Altstadt. Betrug im Bezirksamt Mitte: Ein leitender Mitarbeiter der Jugendhilfe soll 500.000 Euro unterschlagen haben. Offenbar hatte er Komplizen

Ulrich Gassdorf

Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) des Bezirks Mitte steht erneut im Zentrum eines Skandals. Ein 54 Jahre alter Mitarbeiter – sein Name ist dem Abendblatt bekannt – soll seit 2004 insgesamt rund eine halbe Million Euro veruntreut haben. Nach Informationen aus gut informierten Kreisen ist der Mann untergetaucht. Er könnte sich ins Ausland abgesetzt haben. Dem Vernehmen nach ist er ein leitender Mitarbeiter des ASD.

Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) wandte sich am Mittwoch an die Öffentlichkeit und sagte: „Wir alle sind schockiert über die Vorwürfe, die hier im Raum stehen.“

Der betroffene Mitarbeiter soll sich Jugendhilfe-Fälle ausgedacht, diese ins System gespeist und dafür gesorgt haben, dass für gar nicht erbrachte Leistungen Geld bezahlt wurde. Die Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE) der Polizei ist mit dem Verfahren befasst, auch die Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet. In den Räumen des Bezirksamts am Klosterwall gegenüber vom Hauptbahnhof hat es mehrere Hausdurchsuchungen gegeben.

Das Verfahren zur Beantragung von Geldern unterliegt einem mehrstufigen Bewilligungssystem. Nachdem ein Bedarf gemeldet wurde, wird die konkrete Unterstützung ermittelt. Anschließend wird ein freier Träger der Jugendhilfe mit einer bestimmten Hilfeleistung beauftragt. Damit diese bewilligt wird, muss die Abteilung Wirtschaftliche Jugendhilfe zustimmen. An dem Prozess der Bewilligung von Hilfen zur Erziehung sind also mehrere Mitarbeiter beteiligt. Dennoch richteten sich die Ermittlungen bisher nur gegen einen Mitarbeiter, sagte Droßmann und gab zu: „Trotzdem müssen wir uns bei unserer Aufarbeitung der Vorgänge mit der Frage beschäftigen, ob unsere Sicherungsmechanismen ausreichen.“

Um die „laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden“, möchte sich die Staatsanwaltschaft nicht dazu äußern, ob gegen den Verdächtigen auch ein Haftbefehl vorliegt. Auch, ob es Ermittlungen gegen weitere Mitarbeiter oder externe Träger der Jugendhilfe gibt, wollte die Behörde nicht sagen. Dass der Mann ohne Hilfe von Dritten agiert hat, ist angesichts der Bewilligungspraxis aber schwer vorstellbar.

Bezirkspolitiker sind empört über die öffentlich gewordenen Vorwürfe: „Das ist ein Fall von dreister Untreue, der zügig aufgeklärt werden muss. Trotz aller Kontrollmechanismen, konnte der Mitarbeiter offensichtlich große Geldsummen beiseiteschaffen“, sagte Grünen-Fraktionschef Michael Osterburg. In Zukunft müsse es noch häufiger Stichproben geben, damit sich so ein Vorfall nicht wiederholt, sagte der Politiker weiter. CDU-Vizefraktionschef Matthias Lloyd forderte: „Wir brauchen jetzt eine lückenlose Aufklärung. Es muss natürlich geklärt werden, wieso es überhaupt zu einer Veruntreuung in diesem Ausmaß kommen konnte.“

Es ist nicht das erste Mal, dass das Jugendamt des Bezirksamts Mitte für Schlagzeilen sorgt. Vor vier Jahren war es der Fall Chantal: Die Elfjährige war im Januar 2012 in der Obhut ihrer drogensüchtigen Pflegeeltern an einer Überdosis des Ersatzstoffes Methadon gestorben. Da das Kind unter der Aufsicht des Jugendamts Mitte stand, mussten sowohl die damalige Jugendamtsleiterin als auch der ehemalige Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) gehen. Und auch im Fall der drei Jahre alten Yagmur, die im Dezember 2013 an inneren Blutungen infolge eines Leberrisses gestorben war, wurde dem Bezirksamt Mitte eine Mitverantwortung gegeben. Es sollen mehrere Fehlentscheidungen getroffen worden sein, die „das Entdeckungsrisiko für den/die Täter erheblich vermindert haben“, hieß es später in dem Bericht der Jugendhilfeinspektion. Die Täter waren in diesem Fall die eigenen Eltern des Kindes (das Abendblatt berichtete).

Und nun die Vorwürfe der Veruntreuung gegen einen leitenden Mitarbeiter: „Die Anschuldigungen wiegen schwer, die Folgen für die Arbeit des ASD sind nicht absehbar“, sagte Droßmann am Mittwoch. Der Bezirksamtsleiter, der seit Februar dieses Jahres im Amt ist, stellte sich vor seine übrigen Mitarbeiter: „Wir können heute nur dafür werben, nicht alle unter Generalverdacht zu stellen.“ Vor seiner öffentlichen Stellungnahme am frühen Mittwochnachmittag hatte sich Droßmann bereits zu einem ausführlichen Gespräch mit den ASD-Regionalleitern getroffen. Dem Vernehmen nach hatte der beschuldigte Mitarbeiter, der das Geld veruntreut haben soll, einen guten Ruf im Bezirksamt. Unterdessen kündigte Bezirksamtsleiter Droßmann am Mittwoch an: „Durch Aufklärung und gute Arbeit werden wir uns darum bemühen, verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen.“