Hamburg. Eppendorf mag schick sein und die Schanze hip. Eimsbüttel ist jedoch ein idealer Ort für Familien. Aber zu viele wollen dahin.
Am schönsten ist der Else-Rauch-Platz in der Abendsonne. Wenn alle eigentlich im Begriff zu gehen sind, die letzten Apfel- und Melonenstückchen an die Kinder verteilt und in der Villa am Park die ersten Feierabendgetränke bestellt werden. Und einem mal wieder bewusst wird, wie gut man es hat, als Familie mitten in der Stadt zu leben. In Eimsbüttel. Umgeben von so viel Grün und schmucken Altbauten. Fast wie im Bilderbuch.
Wobei: Ruhig ist es hier eigentlich selten. Der Platz, der zwischen Hartwig-Hesse-Straße und Lutterothstraße verläuft und den Namen einer jüdisch-stämmigen Hamburger Lehrerin trägt, wird auch flapsig Else-Rauf-Platz genannt. Nicht, weil sich seine Besucher so besonders rüpelig verhielten. Aber ab und zu kommt es eben doch zu einer Kollision, wenn Laufradpilot auf Rollerfahrer trifft oder in der Mitte spontan von lärmenden Jungs ein Fußballfeld eröffnet wird. Dort, wo gerade noch kleine Mädchen in Sommerkleidchen die Steine so schön mit Malkreide verziert haben.
Die zuständigen Eltern nehmen’s meist gelassen, gucken höchstens mal streng oder rufen „Hey Theo, pass ein bisschen auf!“, nippen an ihrem Kaffee oder holen Limo-Nachschub aus dem gegenüberliegenden Getränkemarkt. Es ist ein entspanntes Miteinander, wo nicht jeder nur auf sich selbst und seinen Nachwuchs achtet, sondern auch auf andere.
Man kann sich darauf verlassen, dass eine andere Mama schon merken wird, wenn die zweijährige Tochter den Fahrstuhl zur U-Bahn Lutterothstraße gerufen hat und quasi auf dem Weg nach unten ist, während man selber gerade eine kleine Schürfwunde beim Zweitkind versorgt. Oder wenn ein kleiner Ausreißer dabei ist, sich selbst ein Eis zu organisieren. Obwohl mitten in der Stadt an der viel befahrenen Müggenkampstraße gelegen, können sich die Kinder frei bewegen. Es ist ein bisschen wie in Bullerbü. Weshalb der Stadtteil auch den Spitznamen Eimsbullerbü trägt.
Plötzlich zu viert – und nur 60 Quadratmeter
Wie auf einem Marktplatz im Dorf kommt man auf dem Else-Rauch-Platz locker ins Gespräch. Man trifft immer jemand Bekanntes, Nachbarn, Freunde aus der Kita. Regelmäßig finden Anwohner-Flohmärkte und Feste statt. Nur dass die Familien nicht auf idyllischen Bauernhöfen leben wie in der literarischen Vorlage von Astrid Lindgren, sondern zum großen Teil in den umliegenden Altbauwohnungen, die meist um die 70 bis 80 Quadratmeter messen. Deshalb wird auch nicht über die aktuellen Milch-, sondern die immer höher werdenden Quadratmeterpreise, nicht über die anstehende Bürgermeisterwahl, sondern den gerade vielversprechendsten Makler diskutiert. Über allem schwebt die Frage: Und, was macht eure Wohnungssuche?
Auch Jonna Tikkanen (37) wird diese Frage öfter gestellt. Die gebürtige Finnin lebt mit ihrer Familie in einer gut 60 Quadratmeter großen, oder sollte man besser sagen: kleinen Wohnung in der Lutterothstraße. Bezogen hat sie sie mit ihrem damaligen Freund und jetzigen Mann Benjamin Bechtel. „Zu zweit konnten wir hier wunderbar wohnen“, sagt Jonna Tikkanen. Dann kam Otto, der erste Sohn, und es folgte der zweite Sohn, Emil. „Jetzt platzt die Wohnung aus allen Nähten. Auch deshalb mögen wir den Else-Rauch-Platz. Er ist unser zweites Wohnzimmer“, sagt die Geografin.
Und zwar ganz konkret: Da der vierköpfigen Familie Wohnraum fehlt, wird das Familienleben einfach nach draußen verlagert. „Wir sind oft auf Spielplätzen oder in Parks unterwegs“, sagt Jonna Tikkanen, die für eine Nichtregierungsorganisation arbeitet. „Und wir reisen viel, aus beruflichen Gründen, aber auch privat.“ Ihr Mann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg.
„Mittlerweile denken wir in Kubikmetern“
Trotz der räumlichen Enge ist ein Umzug im Moment nicht geplant. „Mittlerweile denken wir in Kubikmetern, nicht mehr in Quadratmetern, wenn es ums Wohnen geht“, sagt die 37-Jährige mit einem Augenzwinkern. „Die gute Nachbarschaft im Haus ist uns viel wert. Eimsbüttel ist fast wie ein Dorf: Die Wege sind kurz, wir können mit dem Rad zur Arbeit fahren. Lange Pendelstrecken wären nichts für uns.“ Das empfindet auch Steffi Mena-Nunez als großes Plus: „Man hat im Umkreis gefühlt zehn Spielplätze, die man zu Fuß erreichen kann. Einkaufsmöglichkeiten liegen vor der Tür. Der Tierpark ist um die Ecke – dort sind wir bei jedem Wetter.“
Die freie Marktforscherin lebt mit Mann und zwei Töchtern im Luruper Weg. Die Familie sucht seit Längerem eine größere Wohnung. Andere Viertel kamen mal ins Gespräch, aber Eimsbüttel habe einfach diese besondere Atmosphäre: „Ich gehe gerne auf die Straße und sehe mir Leute an. Da schaue ich in viele lachende Gesichter“, sagt die 42-Jährige. „Die Häuser sind wunderschön. Es ist einfach ein tolles Gefühl, durch die Straßen zu gehen.“
Und es sei entspannt, ergänzt ihre Freundin Anna-Lena Reimers (35). „Man muss sich nicht ständig Gedanken machen, wie man das Haus verlässt. Ich kann hier im schicken Kostüm zur Arbeit gehen und werde nicht angeglotzt. Und sonntags zum Bäcker in Jogginghose – da guckt auch keiner.“ Die Ärztin, die mit ihrer Familie in der Methfesselstraße lebt, träumt von einer großen Erdgeschosswohnung mit Garten in Eimsbüttel – „ich weiß, dass das fast unmöglich ist. Aber noch habe ich die Hoffnung darauf nicht aufgegeben.“
Neben der besonderen Atmosphäre ist es häufig auch die persönliche Biografie, die mit dem Stadtteil verbindet. Schließlich haben viele Eltern hier schon ihre Studien- oder Ausbildungszeit verbracht. Haben in Wohngemeinschaften gelebt, sind um die Häuser gezogen. Haben sich verliebt und wieder entliebt. Haben ihren ersten Job angenommen, sich fest gebunden, Kinder bekommen.
Das Nicht-loslassen-Wollen von „seinem“ Viertel ist auch immer ein Erinnern an vergangene Zeiten, die vielleicht etwas unbeschwerter waren, weil man nicht vom Teilzeit-Job zur Kita und dann auf den nächsten Spielplatz eilen musste, sondern man am Wochenende ausschlafen und den ersten Kaffee irgendwann nach dem Marktbesuch auf der Grundstraße genießen konnte. Was man während der vielen Jahre vielleicht gar nicht gemerkt hat: dass man sich in Eimsbüttel verliebt hat. In diese alte, gewachsene Schönheit.
Wer gerade jetzt zur ruhigeren Ferienzeit mit dem Fahrrad durch die schmalen, mit Kopfstein gepflasterten Straßen fährt, der atmet buchstäblich die Geschichte des Viertels. Vom kleinen Dorf vor den Toren Hamburgs, das erstmals 1275 urkundlich als „Eymersbuttele“ erwähnt wurde, entwickelte es sich schnell zum begehrten Vorort reicher Städter, die dort ihre großen Landhäuser und prächtigen Gärten bauten. Auch heute erinnern die Namen Alardus, Doormann, Lastrop und Lutteroth auf Straßenschildern an diese Hamburger Familien.
Struktur bei Einkommen und Alter ist homogen
1874 hatte Eimsbüttel bereits 9000 Einwohner, 1894 wurde es Hamburger Stadtteil – der zweitgrößte nach Barmbek. Im Zuge der Industrialisierung entstanden um 1900 Mietskasernen und Arbeiterquartiere, die neben den großzügigen Bauten aus der Jahrhundertwende bis heute das Bild des Stadtteils prägen und ihm zu seinen interessanten Brüchen verhelfen. Wie besonders die Atmosphäre ist, merkt man auch beim Verlassen des Stadtteils.
Wenn man sich auf einem Spielplatz oder in einem Kinderturnkurs in Eppendorf neben lauter Au-pair-Mädchen wiederfindet und kaum ein gemeinsames Gesprächsthema findet. Oder beim Einkaufen in Billstedt, wo eine Mittdreißigerin von Passanten für die Großmutter ihrer beiden Söhne gehalten wird. Dagegen gilt man als ergrauter Eimsbüttler Papa, der auf der neu gebauten Skaterbahn am Spielplatz Eidelstedter Weg sein Brett bewegt, keineswegs als Exot. Man ist in Eimsbüttel unter seinesgleichen, die Bevölkerung hat hier eine relativ homogene Struktur, was Alter und Einkommen angeht. Viele Mütter haben studiert und arbeiten in Teilzeit. Zugleich sieht man immer häufiger Väter ihre Kinder aus den Kitas abholen. Gleichberechtigung und eine liberale Einstellung sind hier selbstverständlich.
Logisch, dass hier keiner wegwill. Für viele Familien, die in Eimsbüttel beheimatet sind, gilt das Motto: Wenn umziehen, dann nur innerhalb des Viertels. Sonst kann man auch gleich die Stadt wechseln. Zur gleichen Zeit drängen Familien aus anderen Stadtteilen oder von außerhalb in das als kinderfreundlich bekannte Viertel und konkurrieren um den knappen Wohnraum.
Es wird enger im Kinderparadies
Kurzum: Es wird enger im Kinderparadies. Schon jetzt hat Eimsbüttel die meisten Einwohner pro Quadratmeter in Hamburg. Der Wohnungsmarkt gibt schlichtweg nicht genügend großen oder nur völlig überteuerten Wohnraum her, was zum Teil an der historischen Bebauung mit vielen knapp geschnittenen Arbeiterwohnungen liegt. Wer nicht zur vermögenden Erbengeneration gehört oder im Lotto gewonnen hat, muss sich entscheiden: in der allmählich zu klein werdenden Wohnung aushalten oder doch an den Stadtrand, in die Vororte oder nach Schleswig-Holstein ziehen, wo die Immobilienpreise noch nicht so überzogen sind wie im Hamburger Zentrum. Diesen Trend gibt es nach wie vor.
Doch Axel-H. Wittlinger sieht das gegenläufige Modell ebenso stark ausgeprägt: „Viele Eimsbüttler Eltern wünschen sich ein aktives Leben und wollen viel unternehmen. Der Stadtteil bietet ihnen nicht nur eine große Auswahl an Kindergärten, Schulen und Spielplätzen, sondern auch Zentralität und Urbanität“, sagt der Vorsitzende des Immobilienverbands Deutschland (IVD) Nord. „Und sie sind bereit, dafür einiges auszugeben. Viele von ihnen haben doppeltes Einkommen bei zwei Kindern. Eimsbüttel ist kein armes Viertel.“
Besonders die Osterstraße hat sich in den vergangenen Jahren von einer etwas vernachlässigten Einkaufsstraße zu einer schicken Shopping- und Vergnügungsmeile entwickelt. Boutiquen wie Oak, Stanley & Lovely und Classico bedienen den Geschmack modisch bewusster Mamas und Papas. Beim Portugiesen Café Estoril oder im französischen Café Delice trinkt man seinen Milchkaffee. Zum Lunch geht’s in Deutschlands beliebtestes Restaurant L’Orient (nach Yelp-Bewertungen), auf einen Falafel-Teller ins Azeitona oder einen Drink ins Vineyard. Der Abschnitt zwischen Heußweg und Schulweg bietet alles für den abendlichen Hunger, vom Italiener bis zum Asiaten. Wer auf ambitionierte deutsche Küche steht, wird im Heimatjuwel am Stellinger Weg glücklich. Zum Eppendorfer Weg mit seinen kleinen charmanten Läden, Cafés und Bars ist es nicht weit. Und selbst ins Holi-Kino gelangt man mit der U-Bahn in wenigen Minuten.
Was aber den besonderen Reiz für Familien dabei ausmacht: Für Gastronomen wie für Ladenbesitzer ist es mittlerweile selbstverständlich, auch den Nachwuchs zu bedienen, angefangen beim Stück Milchbrötchen in der Kleinen Konditorei an der Osterstraße bis zur Scheibe Jagdwurst beim gegenüberliegenden Schlachter Hans Wagner. Das Café Osterdeich an der Müggenkampstraße weist zwar darauf hin, dass bitte keine Kinderwagen ins Café gefahren werden, ansonsten sind Kinder ausdrücklich willkommen.
Justizsenator trinkt hier gern Café cortado
Das Gleiche gilt für das Due Baristi am Langenfelder Damm: Mütter, die mit ihren Babys zum Frühstücken kommen, gehören ebenso zur Normalität wie Justizsenator Till Steffen von den Grünen, der hier gern seinen Café cortado trinkt. Die erst kürzlich eröffnete Weinbar Vin Aqua Vin am Hellkamp nehmen am Nachmittag regelmäßig Mütter mit ihren Buggys in Beschlag. Im griechischen Restaurant Naoussa am Luruper Weg stellt man nicht nur automatisch einen Kinderstuhl an den Tisch, sondern serviert auch kleine Schnapsgläser mit Zitronenlimonade für die kleinen Gäste. Und wenn es mal laut wird draußen auf der Terrasse und Pommes frites auf dem Boden liegen – so what?
Die Gründe, warum so viele an ihrem gewohnten Kiez festhalten, sind laut Wittlinger ebenso emotional wie pragmatisch: „Man hat sich als Familie ein Leben aufgebaut, die Kinder finden Freunde, haben ihren Sportverein. Das alles will man natürlich nicht noch einmal komplett neu aufbauen müssen.“ Und er gibt zu bedenken: „Auch ein Umzug in eine größere Wohnung in einem anderen Stadtteil muss nicht günstiger werden. Denn die steigenden Mieten sind nicht nur für Eimsbüttel, sondern für alle zentralen Viertel typisch.“
In Eimsbüttel liegt der Quadratmeterpreis je nach Lage bei 10 bis 15 Euro (netto/kalt), im Generalsviertel am Eppendorfer Weg, das schon zu Hoheluft-West zählt, steigt der Preis sogar auf 17 Euro. Nicole Hoffmann ist seit vielen Jahren mit ihrem Maklerbüro Frank Hoffmann Immobilien GmbH & Co. KG in der Gärtnerstraße ansässig und hat die Entwicklung des Viertels verfolgt. „Noch vor rund zehn Jahren lag der Quadratmeterpreis für Mietwohnungen bei sieben oder acht Euro. Und für so manche Eigentumswohnung konnte ich keinen Käufer finden – heute unvorstellbar.“
Gerade habe sie eine etwa 100 Quadratmeter große, renovierungsbedürftige Altbauwohnung in der Gneisenaustraße verkauft. Den Wunschpreis von 630.000 Euro hätten 20 Interessenten auf einen Schlag bezahlt. „Das hat mich schon sehr erstaunt“, sagt Nicole Hoffmann, die ihren Beruf unter diesen Umständen nicht mehr als Vermittlerin von Wohnraum betrachtet.
Preise bei Vermietungen um 60 Prozent erhöht
„Vielmehr sind wir damit beschäftigt, geeignete Objekte zur Vermietung oder zum Verkauf heranzuschaffen, um der riesigen Nachfrage gerecht zu werden.“ Warum ausgerechnet der westliche Stadtteil bei Familien so angesagt sei? „Der Lifestyle ist sehr besonders. Eimsbüttel ist nicht so hip wie die Schanze und nicht so schick wie Eppendorf, sondern bodenständig. Aber gerade das schätzen viele“, so die Maklerin.
Laut Hauke Kruse, der in Hamburg als vereidigter Sachverständiger arbeitet, haben sich die Preise bei Wohnungsvermietungen in Eimsbüttel in den vergangenen zehn Jahren um bis zu 60 Prozent erhöht. Die Preise für Eigentumswohnungen haben sich verdoppelt, die Bodenpreise gar verdreifacht. Eigentlich ein Grund, dem Viertel den Rücken zu kehren. „Das Gegenteil ist der Fall“, sagt Kruse, der selbst lange Zeit in Eimsbüttel gelebt hat und heute in Niendorf wohnt. „Mieter und Käufer scheuen hier keine hohen Kosten für Wohnraum, und das ist wiederum der Grund, warum man als Eigentümer in die Sanierung und Verschönerung der Häuser investiert.“
Dieses Bestreben ist an vielen Ecken des Viertels spürbar, etwa in der Sartoriusstraße, der Hartwig-Hesse-Straße, der Ottersbekallee, der Eichenstraße oder der Tornquiststraße. Als Fußgänger kommt man manchmal aus dem Staunen nicht heraus, mit wie viel Bewusstsein für das bauliche Erbe und Liebe zum Detail saniert und restauriert wird. Da gibt es wunderschöne Türeingänge mit Jugendstil-Ornamenten, prächtige Hausfassaden in Kaisergelb mit abgesetztem weißen Stuck, elegante Balkone. Dazwischen das viele Grün, etwa der schöne Park Am Weiher, die Wiesen rund um die Isebek. Nirgendwo sind die Spielplätze idyllischer eingebettet als in Eimsbüttel: Man nehme da nur den neu errichteten Piraten-Spielplatz in Wehbers Park, den Apostelkirchen-Spielplatz oder den Platz am Hellkamp mit dem netten portugiesischen Café Die Pampi gegenüber. Auch wer sich über manch Schräges und Krummes im Inneren von Altbauwohnungen ärgert – er wird genauso durch deren Lage und Charme wieder versöhnt. Ein Charme, den eine Langenhorner Neubausiedlung niemals erreichen wird.
Ein Kleingarten kann eine Zwischenlösung sein
Bis Familien geeigneten Wohnraum gefunden haben, können schon mal Jahre vergehen. In der Zwischenzeit sucht man nach Auswegen. Einer davon ist die Anschaffung eines Kleingartens möglichst in der näheren Umgebung. Wer sich bei einer Kolonie auf eine Warteliste setzen lässt – nichts geht in Eimsbüttel mehr ohne Warteliste, das gilt sogar für die Aufnahme in eine der zahlreichen Fußballmannschaften beim Eimsbüttler Turnverein –, kann mit etwas Glück und Geduld eine Parzelle auf Zeit pachten. Und sich zumindest dort den Traum vom Eigenheim mitten in Eimsbüttel erfüllen.
Kleine Holzhäuser gibt es im Baumarkt ab 2500 Euro. Aber auch da sind die Grenzen nach oben offen: Ein schickes graues oder karminrotes Schwedenhäuschen mit kleiner Küche und Sofa-Ecke kann auch schon bis zu 12.000 Euro kosten. Manch einer mietet sich auch ein kleines Ferienhaus für die Wochenenden. Axel-H. Wittlinger vom IVD Nord weiß, dass gerade Friedrichskoog an der Nordsee bei Hamburgern ein sehr beliebter Ort dafür ist. „Dort sind die Mieten und Kaufpreise für Ferienwohnungen und -häuser noch relativ erschwinglich. Viele Städter fahren bereits Freitag aufs Land und kommen erst Montag früh zurück, um dem Rückreiseverkehr am Sonntag zu entgehen und das Wochenende so lange wie möglich auszudehnen.“ Kleine Fluchten aus der beengten Großstadtwohnung.
Wohnungsknappheit in Hoheluft-West
Wie in jeder Krise gibt es nicht nur Verlierer wie die Familien, die sich zusehends abgehängt fühlen vom anbietergesteuerten Wohnungsmarkt, obwohl ein durchschnittliches Einkommen vorhanden ist. Sabine Stiller (48) hat aus der Not ein Konzept gemacht. Mit ihrem Mann und den beiden Kindern von der Wohnungsknappheit in Hoheluft-West selbst betroffen, gründete sie vor einigen Jahren ihre Firma „4 Zimmer 6 Räume“. Die erfahrene Inneneinrichterin berät Menschen, die aus ihrer bestehenden Wohnsituation mehr machen wollen, sei es für die Kinder oder für einen Platz zum Arbeiten. „Meine Auftragslage ist dichter denn je“, sagt die Raumplanerin. „Ich habe mit meiner Idee wohl einen Nerv getroffen.“
Besonders viele Aufträge erhält sie aus dem Stadtteil Eimsbüttel. „Meine Kunden sind Familien, die nicht an den Stadtrand oder in die Vororte umziehen, sondern in ihrem gewohnten Umfeld bleiben wollen.“ Das Problem vieler Altbauten sei der sogenannte Hamburger Knochen: zwei ineinander übergehende Zimmer, die meist nur durch eine Flügeltür getrennt sind. Dazu kommen schmale Bäder und Flure. „Die Grundrisse von Altbauwohnungen sind nicht ideal für heutige Familien“, sagt Sabine Stiller.
Um trotzdem das Unmögliche möglich zu machen, ermittelt die Expertin zunächst den jeweiligen Bedarf ihrer Kunden. „Ein Großteil meiner Arbeit besteht aus Zuhören. Ich bin Ansprechpartner bei vielerlei Problemen, denn ich habe aufgrund meiner eigenen Situation auch eine Menge Erfahrung mit der Umgestaltung von Wohnraum.“ Ihre häufigsten Tipps: die Bereiche Wohnen, Essen und Küche miteinander verbinden, um neue Räume frei zu machen. Ebenso lassen sich beim Hamburger Knochen Ess- und Schlafzimmer ideal kombinieren.
Wie man mehr Platz zaubert
„Und dann sollte man die hohen Decken bei Altbauten nutzen und in die Höhe gehen: sei es, dass man einen Dachboden in ein Zimmer zieht, mit Etagenbetten Platz spart oder mit Schränken und Regalen eine Menge Stauraum schafft“, sagt Sabine Stiller.
Gerade habe sie in einer Wohnung das klassische Dienstmädchenzimmer wieder aktiviert. Die ehemalige Kammer hat ein Fenster und brauchte nur noch ein Hochbett und einen Schreibtisch, damit die älteste Tochter ihr eigenes Reich bekam. „Es kommt nicht nur auf die Quadratmeterzahl an“, weiß die Expertin. „Kinder fühlen sich in großen Räumen gar nicht immer wohl.“ Viel wichtiger sei es, dass sie den Boden frei zum Bauen und Spielen sowie eine Tür zum Schließen hätten.
Gemischte Gefühle
Für Katrin Lorenzen und ihre Familie kommen solche Hilfen zu spät. Die freiberufliche Grafikdesignerin wohnt seit mehr als 14 Jahren in der Müggenkampstraße. 2003 zog sie mit ihrem damaligen Freund von Hannover hierher, 2009 heiratete das Paar und zog innerhalb der Straße um. 2012 kam ihre Tochter zur Welt.
„Als in unserem Haus eine größere Wohnung frei wurde, zogen wir in eine knapp 80 Quadratmeter große Wohnung um“, sagt Katrin Lorenzen. „Aber seit unsere zweite Tochter auf der Welt ist, wird es uns langsam zu eng. Wie sind am Anschlag.“ Ihr Mann, Geschäftsführer einer Event-Firma, habe schon länger nach Eigentum gesucht, aber im Stadtteil Eimsbüttel nicht gefunden. So kam schließlich Niendorf ins Spiel – immerhin noch im Bezirk Eimsbüttel.
Das Paar erwarb eine Doppelhaushälfte mit Garten in einem Neubau am Bandkampsweg. Mitte September soll das 100 Quadratmeter große Objekt über zwei Etagen bezugsfertig sein. Die 37-Jährige sieht ihrem Umzug mit gemischten Gefühlen entgegen. Auf der einen Seite freue sie sich über mehr Platz für sich und die Familie (als Freiberuflerin arbeitet sie meist von zu Hause). Auf der anderen Seite werde sie die alte Heimat sehr vermissen.
Heimat zu verlassen fällt schwer
„Mit Kindern hängt ja viel mehr an einem Ortswechsel, als wenn man als Paar umzieht“, sagt Katrin Lorenzen. „Wir müssen die Kitas für beide Töchter wechseln und werden auch viele unserer Freunde nicht mehr so häufig sehen. Der Friseur nebenan kennt die Mädchen schon so lange. Die Ältere hat gerade an einem Ballettkurs im Eimsbütteler Turnverein großen Gefallen gefunden. Ich hoffe, dass ich einige unserer lieb gewonnenen Rituale werde weiterführen können.“
Immerhin ist das neue Heim in Niendorf nur wenige Gehminuten von der U-Bahn-Station Joachim-Mähl-Straße entfernt. Und die Nachbarn hätten sie auch schon kennengelernt: Die einen seien aus der Hartwig-Hesse-Straße, die anderen vom Hellkamp nach Niendorf gezogen. „Auf unserem Grundstück befindet sich also Klein-Eimsbüttel“, freut sie sich.
Auch für sie waren die Spielplätze Teil ihres Zuhauses geworden. „Man kann nachmittags einfach so auf den Spielplatz gehen, ohne sich verabreden zu müssen. Wir treffen immer jemanden, den wir kennen. Ich kann mir noch nicht vorstellen, dass das in Niendorf genauso sein wird.“ Nun heißt es für sie Abschied nehmen aus Eimsbullerbü. „Ich weiß, dass unser neues Zuhause nur ein paar U-Bahn-Stationen von unserer jetzigen Wohnung entfernt ist. Aber trotzdem bin ich ein bisschen traurig. Es wird eben doch ganz anders sein.“