Hamburg. Das Ausmaß der Krawalle wird am Sonnabend deutlich: Extreme Zerstörung in der Schanze. Das werden auch Merkel und Co. spüren.
Die Asphaltdecke der Straße ist aufgerissen, schwarze Steine liegen in Haufen übereinander. Metallstangen, Holzlatten, abgerissene Papierkörbe, weiße, zum Teil angekokelte Schränke daneben. In der Luft hängt ein bleischwerer Geruch von Ruß, Staub und Schwermut. Das Hamburger Schanzenviertel gleicht nach der Krawallnacht zum G20-Gipfel an diesem Sonnabendmorgen gegen 5.30 Uhr den Straßen von Beirut in den achtziger Jahren. Im Schulterblatt stehen Feuerwehrwagen, die das erneute Aufflammen der Brände verhindern sollen.
Überall sind Scheiben eingeschlagen – „entglasen“ nennen das die, die nichts verstehen außer Gewalt. Der schmale Drogeriemarkt von Budnikowsky ist ein Trümmerfeld. Im Rewe gleich daneben versucht ein unbeirrbarer Mitarbeiter in Lederjacke und Stiefeln, den gröbsten Dreck am Boden in eine Ecke zu wischen. Fotografieren ist okay, aber bitte nicht ihn. Hier wurde geplündert, gewütet, zerstört.
Plünderungen und Brandstiftungen
Ein Supermarkt an der nahen Altonaer Straße wurde geplündert, dann in Brand gesteckt. Nur mit Mühe konnte verhindert werden, dass das Feuer auf Häuser übergriff. Am Freitag hatten sogenannte Gipfel-Gegner bereits wahllos Brandsätze in Privathäuser geworfen. Was zählen schon Menschenleben im Kampf gegen das Schweinesystem?
Im Video: Die Gewalt beim G20-Gipfel
Glas knirscht unter den Schuhen. Dutzende Schaulustige machen Selfies. Ein paar Schanzianer, Anwohner, im Gesicht aschfahle Mitarbeiter von Läden, Polizisten – sie knipsen Handy-Fotos, staksen durch die Trümmer. Den jungen Leuten mit den schwarzen Hosen, Hoodies und wüsten Mähnen schmeckt vor dem Kiosk das Kaltgetränk schon wieder. Oder immer noch?
Ruhig und scheinbar unbeteiligt rottet die Rote Flora vor sich hin. Auf einem Mega-Plakat am nebenstehenden Gebäude ist zu lesen: „Guten Morgen! Der Streik ist zu Ende.“ Was das bedeutet? Wer will das jetzt wissen? Abgebrannte Barrikaden aus Müll, Holz, Fahrrädern und Schutt zeugen von einer Nacht, die so schlimm war wie nichts zuvor in der an Krawallen reichen Geschichte dieses besonderen Hamburger Viertels.
Merkel, Trump und Putin werden den Hauch der Gewalt spüren
Gut ein Dutzend Festnahmen, vermutlich etliche Verletzte und Gewalt bis zum frühen Morgen: Die statistische Lage ist noch unübersichtlich am Sonnabend nach den Ausschreitungen, Angriffen und Bränden rund um den G20-Gipfel in Hamburg. Noch nie hat es so heftige, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen in unmittelbarer Nachbarschaft des Treffens der wichtigsten Staats- und Regierungschefs der Welt gegeben.
Wenn Angela Merkel, Donald Trump, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan an diesem Morgen vor ihrem Treffen die Nase in die Luft halten, fliegt sie der Hauch des Wahnsinns an, der auf den Straßen Hamburgs herrscht. Die Polizei war von Hausdächern aus mit allem beworfen worden, was die Randalierer in die Hände bekamen. Zwischenzeitlich zogen sich die Beamten zurück und rückten mit einer Spezialeinheit an, um Häuser zu stürmen. Aus dem Unterton des „Wir haben die Lage wieder unter Kontrolle“ war zu hören: In Hamburg war zumindest für kurze Zeit die Anarchie zuhause.