Hamburg. Streifenwagen können nicht besetzt werden, die Überstunden häufen sich. Auch weil Großveranstaltungen geschützt werden müssen.
Die vielen Einsätze 2017 fordern ihren Tribut bei der Hamburger Polizei. Der Apparat schiebt nicht nur einen Berg von Überstunden vor sich her, er leidet auch flächendeckend unter Personalnot. Wie aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Gladiator hervorgeht, fehlen in allen 24 Polizeikommissariaten Beamte, um die sogenannte Grundlast abzudecken – das sind reguläre Einsätze von Polizisten im Streifenwagen.
Am größten ist der Mangel in den Wachen in Bahrenfeld und Harburg, dort sind jeweils elf Stellen weniger besetzt als vorgesehen, auch im Stadtteil Rahlstedt ist die Lage angespannt. Jeweils mehr als acht Beamte fehlen in den Kommissariaten in der City (PK14), auf der Uhlenhorst (PK 31) und in Winterhude (PK 33). Insgesamt sind nach Senatsangaben gut 193 Beamte zu wenig vorhanden, um das reguläre Einsatzgeschehen aus eigener Kraft zu stemmen. In 20 der 24 Polizeiwachen fehlen fünf oder mehr Stellen.
Bei vielen Krankheitsfällen oder außergewöhnlichen Einsätzen wird es besonders eng. Wie aus der Senatsantwort hervorgeht, wurden im Juli 184 Streifenwagen in Hamburg „abgemeldet“. Sie konnten nicht ausrücken. An einzelnen Kommissariaten können zeitweise mehrere Dutzend Streifenwagen pro Monat gar nicht erst besetzt werden – auch hier waren die Ausfälle in Harburg (bis zu 49 pro Monat) sowie in Winterhude und der City (bis zu 33) besonders hoch. Polizeisprecher Ulf Wundrack versichert: „Es wird weiter jeder Straftat nachgegangen.“
Leitartikel: Offene Flanke der SPD
In der Praxis können die Kommissariate zwar auch auf Streifenwagen der sogenannten Landesreserve sowie der Bereitschaftspolizei zurückgreifen oder verfügbare Kräfte von anderen Wachen zur Unterstützung anfordern. „Damit wird jedoch andernorts wieder eine Lücke gerissen“, heißt es vonseiten der Polizeigewerkschaften. „Eine enorme Belastung für einzelne Beamte.“
Auch für CDU-Innenpolitiker Gladiator steht fest: „Die Polizei muss immer mehr Aufgaben erfüllen, obwohl das Personal schon jetzt nicht ausreicht.“ Leidtragende der Misere seien nicht nur die Polizisten, die im Dauereinsatz sind und kaum noch „aus den Stiefeln“ kämen. Es seien vor allem auch die Hamburger. Die Polizei könne immer seltener vor Ort präsent sein, Aufträge könnten zum Teil nur mit Verzögerung bearbeitet werden. „Das zeigt deutlich, die innere Sicherheit ist die Schwachstelle des rot-grünen Senats“, so Gladiator.
Verschärfend kommt momentan hinzu, dass der G20-Gipfel zu einem Überstundenrekord geführt hat. Davon ist, so belegen es interne Zahlen, jeder Bereich der Polizei betroffen. Besonders belastet wurde die „Direktion Einsatz“, zu dem auch die Bereitschaftspolizei gehört. Rund 76 Überstunden leistete statistisch jeder von diesen 1200 Beamten im Juli. So kamen mehr als 91.000 Überstunden zusammen. An den Wachen waren es mehr als 83.000 Überstunden, beim Landeskriminalamt fast 73.000 Überstunden und bei der personell kleinen Wasserschutzpolizei knapp 20.000 Überstunden durch den G20-Einsatz.
Juristen während des Gipfels besonders belastet
Besonders belastet waren während des Gipfels die Juristen der Polizei, die den Einsatzleitern beratend zur Seite standen. Durchschnittlich kam jeder auf rund 109 Überstunden. Die Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE), zuständig für Beamtendelikte im Zusammenhang mit G20-Einsätzen, häufte 1826 Gipfel-Überstunden an. Hinzu kamen 23.890 Überstunden im „normalen“ Dienst. Ausgezahlt wurden im Juli 59.000 Überstunden, „abgebummelt“ 39.000 Überstunden.
„Überstunden, die durch Freizeit abgebaut werden, bedeuten aber auch, dass Beamte unvorhergesehen fehlen und Aufgaben nicht wahrgenommen oder von anderen Beamten zusätzlich übernommen werden“, sagt DPolG-Vizelandeschef Thomas Jungfer. Aktuell kommt jeder Mitarbeiter der Hamburger Polizei auf durchschnittlich 140 Überstunden. Bei der Kripo hat jeder Beamte im Schnitt mehr als 200 Überstunden. „Nicht nur der Einsatz rund um den G20-Gipfel war eine Herausforderung“, sagt Jungfer.
„Wir stecken in einem Dilemma“
„Die Bedrohung durch Terrorismus ist es auch.“ Die Maßnahmen bei jeder dieser als terroristisches Ziel infrage kommenden Großveranstaltung seien dadurch personalintensiver geworden, die Sonderkommissionen in Schwerpunktgebieten binden ebenfalls viele Kräfte.
„Wir stecken in einem Dilemma“, sagt Jungfer. Auch die Einstellungsoffensive „300+“ des Senats sei kein großer Gewinn, denn auch dieses Programm sei „Spitz auf Knopf“. Vorzeitige Abgänge bei der Ausbildung, durch Kündigung oder weil sich die angehenden Polizisten nicht als geeignet entpuppen, würden nämlich nicht berücksichtigt, so Jungfer. „Die 300 zusätzlichen Beamten mehr im Jahr, wie vorgesehen, werden deshalb nicht erreicht.“
Ein wenig Hilfe kommt indes von älteren, pensionsberechtigen Polizisten. Dem Aufruf des Polizeipräsidenten zur Dienstzeitverlängerung folgten bisher 84 Beamte, 58 Anträge wurden davon genehmigt. Auch die Akademie der Polizei ist voll, aber der Kampf um den Nachwuchs unter den Bundesländern werde härter. In Zukunft, sagt Thomas Jungfer, „wird Hamburg den Polizisten mehr bieten müssen“.