Hamburg . Autorin Claudia Haessy passt nicht in das Bild der aufopferungsvollen Mutter. Dafür ist sie unterhaltsam.

Was tut man nicht alles für den Nachwuchs? Verschiebt die Promotion, auf die man sein Geschichts- und Philosophiestudium lang hingearbeitet hat. Zieht zurück nach Bonn, um nahe bei den Eltern zu sein und nicht bei den Freunden in Berlin. Macht einen Neuanfang: nur eben nicht als Historikerin, die gern viel reist und liest, sondern als Schwangere, die von nun an eine Menge gut gemeinter Ratschläge für das Leben als glückliche Mutter erhalten wird. Claudia Haessy (34) hat all das in Kauf genommen. Wider Willen.

„Aus rationalen Gründen wollte ich nie Kinder haben. Schon wenn du dir ein Haustier anschaffst, übernimmst du damit ja eine Menge Verantwortung“, sagt die brünette Wahl-Hamburgerin beim Gespräch im Eppendorfer Café TH2. Sie wohnt in der Nähe und ebenso „dieser Mann“, den Claudia Haessy auf einer Party kennenlernte. Und der dann, ein paar Stunden später, zum Erzeuger ihres heute fast fünfjährigen Sohnes Emil wurde. „Ich glaube, dass meine Gene mich damals einfach überlistet haben.“

Statt Baby-Ratgeber zu lesen, bloggt sie lieber über ihre Erfahrungen

Die Art, wie sie ihre sehr persönliche Geschichte mit spitzem Ton erzählt, macht klar: Vor einem sitzt eine Frau, die das Muttersein nicht als die schönste Zeit ihres Lebens empfindet. Und die trotzdem eine gute Mutter ist. Klingt so einfach, ist es aber nicht. Nicht in einer Gesellschaft, die trotz Teilzeit-Jobs, Frauenquote und Karriere-mit-Kind-Versprechen noch immer ein sehr konventionelles Rollenbild vorgibt. Nämlich das der aufopfernden 24-Stunden-Mutter.

„Alle meine Freundinnen waren glückliche Schwangere, die sich ständig ihren runder werdenden Bauch streichelten. Nur ich nicht. Ich saß im Bus von Hamburg nach Berlin und rechnete durch, ob ich mir ein Kind überhaupt leisten kann – ohne feste Beziehung, Job und trautem Heim.“ In sozialen Netzwerken wie Twitter tauschte sich Claudia Haessy mit gleichgesinnten Frauen aus, mit einigen ist sie bis heute befreundet „Es ist erleichternd, offen auszusprechen, dass man sich als Außenseiterin fühlt und auf Menschen zu stoßen, denen es ähnlich geht.“

Statt Baby-Ratgeber zu lesen, einen Pekip-Kurs („diesen Begriff musste ich erst einmal nachlesen“) oder eine Krabbelgruppe zu besuchen („für Kinder toll, ich hatte immer Fluchtreflexe, Stichwort andere Eltern“), bloggte sie lieber über ihre Erfahrungen. Kleine Kostprobe: „Du bist keine schlechte Mutter, wenn du nach einmal Babybrei selber kochen feststellst, dass das Leben zu kurz für Dinge ist, die dein Baby anschließend ohnehin nur gegen die Tapete spuckt. Oder wenn du dich vor den Sommerferien fürchtest und auf den ersten Tag im Büro freust. Oder wenn du bei der Gute-Nacht-Geschichte ganz genau weißt, welche Wörter du weglassen kannst, damit du schneller mit dem Buch durch bist, um eins zu werden mit dem Sofa und einer Flasche Weißwein. Klingt gut?“ Bei www.haessy.de gibt es noch 30 Dinge mehr, die man nicht tun muss, um eine gute Mutter zu sein.

Ihre neue Gelassenheit empfindet sie als Bereicherung

Umkehrschluss: Was macht denn eine gute Mutter aus? „Nicht zu hart zu sich sein“, sagt Claudia Haessy. „Und nichts, was das Kind sagt, zu persönlich nehmen. Neulich habe ich mit Emil einen Ausflug nach St.-Peter-Ording gemacht. Er durfte Eis und Würstchen essen und die ganze Zeit bei den DLRG-Leuten rumhängen. Am Ende des Tages habe ich ihn gefragt: ‚Und, hat es dir gefallen, wollen wir das noch mal machen?’ – ‚Ja, aber dann lieber mit Papa’ kam als Antwort. Man sollte nichts zurückerwarten. Das ‚Mama, ich hab dich vermisst’ kommt sowieso in Momenten, in denen man es nicht erwartet.“ Ihre neue Gelassenheit und das Wissen, was man alles aushalten kann, empfindet sie als Bereicherung.

Seit Juli gibt es ihre Geschichte auch als Roman: „Wenn ich die Wahl habe zwischen Kind und Karriere, nehme ich das Sofa“. Kleine Kostprobe: „Ich glaube nicht an die große Liebe, sondern nur an einen unausgeglichenen Hormonhaushalt. Wenn es den Topf zu meinem Deckel irgendwo geben sollte, ist er vermutlich ein 52-jähriger Chinchilla-Züchter, der ohne Strom und WLAN in den peruanischen Anden lebt“, lamentiert darin die Protagonistin Claudia, deren Biografie viele Parallelen zur Autorin aufweist.

Natürlich ist im Leben der Bloggerin und Social Media-Redakteurin nicht alles immer so lustig. Zwar ist aus dem damaligen One-Night-Stand tatsächlich eine Beziehung geworden, „doch die ist eher unkonventionell. Aber ich kenne eigentlich auch nur eine einzige Beziehung, wo beide perfekt zusammenpassen. Da war sie als Lehrerin in Tansania und hat ihn zufällig in einem Zug kennengelernt. Wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass mir etwas Ähnliches passiert? Alle anderen müssen sich eben mit dem arrangieren, was sie haben.“ In zwei Wochen, wenn Claudia Haessy 35 wird, steht auch ein Umzug an. Nach Eilbek. In eine Wohnung mit kleinem Garten – dem Nachwuchs zuliebe.

Claudia Haessy: „Wenn ich die Wahl habe zwischen Kind und Karriere, nehme ich das Sofa“, Rowohlt Taschenbuch, 9,99 Euro
Claudia Haessy: „Wenn ich die Wahl habe zwischen Kind und Karriere, nehme ich das Sofa“, Rowohlt Taschenbuch, 9,99 Euro © rororo | rororo