Hamburg. Obwohl die Schauspieler alles geben, funktioniert Herbert Fritschs Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus nicht.

Wenn der Regisseur Herbert Fritsch und Texte des wohl besten deutschen Komikers, Karl Valentin, aufeinandertreffen, so glaubt man, müsse etwas ganz Großartiges entstehen. Nun ja, das ist dann leider nicht passiert. Was Herbert Fritsch zur Premiere am Deutschen Schauspielhaus mit seinem „Valentin“-Abend herausbrachte, ist nur bildlich und schauspielerisch gelungen. Der grenzenlose Unsinn, Tiefsinn und Blödsinn der Sprache, der ja erst die Valentinsche Komik erzeugt, kommt kaum zum Ausdruck. Viel zu viele körperliche Verrenkungen, Wortwiederholungen oder Musik erschlagen die Texte und ihren Sinn.

Schade, denn die Schauspieler geben wirklich alles. Sie singen, stottern, spielen wunderbar durchchoreografiert in der Gruppe und schwitzen unter ihren Haarprachten. Josef Ostendorf mit Kostüm und Kapotthut, Bettina Stucky mit doppelstufiger Wippfrisur, die Herren in den Anzügen, sie sehen aus wie aus der Balance geratene, von Panik ergriffene, aber eigentlich ganz glaubwürdige, durchschnittliche Bürgers­leute. Aber man hat ihnen die Ernsthaftigkeit, die es braucht, um auch den größten Stumpfsinn erhellend vorzutragen, genommen. Sie müssen endlos Silben wiederholen oder antworten im Chor, wo eigentlich nur einer ganz trocken sprechen könnte. Es gibt keine Sinnzusammenhänge, keinen roten Faden, nur eine Nummernrevue.

Ein 15-Mann-Orchester sorgt für den Klangteppich

Fritsch hat einige Valentin-Texte genommen, darunter „Das Aquarium“, „Der reparierte Scheinwerfer“, „Sonderbarer Appell“ oder die „Unpolitische Käsrede“ und sie zu einem bunten Abend mit viel Musik arrangiert. Er hat eine fantastische Bühne entworfen – riesige Papierbahnen, die mal wie Wellen wogen, dann auch wieder als Versteck dienen oder als Atmosphäreschaffer in Rot, Grün oder Ockerfarben. Und ihm steht mit dem Schweizer Musiker Michael Wertmüller und seinem 15-Mann-Orchester (Steamboat Switzerland und JazzHaus Ensemble), das hauptsächlich aus starken Bläsern besteht, ein kongenialer Klangteppich und Stimmungsmacher zur Verfügung. Wäre nur nicht der völlig vepuffende, manchmal kaum hörbare Inhalt der Texte.

Fritsch, der seit Jahren erfolgreiche Regisseur, der die menschlichen Körper auf der Bühne mit Überforderungen konfrontiert, der sie auf Riesensofas hüpfen oder auf Teppichen rutschen lässt, der ihnen monströse Frisuren aufsetzt und quietschbunte Kleider anzieht, hat schon aus einem Text, der nur aus den Wörtern „Murmel, Murmel“ be-steht, eine entfesselte Sinfonie geschaffen. Er hat uns die tragikomischen Clowns bei Molière und Gogol, Beckett und Labiche so unterhaltsam gezeigt, dass dafür inzwischen der Theaterterminus „fritschisieren“ gefunden wurde. Als Herbert Fritsch noch Schauspieler war – und das war er die längste Zeit seines Lebens – hat er uns alle Verrenkungen und Peinlichkeiten, die das Leben so bietet, vor Augen geführt. Purer Valentin also. Er hat einen Film gedreht, „Zitterchor“, in dem man Menschen, die aus dem Wasser kommen, beim Zittern zusieht.

Auch Fritsch ist wie Valentin Bayer

Ähnlich skurril im allerbesten Sinne war auch Karl Valentin, der spindeldürre Münchner Musiker, Autor und Komiker („Meine Mutter hat meine Rippen früher zum Meerrettichreiben hergenommen“), dessen Monologe, Dialoge und Bühnenstücke davon leben, dass sie Menschen zeigen, die sich in der Sprache verlieren, da sie ihren Halt verloren haben. Sie sind hoffnungslos überfordert, verirren sich in Banalitäten, Füllwörtern, Widersprüchen. Die Valentinschen Helden scheitern immer und überall, an der Umwelt, der Dingwelt, ihrem Körper, der Sprache. Fritsch, der ja wie Valentin Bayer ist, scheint wie für ihn gemacht. Nur, dass es passend wird, schafft er nicht.

Der Abend beginnt mit wohl dem bekanntesten Satz von Karl Valentin, „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Vor fünf Schauspielern stehen Metronome, die alle einen anderen Takt vorgeben. Verwirrung ist angesagt, Kakophonie. Ein Brief an den Vater wird vorgelesen, stotternd, stammelnd. Bastian Reiber, der schon so oft die herrlich verspanntesten und verwickeltsten Parts in Fritsch-Inszenierungen übernommen hat, schafft es nicht mehr, das „r“ von „Vater“ mit auszusprechen. Stattdessen gurgeln, brummen und rattern nur die anderen Schauspieler (Yorck Dippe, Jonas Hien, Ruth Rosenfeld, Michael Weber, Hubert Wild, Gala Othero Winter) „rrrrr“, „hmhmhm“ oder „ererer“. Kann man machen, muss man aber nicht. Denn es dient weder der Erkenntnis noch zur Unterhaltung.

Das Feinsinnige ist mit Bombast zugekleistert

Auch Valentins wunderbarer Satz, „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ fällt irgendwann, wird aber so endlos vorbereitet, dass der Gag zerfällt. Beim „Sonderbaren Appell“ kann gar kein absurder Dialog entstehen, weil alles von Anfang an zu viel ist. Der Gag ist verschenkt.

Fritsch hat kein Substrat aus dem Valentinschen gezogen, sondern den Ernst mit viel zu viel Stammeln und Gehampel, das Traurige mit zu viel klamottigen Wiederholungen und das Feinsinnige mit viel zu bombastischen Arrangements zugekleistert. Vielleicht ist ihm Valentin zu vertraut, um sich auf dessen Wirkungsmächtigkeit zu verlassen. Am Ende des Abends verzichtet er gar ganz auf Valentin, lässt Paul Linckes „Glühwürmchen, Glühwürmchen“ singen oder „Adieu, mein kleiner Gardeoffizier“ aus den 30er-Jahren. Als Hinweis auf die Zeit Valentins. Wer’s mag.

Fritsch-Stücke: Am Schauspielhaus ist – außer „Valentin“ – auch noch immer der fabelhafte Abend „Die Schule der Frauen“ mit Joachim Meyerhoff zu sehen, für den Herbert Fritsch Regie und Bühnenbild verant­wortet. Das Molière-Stück läuft morgen und am 11. Juni um jeweils 19.30 Uhr. „Valentin“ ist wieder am 17., 21. und 29. Juni, jeweils 20 Uhr, im Spielplan. Karten für beides gibt es unter T. 24 87 13.