Hamburg. 350 Briten nahmen in diesem Jahr in der Hansestadt die deutsche Staatsbürgerschaft an. Einer der Neubürger erzählt, warum.

Sie haben Fahnen aufgehängt, der Bürgermeister steht bereit, dann fällt sein Name: Brian Maginess geht im großen Festsaal des Rathauses nach vorn und holt sich das Stück Papier, das für ihn die Welt bedeutet. Als Nordire wurde er geboren, nun ist er ein Deutscher. Die Einbürgerungsfeier am Freitag besiegelt einen Schritt, den jährlich mehr als 4000 Ausländer in Hamburg gehen – und eine Gruppe sticht dabei besonders hervor.

Bereits rund 350 Menschen aus den Brexit-Ländern haben von Januar bis Ende September in Hamburg einen Antrag auf Einbürgerung gestellt – siebenmal so viele wie noch im gesamten Jahr 2015. Großbritannien steht damit plötzlich unter den fünf der häufigsten Herkunftsländer. Vor dem Iran und hinter Afghanistan, der Türkei und Polen.

Einbürgerung: 300 Euro Gebühr und ein Test

Für eine Einbürgerung müssen Ausländer in der Regel bereits acht Jahre in Deutschland leben und etwa 300 Euro an Gebühren zahlen. Auch ein Test muss absolviert werden. Darin wird etwa abgefragt, was „Rechtsstaat“ meint und wohin man in Deutschland gehen muss, um zu heiraten.

Die Mühen nehmen die Bewerber meist gern auf sich – den Menschen aus den Brexit-Ländern geht es oft auch um ein Bekenntnis zu Europa.

So auch bei Brian Maginess (46). Im Abendblatt schreibt der Ingenieur, warum er die deutsche Staatsbürgerschaft annahm:

Seit 18 Jahren bin ich nun Hamburger, vor Kurzem habe ich mich entschlossen, Deutscher zu werden. Den Anstoß dafür lieferte die Brexit-Kampagne in Großbritannien.

Ich wuchs in Nordirland in den 1980er-Jahren auf, in dem nationale Zugehörigkeiten immer eine große Rolle gespielt haben. Die Fragen, um die es an der Uni oder im Pub häufig ging, lauteten: protestantisch oder katholisch, orange oder grün, britisch oder irisch. Damals entschloss ich mich dazu, nicht zu wählen. Meine Freunde und ich fanden in der Politik niemanden, der uns eine echte Perspektive abseits der gewaltsamen Konflikte bieten konnte.

Nach dem Friedensabkommen von 1996 waren beide Staatsbürgerschaften möglich. Damals war ich Student mit schmalem Budget und beantragte einen britischen Reisepass, weil er billiger war. Schon damals war es schwierig für mich, zu entscheiden, was ich denn vorrangig war: Nordire, Ire oder Brite? Ich war weder noch und alles zugleich.

Seit 2000 Lebensmittelpunkt in Hamburg

Im Januar 2000, nachdem ich das Jahrtausend mit meiner zukünftigen Frau (einer Hamburgerin) in Belfast gefeiert hatte, verlegte ich meinen Lebensmittelpunkt nach Hamburg und war begeistert: eine weltoffene, einladende Stadt, für mich auf dem Niveau von London.

Noch heute, nach 18 Jahren Leben, Lieben, Arbeiten und Familiengründung liebe ich den atemberaubenden Blick über die Alster, wenn ich abends meine Joggingrunden drehe. In diesem Moment fühle ich mich immer zu Hause.

Im März 2013 bekam ich erstmals Post aus dem Rathaus: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz lud mich ein, deutscher Staatsbürger zu werden. Das hat mich sehr gefreut und mit Stolz erfüllt. Aber es sollte noch drei Jahre dauern, bevor ich wirklich bereit dafür war.

Den entscheidenden Anstoß gab die üble, spalterische Brexit-Kampagne. Britische Mainstream-Politiker, die ich zuvor als ernst zu nehmend und kompetent angesehen hatte, versprachen als Gegenleistung für den EU-Austritt riesige Haushaltserhöhungen (350 Millionen britische Pfund pro Woche) für das National Health System.

Boulevardzeitungen brachten dubiose Geschichten über Zuwanderer, die angeblich das britische Sozialsystem plünderten, über die Queen und ihre angebliche Befürwortung des Brexits.

In dieser Zeit wurde mir bewusst, wie wichtig es mir ist, Europäer zu sein. Im Herzen bin ich Nordire, Ire, Brite, Hamburger und inzwischen auch Deutscher. Aber eben auch Europäer. Ich reise beruflich viel in der Welt herum. Habe überall nette Menschen kennengelernt. Freundschaften geschlossen. Es passt nicht zu mir – und auch nicht zur heutigen Zeit –, sich nationalistisch einzukapseln, wie es die Briten gerade tun.

Diesmal hätte ich gern gewählt, gern gegen den Austritt Großbritanniens aus der EU gestimmt. Aber ich war vom Geschehen in meinem Land abgeschnitten und machtlos: Die britische Gesetzgebung verweigerte Ex-Pats, die seit mehr als 15 Jahren im Ausland leben, das Wahlrecht zum Brexit – als ob der Austritt Großbritanniens aus der EU mich nicht betreffen würde ...

Nachricht vom Austritt war ernüchternd

Ich versuchte, positiv zu bleiben. Am Abend des 23. Juni 2016 ging ich zu Bett und erwartete, dass meine Landsleute für den Verbleib in der EU stimmen würden. Die Nachricht vom Austritt war dann sehr ernüchternd. Deshalb begann ich im Winter 2016 den Einbürgerungsprozess.

Ich habe nur Lob übrig für die Mitarbeiter im Einbürgerungsamt – sie waren freundlich und professionell und machten den gesamten Weg zur Einbürgerung sehr transparent. Ich war in guten Händen, ich fühlte mich aufgehoben und wusste, ich hatte die richtige Entscheidung getroffen.

Der Einbürgerungstest ist aus meiner Sicht genau auf dem richtigen Niveau – nicht zu leicht und nicht zu schwer. Man muss von 33 Fragen aus einer Datenbank von 310 mindestens 50 Prozent richtig beantworten. Die Fragen beziehen sich auf die deutsche Geschichte, Politik und Geografie sowie auf die Gesellschaft. Geübt habe ich zwei Wochen lang mit einer kostenlosen App – und habe am Ende 32 von 33 Fragen richtig beantwortet.

Im August erhielt ich Ausweis und Pass und ein paar Wochen später meine Wahlunterlagen. Es hat mich stolz gemacht und emotional berührt, dass ich am vergangenen Sonntag erstmals in Deutschland zur Wahl gehen durfte. Jetzt bin ich nicht nur Hamburger, sondern auch ein deutscher Staatsbürger.