Hamburg. Soko “Schwarzer Block“ geht von 5000 Straftätern rund um den Gipfel aus. Soko-Leiter: „Wir werden viele von euch kriegen“.

Es war ein wohlüberlegter Paukenschlag der Soko „Schwarzer Block“, die nach den G20-Krawallen in Hamburg ermittelt. Erst wurden am Mittwochmorgen 16 Wohnungen und Geschäfte durchsucht – Anlass war unter anderem die Plünderung eines Handy-Ladens 82 Tage zuvor in der Schanze. Bei der Razzia, unter anderem in einem Handy-Geschäft in Wilhelmsburg, wurden gestern sieben mutmaßlich gestohlene iPhones sichergestellt. Dann kündigte Kriminaldirektor Jan Hieber, Leiter der Soko, in Richtung der Randalierer an: „Wir werden viele von euch kriegen. Ganz sicher.“

Und auch dies dürfte die Plünderer und Gelegenheitskrawallmacher beunruhigen: „Wir haben Bildmaterial in einem Umfang, wie es ihn noch nie in der deutschen Kriminalgeschichte gab“, sagte Hieber. Und: „Wir wollen ein Programm zur Gesichterkennung einsetzen.“ Damit dürften viele der Täter identifiziert werden. Von denen gibt es reichlich: 5000 Menschen, so glaubt Hieber, waren rund um den Gipfel in Straftaten verwickelt. Mehrere Hundert seien schon identifiziert.

Schon über 2000 Ermittlungsverfahren

Die Dimension der Ermittlungen hatte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer schon vorher deutlich gemacht: „Insgesamt hat die Sonderkommission schon über 2000 Ermittlungsverfahren in Bearbeitung. Wir gehen perspektivisch davon aus, dass wir bei über 3000 Ermittlungsverfahren landen werden, wenn wir das ganze Material ausgewertet haben.“ Und Hieber ergänzte: „Die Herausforderung, vor der die Sonderkommission steht, ist einmalig.

Für die Ermittlungen steht eine solche Mengen an Bildmaterial, Daten und Zeugenaussagen zur Verfügung, wie es das nach einem gewalttätigen Großereignis in der deutschen Kriminalgeschichte noch nie gegeben hat.“ Konkret heißt das: Es stehen rund 25.000 Einzelvideos von Polizisten und rund 7000 Dateien von Augenzeugen zur Verfügung. In öffentlichen Verkehrsmitteln wurden mehr als 100 Festplatten gesichert, die ausgewertet werden.

Für die Aufarbeitung entwickelte die Polizei laut Hieber ein besonderes Konzept, für das es in Deutschland kein bekanntes Vorbild gebe. Es werde ein „Berg von Daten“ analysiert und strukturiert ausgewertet. Ziel sei es, eine „recherchefähige Übersicht über alle Bild- und Videodaten zu erhalten“. Eine Rolle sollen dabei auch sogenannte Geo-Daten spielen, die auch Bewegungsprofile von Verdächtigen zeigen könnten. Durch sie sollen Aufnahmen zusammengeführt werden. „Wenn wir dann noch mit einer Gesichtserkennungssoftware recherchieren können, werden wir viele neue Ermittlungsansätze erlangen“, sagte der Soko-Chef.

Datenschutzrechtliche Belange müssten dabei beachtet werden. Hieber: „Ich glaube, dass wir noch ein paar Wochen oder Monate warten müssen, bis die Konzeption voll einsatzfähig ist.“ Schon jetzt seien die Erfolge ungewöhnlich. „Ich glaube, dass diese Videobeweise so erdrückend sind, dass wir eine erstaunliche Geständnisbereitschaft haben, wie ich sie noch nicht erlebt habe.“

Vielzahl von Identifizierungen zu erwarten

Derzeit führe die Soko 319 sogenannte „Bekannt-Verfahren“, hinter denen jeweils zwischen ein und 50 Verdächtige stehen. „Es ist aber noch eine Vielzahl von Identifizierungen zu erwarten“, so Hieber. Und: „Ich glaube, dass noch viele Straftäter, die sich im Augenblick noch sicher wähnen und vielleicht mit einer gewissen Erleichterung auf die Hauptverhandlungen in Hamburg gucken und sich freuen, dass sie nicht überprüft wurden, noch eine Überraschung erleben.“

G20-Krawalle: Zerstörungswut in Hamburg

G20-Krawalle: Zerstörungswut in Hamburg

Nach Straßenschlachten am Rande des G20-Gipfels sind die Zerstörungen im Hamburger Schanzenviertel groß. Einsatzkräfte der Feuerwehr löschen am Sonnabendmorgen (8. Juli 2017) die letzten Brände.
Nach Straßenschlachten am Rande des G20-Gipfels sind die Zerstörungen im Hamburger Schanzenviertel groß. Einsatzkräfte der Feuerwehr löschen am Sonnabendmorgen (8. Juli 2017) die letzten Brände. © dpa | Axel Heimken
Die Randalierer bauten nicht nur Barrikaden und legten Brände, sie plünderten auch Geschäfte – etwa diese Drogerie.
Die Randalierer bauten nicht nur Barrikaden und legten Brände, sie plünderten auch Geschäfte – etwa diese Drogerie. © dpa | Kay Nietfeld
Am Morgen nach den Krawallen wird das Ausmaß der Zerstörungswut sichtbar – und das Aufräumen beginnt.
Am Morgen nach den Krawallen wird das Ausmaß der Zerstörungswut sichtbar – und das Aufräumen beginnt. © dpa | Daniel Bockwoldt
Die Inhaber dieses Geschäftes hatten wohl nicht mit einem solchen Ausmaß von Zerstörungswut gerechnet und ihre Scheiben nicht vorsorglich geschützt.
Die Inhaber dieses Geschäftes hatten wohl nicht mit einem solchen Ausmaß von Zerstörungswut gerechnet und ihre Scheiben nicht vorsorglich geschützt. © dpa | Daniel Bockwoldt
Angezündet wurde in Hamburg in der Nacht so ziemlich alles, von Fahrrädern über Mülltonnen bis zu Autos und Barrikaden.
Angezündet wurde in Hamburg in der Nacht so ziemlich alles, von Fahrrädern über Mülltonnen bis zu Autos und Barrikaden. © REUTERS | FABIAN BIMMER
Die Stadtreinigung versucht am nächsten Morgen das Chaos zu beseitigen.
Die Stadtreinigung versucht am nächsten Morgen das Chaos zu beseitigen. © REUTERS | FABIAN BIMMER
Polizeibeamte räumten am Morgen Miet-Fahrräder von der Straße Schulterblatt im Schanzenviertel.
Polizeibeamte räumten am Morgen Miet-Fahrräder von der Straße Schulterblatt im Schanzenviertel. © dpa | Christian Charisius
In der Nacht zuvor waren gewaltbereite Demonstranten auch mit Pflastersteinen auf Polizisten losgegangen.
In der Nacht zuvor waren gewaltbereite Demonstranten auch mit Pflastersteinen auf Polizisten losgegangen. © dpa | Axel Heimken
Eine Spur der Verwüstung vor der Roten Flora, einem autonomen Zentrum.
Eine Spur der Verwüstung vor der Roten Flora, einem autonomen Zentrum. © dpa | Axel Heimken
Mit so viel Gewaltbereitschaft hatten wohl weder die Polizei noch die Stadtverwaltung gerechnet.
Mit so viel Gewaltbereitschaft hatten wohl weder die Polizei noch die Stadtverwaltung gerechnet. © dpa | Markus Scholz
Brennende Barrikaden im Schanzenviertel.
Brennende Barrikaden im Schanzenviertel. © dpa | Bodo Marks
Die Polizei war mit mehr als 20.000 Einsatzkräften in der Stadt, hatte am Freitagmorgen nochmal Verstärkung aus anderen Bundesländern angefordert. In der Nacht zu Samstag stürmten Spezialeinsatzkräfte der Polizei den verbarrikadierten Teil des Schanzenviertels.
Die Polizei war mit mehr als 20.000 Einsatzkräften in der Stadt, hatte am Freitagmorgen nochmal Verstärkung aus anderen Bundesländern angefordert. In der Nacht zu Samstag stürmten Spezialeinsatzkräfte der Polizei den verbarrikadierten Teil des Schanzenviertels. © dpa | Kay Nietfeld
Spezialkräfte der Polizei versuchten, die Lage im Schanzenviertel unter Kontrolle zu bringen.
Spezialkräfte der Polizei versuchten, die Lage im Schanzenviertel unter Kontrolle zu bringen. © dpa | Michael Kappeler
Die Randalierer plünderten auch einen Supermarkt.
Die Randalierer plünderten auch einen Supermarkt. © Getty Images | Thomas Lohnes
Anarchische Zustände am Rande des G20-Gipfels.
Anarchische Zustände am Rande des G20-Gipfels. © Getty Images | Thomas Lohnes
Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen die Randalierer vor. Die Bilanz am Morgen: 197 verletzte Polizisten, zahlreiche Festnahmen, mehrere Haftbefehle. Wie viele Demonstranten verletzt wurden, ist unklar.
Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen die Randalierer vor. Die Bilanz am Morgen: 197 verletzte Polizisten, zahlreiche Festnahmen, mehrere Haftbefehle. Wie viele Demonstranten verletzt wurden, ist unklar. © Getty Images | Thomas Lohnes
Zerstörungswut im Schanzenviertel.
Zerstörungswut im Schanzenviertel. © Getty Images | Thomas Lohnes
Zerstörungswut im Schanzenviertel.
Zerstörungswut im Schanzenviertel. © Thomas Lohnes
1/18

Die Aktion der Soko am Mittwoch wirkt da fast schon ein wenig unspektakulär. Rund 100 Beamte waren ausgeschwärmt, um zunächst acht Durchsuchungsbeschlüsse in Hamburg und sechs in Schleswig-Holstein zu vollstrecken. In zwölf Fällen wird wegen schweren Landfriedensbruchs, gegen zwei Männer wegen Hehlerei ermittelt. Wie man auf die Verdächtigen kam, will der Soko-Leiter nicht verraten. Vermutlich waren die bei der Plünderung erbeuteten Handys einfach geortet worden. Ein Schlag gegen die militante linke Szene ist es aber nicht. Keiner der Beschuldigten ist in der Vergangenheit im Zusammenhang mit politisch motivierten Straftaten aufgefallen. „Gelegenheitstäter“ nennt Hieber die Verdächtigen. Unklar ist bislang auch, wer Geräte selbst bei der Plünderung erbeutet oder wer sie später als Hehlerwaren gekauft hat.

Insgesamt hatten Plünderer allein aus dem Handy-Geschäft Waren im Wert von rund 100.000 Euro geschleppt. Der Gesamtschaden, den die Polizei den G20-Krawallen zuordnet, liegt laut der Soko bei sechs Millionen Euro. Aber auch dabei ist laut Hieber noch reichlich Luft nach oben.