskanzlei und die Geschäftsordnung der Bürgerschaft. Danach dürfe ein Senator auch in Anhörungen jederzeit das Wort ergreifen.