Hamburg. Wenn die CDU vor der SPD landet, wäre das ein Signal des Aufbruchs. FDP-Fraktion sucht Nachfolger für Vorsitzende Suding.

Die CDU ist in Hamburg wahrlich nicht auf Rosen gebettet. Seit dem Absturz auf den historischen Tiefstand von 15,9 Prozent bei der Bürgerschaftswahl 2015 sitzen nur noch 20 Christdemokraten im Landesparlament – weit entfernt vom Selbstanspruch einer Volkspartei. Doch mit Blick auf die Bundestagswahl an diesem Sonntag wittern viele in der CDU Morgenluft.

Die anhaltende und dramatische Schwäche der SPD auf Bundesebene und die relative Stabilität der Merkel-Union könnten dazu führen, dass die CDU bei den Zweitstimmen in Hamburg vor der SPD liegt. Das wäre in dem von der Scholz-SPD ansonsten dominierten Stadtstaat ein kräftiges Signal des Aufbruchs. Vor vier Jahren gab es ein Kopf-an-Kopf-Rennen, nur dass damals die Sozialdemokraten mit 32,4 zu 32,1 Prozent knapp die Nase vorn hatten.

Kurz vor der Öffnung der Wahllokale verleiht nun eine Umfrage den Hoffnungen der Christdemokraten geradezu Flügel. Im Auftrag von Radio Hamburg ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Trend Research erstmals tatsächlich einen kleinen Vorsprung der CDU. Danach würden am Sonntag 29 Prozent CDU wählen, 28 Prozent hingegen die SPD, gefolgt von den Linken mit zwölf Prozent, der FDP mit zehn, den Grünen mit acht und der AfD mit sechs Prozent.

SPD verzichtet auf traditionellen Wahlkampfendspurt in Hamburg

Nun bedeutet ein Unterschied von einem Prozentpunkt bei Umfragen fast nichts, weil er innerhalb der üblichen Fehlertoleranz liegt. Die Online-Befragung von gut 600 Hamburgerinnen und Hamburgern wird überdies nicht von allen als repräsentativ anerkannt, aber egal: Es ist Wahlkampf, und da zählt nun einmal jedes Argument. Nicht zuletzt ist Wahlkampf eben auch Psychologie. Und CDU-Landeschef Roland Heintze ist pfiffig genug, um jede Chance zur Mobilisierung zu nutzen. Und so erwähnte er die Umfrage bei der Wahlkampf-Schlusskundgebung mit Angela Merkel am Mittwoch in der Fischauktionshalle ausdrücklich und rief dann unter dem Beifall der rund 3000 Besucher: „Wir haben die historische Chance, hier knapp vor der SPD zu liegen.“

Apropos Schlusskundgebung: Die SPD verzichtete diesmal auf diesen eigentlich traditionellen Endspurt des Wahlkampfes an Alster und Elbe. Vor vier Jahren gab der Hamburger SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf dem Domplatz sein Bestes im aussichtslosen Rennen – noch dazu zeitlich parallel zu Angela Merkel, die auch damals die Fischauktionshalle bevorzugte. Ältere erinnern sich an den Auftritt des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), der zum Wahlkampfendspurt Mitte September 2005 erst 7000 Menschen in die Messehallen brachte und sie dann mit seiner Rede trotz oder wegen erheblicher Heiserkeit elektrisierte.

Und jetzt? Nichts, jedenfalls nicht in Hamburg. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz krempelte am Donnerstag in Hannover seine Ärmel auf. Schulz war am 31. August zuletzt in Wahlkampfmission in Hamburg, das ist bemerkenswert lang her. Nun mag es so sein, dass Olaf Scholz seinem Parteifreund Schulz bedeutet hat, er regele den Rest schon allein im „roten“ Hamburg. Mag auch sein, dass Schulz und Scholz gemeinsam zu der Überzeugung gelangt sind, für die SPD sei der Erfolg in Hamburg ohnehin sicher, an anderer Stelle könne man mehr Unentschlossene überzeugen.

Was die Lage hier angeht, könnte sich das als gefährliche Fehleinschätzung herausstellen. „Wir haben uns vorgenommen, in allen sechs Hamburger Wahlkreisen vorne zu liegen“, sagte Scholz Mitte der Woche im Abendblatt-Interview. Alle Direktmandate zu holen, ist der Selbstanspruch der SPD bei jeder Bundestagswahl, doch diesmal dürfte es besonders schwierig werden.

Vor vier Jahren ging nur der Wahlkreis Hamburg-Nord verloren, den der CDU-Grande Dirk Fischer der SPD entriss. Aber knapp war es auch in Wandsbek, wo sich Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD) nur mit einem Abstand von 2,8 Prozentpunkten gegen ihren CDU-Konkurrenten durchsetzte. Noch knapper ging das Rennen in Altona aus: Hier lag Matthias Bartke (SPD) nur 2,5 Prozentpunkte vor Marcus Weinberg (CDU). Aber damals wurde die SPD in Umfragen kurz vor der Wahl bundesweit bei 26, 27 Prozent taxiert (und landete schließlich bei 25,7 Prozent) und nicht bei 22 Prozent wie jetzt.

Drei Direktmandate für die CDU wären ein Riesenerfolg

Der SPD zwei oder gar drei Direktmandate abzujagen, wäre für die CDU ein Riesenerfolg. Trotzdem sagt CDU-Landeschef Roland Heintze: „Für uns ist es wichtig, stärkste Partei in Hamburg zu werden.“ Das ist neben dem symbolischen Erfolg auch aus einem wahlpraktischen Grund von Bedeutung: Erst am Donnerstag stellte sich heraus, dass Hamburg aufgrund seiner Bevölkerungszahl nicht mehr mindestens 13, sondern nur noch zwölf Bundestagsmandate zustehen. Rechnerisch spricht einiges dafür, dass SPD (bislang fünf) und CDU auf je vier Mandate kommen und Grüne (bislang zwei), FDP, Linke und AfD auf je eins. Sollte es Verschiebungen geben, weil etwa eine der kleinen Parteien überraschend schlecht abschneidet, kommt es darauf an, wer von SPD und CDU bei den Zweitstimmen vorn liegt.

Sollte die SPD allerdings zum Beispiel fünf oder sechs Direktmandate holen, wären das vermutlich Überhangmandate, für die Ausgleichsmandate fällig würden. Dann müsste die Rechnung bundesweit völlig neu aufgemacht werden. Am Ende könnte Hamburg sogar 15 Abgeordnete nach Berlin schicken.

Es spricht alles dafür, dass die FDP-Spitzenkandidatin Katja Suding eine der Abgeordneten ist, die in den nächsten Bundestag einziehen werden. Für die liberale Bürgerschaftsfraktion, deren Vorsitzende Suding ist, bedeutet das, dass sie einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin wählen muss. Gar nicht so einfach, und deswegen tut die FDP alles, die Diskussion darüber auf möglichst niedriger Flamme zu halten.

Der Andrang ist groß: Zurzeit werden drei der neun Abgeordneten als Kandidaten gehandelt: Fraktionsvize Anna von Treuenfels-Frowein, der Parlamentarische Geschäftsführer Michael Kruse und der Verkehrsexperte Wieland Schinnenburg, der aber bei einem sehr guten Ergebnis der FDP sogar noch in den Bundestag kommen kann. Doch Schinnenburg hat nur Außenseiterchancen, während Treuenfels-Frowein und Kruse gleich viele Unterstützer haben sollen. Diese Patt-Situation könnte dazu führen, dass ein lachender Dritter die Kandidatenbühne betritt. Denkbar wäre Innenexperte Carl-Edgar Jarchow.

Etwas einfacher hat es da die AfD: Auch der Wechsel von Bürgerschafts-Fraktionschef Bernd Baumann nach Berlin gilt als wahrscheinlich. Aber die AfD-Fraktion hat ja noch einen zweiten Vorsitzenden: Jörn Kruse. Und der bleibt.