Hamburg. Ein ehemaliger Regionalleiter des Sozialdienstes und sein Komplize sind in 49 Fällen angeklagt. Es geht um rund 300.000 Euro.

Dieser Betrugsfall erschütterte die rund 1500 Mitarbeiter des Bezirksamts Mitte und sorgte im November vergangenen Jahres für Schlagzeilen: Ein Regionalleiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) soll gemeinsam mit einem Komplizen, einem freien Mitarbeiter des Jugendamts, allein im Zeitraum von August 2011 bis Juli 2015 das Jugendamt um rund 300.000 Euro betrogen haben. Das Geld sollen sie sich über fingierte Hilfefälle des ASD erschlichen haben.

Nach Abendblatt-Informationen hat die Staatsanwaltschaft Hamburg deswegen inzwischen Anklage gegen die beiden wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen schweren Betruges in 49 Fällen erhoben. Im Fall des Regionalleiters kommt schwere Untreue hinzu, im Fall des Komplizen Beihilfe zu schwerer Untreue. Das bestätigte Oberstaatsanwältin Nana Frombach auf Anfrage.

Angeklagte haben Geständnisse abgelegt

Ein Termin für einen Prozess vor dem Landgericht steht noch nicht fest. „Den Angeklagten droht für jede Einzeltat eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Aus diesen Einzelstrafen müsste bei einer Verurteilung eine Gesamtstrafe gebildet werden, deren Obergrenze bei 15 Jahren liegt“, so Frombach. Die beiden Angeklagten haben dem Vernehmen nach umfassende Geständnisse abgelegt.

In einem Schreiben seines Rechtsanwalts an das Bezirksamt Mitte legte der Regionalleiter „Wert auf die Feststellung“, dass es keine „weiteren Mittäter oder Gehilfen“ gegeben hat, weder „in der Behörde noch sonst wo“.

Allerdings gibt das Schriftstück auch Aufschluss darüber, dass es ihm offensichtlich jahrelang leicht gemacht wurde, das Bezirksamt um einen hohen Geldbetrag zu prellen. Es habe in der Dienststelle des Beschuldigten keinerlei Vier-Augen-Prinzip oder effektive Kon­trollen gegeben.

Angeklagter will Schaden „tilgen“

Aber der Regionalleiter zeigt in dem Schreiben auch Reue: Er sehe sein bisheriges Leben aus eigener Schuld als zusammengebrochen an, heißt es weiter. Der Angeklagte will „soweit möglich den Schaden tilgen“.

Seitdem der Betrugsfall bekannt ist, stellen sich viele Kollegen des Angeklagten die Frage, wofür die sechsstellige Summer verbraucht wurde. Das Geld sei für Lebensunterhalt, Schuldentilgung und für Reisen ausgegeben worden, heißt es in dem Schriftstück.

Unklar ist, warum die Staatsanwaltschaft jetzt bei der Anklage nur den Zeitraum von August 2011 bis Juli 2015 berücksichtigt hat und von rund 300.000 Euro die Rede ist. Zunächst gab es Informationen, wonach der Betrug bereits im Jahr 2004 begonnen habe und ein Schaden von bis zu einer halben Million Euro entstanden sei.

Auf Abendblatt-Anfrage wollte sich Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) zu der Anklage „wegen des laufenden Verfahrens“ nicht äußern. Allerdings sagte Droßmann: „Wir sind nach wie vor entsetzt über das Vorgehen des ehemaligen leitenden ASD-Mitarbeiters und seines Komplizen.“ Die Innenrevision der Finanzbehörde sei mit der Aufarbeitung dieses Falls beschäftigt und prüfe, wie es im Jugendamt Mitte zu diesen Betrügereien kommen konnte.

Droßmann veranlasste Löschung von Passwörtern

Den Betrug durch den leitenden Mitarbeiter hatte Droßmann, der das Bezirksamt seit März 2016 leitet, im November 2016 öffentlich gemacht. Doch M. war schon vorher aufgefallen. „Ich erinnere mich, dass das Jugendamt von einem Hinweis auf Auffälligkeiten in der Bearbeitung eines Einzelfalls beim ASD berichtet hat“, sagte nach Bekanntwerden des Betrugsfalls der Innensenator und frühere Bezirkschef Andy Grote (SPD), der vor Droßmann das Bezirksamt bis Januar 2016 geführt hatte. Und weiter: „Der Verdacht einer Straftat wurde nicht geäußert. Die in solchen Fällen übliche Prüfung hat, soweit ich mich erinnere, auch nur fachliche Versäumnisse ergeben.“

Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatte Droßmann veranlasst, dass aus Sicherheitsgründen die persönlichen Passwörter der rund 1500 Mitarbeiter, die als Zugang zu den Computern der Behörde dienen, gelöscht und neue ausgegeben wurden. Der Grund für diese Maßnahme stand im Zusammenhang mit dem Betrug im Jugendamt.

Denn es gab damals einen weiteren Verdacht: Als im Jugendamt von 2012 an eine neue Software eingesetzt wurde, soll der Regionalleiter weitere Fälle über den Account von Kollegen angelegt haben. Zu dem Zeitpunkt, als diese angelegt wurden, soll zum Beispiel ein betroffener Mitarbeiter im Urlaub gewesen sein. Offensichtlich soll sich der Angeklagte mit dessen Passwort in das Programm eingeloggt haben.

Dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den ASD-Mitarbeiter erhoben hat, begrüßt die Politik: „Der Angeklagte war für viele in der Jugendhilfe im Bezirk ein geschätzter Kollege. Umso erschütterter sind wir über das hohe Maß an krimineller Energie und Skrupellosigkeit, mit dem er die Stadt betrogen haben soll“, sagte Ralf Neubauer (SPD), Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses Hamburg-Mitte. Deshalb sei es wichtig, dass die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben habe und das sich das Landgericht mit diesem Betrugsfall beschäftigen werde.