St. Pauli. Das Abendblatt fragt immer freitags die Menschen in der Stadt, worüber sie sich ärgern oder freuen. Heute Teil 18: Anna-Lena Rohbeck.
Trotz Hochschulstudiums keinen Job zu finden – das beschäftigt die 27 Jahre alte Textilingenieurin Anna-Lena Rohbeck. Die gebürtige Aachenerin, die 2008 zum Studieren nach Hamburg kam, arbeitet zurzeit im Musikgeschäft Hanseplatte am Neuen Kamp auf St. Pauli. Sie sorgt sich um den Zusammenhalt in der Gesellschaft und setzt sich für Nachhaltigkeit ein. Es sind Menschen wie sie, die in dieser Abendblatt-Reihe erzählen, was sie umtreibt, Menschen ohne politisches Amt oder Sprecherfunktion.
Frau Rohbeck, was bewegt Sie gerade?
Anna -Lena Rohbeck: Die Jobsuche.
Die gestaltet sich schwierig?
Rohbeck: Ja, genau. Ich habe einen Master in Textilingenieurwesen gemacht und mich in meiner Abschlussarbeit mit der Frage beschäftigt, wie hoch der Anteil der Textil- und Bekleidungsindustrie an der Verschmutzung der Meere ist. Das ist natürlich ein absolutes „In“-Thema gerade. Trotzdem ist es schwer, in dem Bereich einen Job zu kriegen, wenn man direkt von der Uni kommt.
Werden in Ihrer Branche viele Praktika erwartet?
Rohbeck: Ich glaube, es wird generell Berufserfahrung erwartet. Ich habe jetzt acht Jahre studiert und nebenbei viel als DJane aufgelegt und an der Bar gearbeitet, weil ich mich anders nicht finanzieren konnte.
Über einen Nebenjob in Ihrer Branche konnten Sie das nicht?
Rohbeck: Genau. Wenn man BAföG bezieht, dann darf man nur 450 Euro verdienen und jeder weiß, dass man sich davon in einer Stadt wie Hamburg nicht finanzieren kann. Deswegen musste ich was im Nachtleben machen, wo es viel Trinkgeld gibt.
Gestaltete sich Ihr Studium dadurch im Vergleich zu Ihren Kommilitonen schwieriger?
Rohbeck: Es kommt immer auf das Fach an. Aber gerade in unserem Bereich sind es tatsächlich viele, die von ihren Eltern Unterstützung kriegen. Und ich habe mir mein Studium komplett selber finanziert. Das ist schon extrem hart. Viele meiner Kommilitonen brauchten sich beispielsweise keine Gedanken um Materialkosten zu machen, wenn wir einen Prototyp bauen sollten. In manchen Situationen ist es auf jeden Fall einfacher, wenn man ein bisschen mehr Geld hat.
Haben Sie Studieren als etwas elitäres wahrgenommen?
Rohbeck: Ja, total. Als ich beispielsweise versucht habe Wohngeld zu beantragen, als mein BAföG ausgelaufen war, wurde mir beim Amt gesagt: „Studieren muss man sich auch leisten können.“ Das hat mich fassungslos gemacht.
Bereuen Sie, dass Sie sich für ein Studium und nicht für eine Ausbildung entschieden haben?
Rohbeck: Nein, obwohl ich mit einer Ausbildung definitiv schon weiter wäre. Ein Studium ist sehr theoretisch und breit gefächert. Mit einer Ausbildung hat man seinen Bereich. Aber ich bereue meine Entscheidung nicht, weil ich sehr viel gelernt habe.
Wie gestaltet sich die Jobsuche in Ihrem Freundeskreis?
Rohbeck: Die Lehrer haben natürlich sofort einen Job gekriegt, aber viele andere, zum Beispiel Stadtplaner, haben alle locker ein Jahr lang gesucht. Ich suche jetzt erst seit sechs Monaten, deswegen sehe ich das noch entspannt.
Ein Studienabschluss bietet heute also keine Jobgarantie mehr?
Rohbeck: Nein, null. Wenn du einmal einen Job hattest, dann ist alles okay, dann bist du drin, aber als Einsteiger wirst du häufig gar nicht ernst genommen.
Sie arbeiten zur Überbrückung in einem Plattenladen. Können Sie davon leben?
Rohbeck: Nein. Ich mache wieder viel nebenbei. Catering für Bands zum Beispiel. Alles, was mir so in die Hände fällt und Spaß macht. Aber das ist natürlich nicht das, was ich studiert habe.
Machen Sie sich Gedanken über die Zukunft?
Rohbeck: Auf andere Art und Weise. Ich finde, dass der zwischenmenschliche Umgang total schlimm geworden ist. Die Leute schenken sich ja gar nichts mehr. Die sind alle nur noch egoistisch. Wenn du im Laden stehst, nimmt dich keiner für voll, obwohl du jedem Hallo sagst. Oft wirst du einfach ignoriert.
Was glauben Sie, woran das liegt?
Rohbeck: Das hat glaube ich viele Ursachen. Man hängt viel mehr am Computer und am Telefon, dadurch ist man unempfänglicher für alles, was um einen herum passiert. Wenn Leute mit Kopfhörern oder aufs Handy starrend in den Laden kommen, dann kriegen sie gar nicht mit, wenn man ihnen Hallo sagt. Das meinen sie vielleicht gar nicht böse. Mittlerweile kann man ja auch viel für sich sein. Man hat online seine Freunde. Ich merke das vor allem bei jüngeren Leuten. Die setzen sich im täglichen Leben gar nicht mehr mit Konflikten auseinander. Wenn die streiten, löschen sie ihre Freunde einfach bei Facebook. Da verschiebt sich schon einiges.
Versuchen Sie bewusst, Dinge anders zu machen?
Rohbeck: Ich versuche vernünftig mit Menschen zu reden. Und obwohl ich selbst wenig habe, leihe ich einer Pfandsammlerin regelmäßig Geld. Letztens habe ich auch jemandem auf der Straße Essen gekauft. Selten hat mir jemand so ein strahlendes Lächeln geschenkt. Ich versuche auch, so gut es geht, auf Plastik zu verzichten und nicht so viel Müll zu produzieren. Ich gehe zum Beispiel in Supermärkten einkaufen, wo nicht alles in Plastik verpackt ist und habe immer eine Trinkflasche aus Glas dabei. Ich sehe überhaupt keine Notwendigkeit für Plastikflaschen. Ich kaufe auch viel Second Hand oder nähe mir meine Kleidung selber. Es ist um einiges umweltschonender, wenn man die Ressourcen nutzt, die schon da sind.
Finden Sie, dass sich die Gesellschaft zu wenige Gedanken darüber macht?
Rohbeck: Ja, ich glaube, dass ein bisschen bewusster zu leben schon helfen würde. Ich finde Urban-Gardening-Projekte total schön, weil die Menschen damit auch wieder zu Gemeinschaften zusammengebracht werden. Dafür fehlt aber der Impuls von der Politik. Ich glaube man kann da politisch mehr bewirken als eine Einzelperson.
Wie könnte das aussehen?
Rohbeck: Es könnte im Zuge der Wahl Projekte geben, in denen die Parteien beispielsweise Pflanzen kaufen und dann in verschiedenen Stadtteilen mit den Bürgern Beete anlegen. Ich glaube von den Kosten her ist das ein Witz gegen das, was im Wahlprogramm ausgegeben wird.
Sie arbeiten in einem Plattenladen. Merken Sie, dass wieder vermehrt Schallplatten gekauft werden?
Rohbeck: Ja, das merkt man auf jeden Fall. Schallplatten sind einfach etwas Wertvolles und Langlebiges. Wenn man sich eine Schallplatte auflegt ist das ein ganz anderes Gefühl, als wenn man online Musik streamt: das Knistern, der Sound.
Woher, glauben Sie, kommt bei so vielen jungen Menschen der Wunsch nach alten Dingen?
Rohbeck: Etwas Robustes, Standfestes zu besitzen. Etwas, das bleibt und sich nicht morgen wandelt. Die gesellschaftlichen Entwicklungen und Trends werden ja immer schneller. Man merkt das auch bei Klamotten. Es gibt teilweise 14 Kollektionen pro Jahr. Wer soll denn da noch hinterherkommen? Die Schallplatte ist da ein Produkt, das Langlebigkeit ausstrahlt.
Wie geht es für Sie jetzt weiter?
Rohbeck: Da mein Großvater kürzlich verstorben ist, mussten wir den Haushalt auflösen. Das war für mich wahnsinnig emotional, weil ich gemerkt habe, was ich für eine enge Bindung zu meinen Großeltern hatte. Aus ihrer alten Kleidung und Stoffen aus ihrem Haus habe ich eine kleine Kollektion genäht. Die habe ich fotografiert und mache jetzt ein Portfolio daraus. Wenn das fertig ist, bewerbe ich mich weiter.