Neustadt. Nach Flaschenwürfen soll der junge Niederländer Peike S. für 31 Monate hinter Gitter. Richter beruft sich auf verschärfte Gesetze.

Als ein Justizbeamter Peike S. am Montagmorgen in Handschellen aus dem Untersuchungsgefängnis ins Gericht bringt, brandet Applaus auf. Mehr als 60 Sympathisanten sind gekommen, um ihn zu unterstützen. Der junge Niederländer im roten Kapuzenpulli winkt den Zuschauern zu. Lächelt. Die Zuschauer johlen, und sie klatschen zurück. Mehrfach wird sich dieses Schauspiel am Montag wiederholen. Peike S. ist guter Dinge. Warum auch nicht? Angeklagte, die wie er wegen eines Angriffs auf Polizeibeamte in Hamburg vor Gericht standen, hatten bisher keine allzu harten Strafen zu befürchten. Doch nach sechsstündiger Verhandlung steht fest: Auf zu milde Urteile sollten sich (linke) Gewalttäter in Zukunft besser nicht mehr verlassen.

Politisch aufgeladen ist der Prozess gegen Peike S. ohnehin – es ist die erste Verhandlung im Zusammenhang mit den Ausschreitungen während des G20-Gipfels. Dutzende Sympathisanten aus der linken Szene haben sich am Montag im und am Strafjustizgebäude versammelt. Vor dem Gericht halten Aktivisten der Kampagne „United we stand“ Transparente in die Höhe und verteilen Flugblätter. Bei den Anklagen, heißt es da, handele es sich um eine „politische Machtdemonstration des Apparats“.

Peike S. war bisher nicht vorbestraft

Im Mittelpunkt des ersten Prozesses steht Peike S., ein bisher nicht vorbestrafter 21 Jahre alter Mann aus Amsterdam. Er äußert sich nur „zur Person“, nicht aber zu den Vorwürfen. Er habe mal als Fahrer für einen Essens-Lieferdienst gejobbt und sich zuletzt in seiner Heimatstadt als Koch für Bedürftige verdingt, sagt er. Zum G20-Gipfel sei er nach Hamburg gekommen, um seine Mitstreiter in den Camps zu bekochen. Die Zubereitung veganer Gerichte hatte Peike S. beim niederländischen Volxküchen-Pendant „Kollektief Rampenplan“ gelernt. Doch ums Kochen allein ging es ihm offenbar nicht.

Am 6. Juli 2017, dem Tag vor dem Gipfel, sollen die Berliner Bereitschaftspolizisten Oliver M. (30) und Mario K. (34) die linksautonome „Welcome to Hell“-Demonstration am Fischmarkt begleiten. Nachdem die Demo wegen zweier schwarzer Blöcke aufgelöst wird, kommt es zu Krawallen, Spontanaufzüge bilden sich. Hunderte Demonstranten, darunter auch schwarz gekleidete und vermummte, verschlägt es am späten Abend an die Kreuzung Schulterblatt/Altonaer Straße. Die Stimmung sei extrem aufgeheizt gewesen, sagt Oliver M.

Der verletzte Polizist nahm Peike S. selbst fest

„Wir hörten polizeifeindliche Parolen wie ,Hass, Hass, Hass wie noch nie‘ oder ,All cops are bastards‘“. Plötzlich habe er einen Schlag gegen den Helm verspürt und gehört, wie eine Glasflasche zersplittert sei. „Ich drehte mich um und sah, wie der Angeklagte eine weitere Flasche auf mich warf.“ Den ersten Wurf gegen den Kopf hatte sein Kollege Mario K. beobachtet. Die zweite Flasche erwischte Oliver M. am Bein. Als er den Täter habe festnehmen wollen, habe der Widerstand geleistet, indem er „eine Embryonalstellung einnahm und sich verkrampfte“, sagt Oliver M. Aufgefallen sei ihm zudem, dass Peike S. an diesem warmen Juli-Abend Handschuhe getragen habe.

„Vielleicht hat er die Handschuhe getragen, weil er als Koch große, heiße Töpfe tragen musste“, sagt seine Verteidigerin. Flaschen habe ihr Mandant nicht geschmissen. „Ich gehe von einer Verwechslung aus.“ Auch deshalb, weil die Beamten den Flaschenwerfer vor Gericht als „Mann mit Rasta-Zöpfen“ bezeichnet hätten – einen derartigen Haarschmuck habe ihr Mandant aber gar nicht getragen. Ganz anders bewertet die Staatsanwältin den Fall – sie fordert 21 Monate Haft. Eine Bewährungsstrafe komme – auch aus generalpräventiven Gründen – nicht in Betracht. Zur Verteidigung der Rechtsordnung und zur Abschreckung potenzieller Täter sei eine „spürbare Strafe“ nötig.

Richter Krieten verweist auf verschärfte Gesetze

Amtsrichter Johann Krieten folgt ihr weitgehend – nur das sein Urteil mit zwei Jahren und sieben Monaten Haft sogar noch deutlich härter ausfällt. „Dies ist nicht der Tag, um törichte Forderungen nach harten Urteilen zu erfüllen “, sagt Krieten – ein Seitenhieb auf Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der möglichst hohe Strafen für Gipfel-Gewalttäter gefordert hatte. Das Gericht habe allein das Tatgeschehen zu würdigen, so Krieten. Der Richter begründet das Urteil mit einer Gesetzverschärfung zum Schutz von Amtsträgern bei Diensthandlungen. Der Strafrahmen sei Ende Mai wegen überaus milder Urteile in der Vergangenheit heraufgesetzt worden. Und Gerichte hätten sich mit ihren Entscheidungen vor jene Menschen zu stellen, die vom Gesetzgeber ausdrücklich unter Schutz gestellt worden seien.

Der Protest gegen das Urteil lässt nicht lange auf sich warten. „Sollten die Richter_innen in den anstehenden weiteren Verfahren ebenfalls derart hohe Strafen verhängen, wäre das ein besorgniserregender Angriff auf die Grundrecht“, sagt Martin Dolzer, justizpolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Bürgerschaft. Die strafrechtliche Aufarbeitung der G20-Krawalle geht schon am heutigen Dienstag weiter: Vor dem Amtsgericht muss sich ein Pole (24) unter anderem wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz verantworten.