Hamburg. Richter glaubt dem Polen seine Erklärung für Reizgas, Pyrotechnik und Glaskugeln im Rucksack nicht. Verteidiger geht in Berufung.

Selbst Oberstaatsanwalt Michael Elsner vermag in dem Angeklagten durchaus Positives zu erkennen. Stanislaw B. sei ein sympathisch wirkender, ein intelligenter, junger Mann. Niemand jedenfalls, von dem man annehmen würde, dass er „anderen etwas antun“ wolle. Aber warum, fragt Elsner, tische Stanislaw B. dem Gericht dann bloß solche Geschichten auf?

Stanislaw B. hat im Amtsgericht Mitte, wo er am Dienstag wegen Verstoßes gegen das Versammlungs-, Waffen- und Sprengstoffgesetz steht, buchstäblich einen ganzen Rucksack voller Geschichten parat. Die kann man glauben oder – wie am Ende das Gericht – auch nicht.

Linke entsetzt über erstes Urteil

Der 24-Jährige aus Warschau ist der zweite Angeklagte, der im Zusammenhang mit den Ausschreitungen während des G20-Gipfels vor Gericht steht. Der erste G20-Gewalttäter, der Niederländer Peike S. (21), war bereits am Montag zu 31 Monaten Haft verurteilt worden, weil er am 6. Juli im Anschluss an die aufgelöste „Welcome to Hell“-Demo zwei Bierflaschen auf einen Polizeibeamten geworfen hatte.

Das knallharte Urteil, begründet mit noch kurz vor dem Gipfel geänderten Strafvorschriften, sorgte bei der Linken für blankes Entsetzen. Aktivisten der Kampagne „United we stand“, die auch am Dienstag Spruchbänder vor dem Strafjustizgebäude entrollten, sehen in den „politischen G20-Prozessen“ ohnehin nicht mehr als eine Farce.

Angeklagter führte Munition für Zwillen bei sich

Zwei Polizisten hatten Stanislaw B. am Morgen des 8. Juli am Gorch-Fock-Wall überprüft. Offenbar waren der Kunststudent und seine Begleiterin Friederike S. (25) auf dem Weg zur Großdemonstration „G20 not welcome“ – so habe es ihm zumindest Friederike S. auf Nachfrage erzählt, berichtet einer der beiden Beamten im Zeugenstand.

Im „prall gefüllten Rucksack“ des Angeklagten hätten sie eine Faltkarte entdeckt, auf der alle großen Anti-G20-Demos vermerkt waren. Außerdem ein hierzulande verbotenes Reizstoffsprühgerät, schwarze Bekleidung, sechs Feuerwerkskörper, zwei Glaskugeln, die sich auch als Munition für Zwillen eignen sowie eine Taucherbrille, die als (verbotene) Schutzbewaffnung wohl nur einen Zweck hatte: Pfefferspray bei einem polizeilichen Einsatz abzuwehren. Alles typische Ausrüstungsgegenstände der gewaltbereiten linken Szene also.

„Auf meine Nachfrage sagte Herr B., er benötige die Sachen für eine Wanderung in der Wildnis“, sagt Polizist Moritz L. (26) im Zeugenstand und ergänzt: „Das habe ich ihm aber nicht ganz abgekauft.“

Abenteuerliche Ausreden vor Gericht

Mit plausiblen Erklärungen für das Mitführen der Gegenstände kann Stanislaw B. auch vor Gericht nicht aufwarten. Er sei damals gar nicht zur Groß­demo gelaufen, sagt der Angeklagte, sondern zum Bahnhof Dammtor. „Ich wollte mit der Bahn zum Gipfelcamp im Altonaer Volkspark fahren“, sagt Stanislaw B. Dort habe er nämlich sein Zelt aufgeschlagen und sein Gepäck gelagert.

Eigentlich auf der Reise nach Spanien habe er in Hamburg nur einen Zwischenstopp einlegen wollen. „Ich kam als Tourist“, sagt Stanislaw B. Das Pfefferspray? „Brauchte ich zu meinem Schutz, ich bin häufig per Anhalter in Europa unterwegs.“ Die Feuerwerks­körper? „Ich wollte mit Freunden in Spanien ein Feuerwerk machen.“ Die Taucherbrille? „Für den Urlaub in Spanien.“ Die Glaskugeln? „Die hat mir meine Mutter geschenkt. Ein Talisman.“ Wenig später wird die Mutter des Angeklagten in den Zeugenstand gerufen – sie bestätigt die Version.

Mehr als diese Geschichte nimmt Staatsanwalt Elsner dem Angeklagten aber auch nicht ab. „Bei einigen Erklärungen – etwa der zur Verwendung der Feuerwerkskörper – weiß man gar nicht, ob man lachen oder weinen soll“, sagt Elsner. Er habe nicht den geringsten Zweifel, dass Stanislaw B. mit den ganzen Sachen zur Großdemo wollte.

Verteidigung geht in Berufung

„Sie sollten den Polizisten einen Dankesbrief schreiben, dass sie Sie an jenem Tag überprüft haben; hätten Sie die Pyrotechnik gegen Beamte eingesetzt, wären Sie sicherlich länger als nur sieben Wochen in Haft.“ Der Verteidiger hingegen fordert eine Geldstrafe im „untersten Bereich“. Zumal nicht bewiesen sei, dass sein Mandant gegen das Versammlungsgesetz verstoßen habe: Man wisse schlicht nicht, ob er wirklich zur Demo wollte oder nicht.

Seine Begleiterin an jenem Tag, Friederike S., hätte am Dienstag eigentlich als Zeugin dazu Angaben machen sollen. Doch weil die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang gegen die 25-Jährige wegen versuchter Strafvereitelung ermittelt und sie sich durch eine Zeugenaussage nicht selbst belasten muss, macht sie von ihrem Schweigerecht Gebrauch.

Am Ende bleibt beim Amtsrichter kein Zweifel – er verurteilt Stanislaw B., wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, zu sechs Monaten Haft auf Bewährung. Die Gesamtschau aller Indizien belege, dass er mit den teils verbotenen, gefährlichen Gegenständen tatsächlich zur Großdemo wollte. Die Verteidigung hat bereits Berufung angekündigt.