Hamburg. Städtisches Unternehmen wirft Chefin der Carl-Tiedemann-Gruppe vor, nicht mehr genügend Arbeiter bereitgestellt zu haben.

Die Nachricht verbreitete sich am Donnerstagmorgen über das soziale Netzwerk Facebook. Sie hat einen brisanten Inhalt und stammt aus einer Gruppe namens Carl Tiedemann. An der Spitze der gleichnamigen, traditionsreichen Hamburger Stauerei Carl Tiedemann (CT) steht die geschäftsführende Gesellschafterin Carola Zehle. Die Mitteilung ist überschrieben mit den Worten: „Achtung !!! Achtung !!! Massenentlassungen im Hamburger Hafen?“ Weiter heißt es: „HHLA entzieht Tiedemann die Geschäftsgrundlage. Muss Tiedemann 60 bis 80 Mitarbeiter kurzfristig entlassen?“

Ob Zehle, die man in der Branche die „Hafenlöwin“ nennt, weil sie sich seit Jahrzehnten in dieser rauen Männerwelt behauptet, die Urheberin ist, ließ sich nicht klären. Auf eine telefonische Anfrage des Abendblatts reagierte sie bis Redaktionsschluss nicht. Die HHLA allerdings bestätigte die Entscheidung, ab sofort kein CT-Personal mehr für das Verstauen und Festzurren von Ladung im Schiffsraum (Laschen) einzusetzen.

Keine Verlässlichkeit

„Zuletzt konnte Frau Zehle im Hinblick auf den Arbeitseinsatz ihrer Beschäftigten nicht einmal mehr ein Minimum an Verlässlichkeit sicherstellen“, sagte HHLA-Vorstandsmitglied Heinz Brandt dem Abendblatt. „Wir konnten diese Situation gegenüber unseren Reedereikunden nicht mehr verantworten und mussten uns daher entschließen, kein Personal von CT mehr einzusetzen.“

Damit entfielen ab sofort 70 Prozent der Einnahmen der Firma Carl Tiedemann, heißt es in der Facebook-Mitteilung. Darin werden die Gewerkschaft und der Betriebsrat für die Probleme verantwortlich gemacht: Weil sich Mitarbeiter mit dem „Ver.di/BR Virus“ angesteckt hätten, sei es nicht möglich gewesen, die Wochenendschicht am Containerterminal Altenwerder voll zu besetzen, heißt es dort.

Ausstehende Lohnzahlungen

Ausgangspunkt ist der seit Monaten anhaltende Konflikt mit der Arbeitnehmervertretung über ausstehende Lohnzahlungen. Offenbar seit Mai wurden Gehälter nicht fristgerecht gezahlt. Ende Juni organisierte Ver.di einen Protestmarsch von Hafenarbeitern zum CT-Stadtbüro am Ballindamm. Beschäftigte blieben der Arbeit fern, sie meldeten sich krank. Schon damals zog die HHLA erste Konsequenzen. „Der Vorstand hat bereits im Juni beschlossen, das an die Carl-Tiedemann-Gruppe vergebene Auftragsvolumen auf das vertraglich vereinbarte Minimum von 20 Prozent der anfallenden Lascharbeiten herunterzufahren“, sagte Brandt.

„Wir haben das getan, weil die Tiedemann-Gruppe Beschäftigten schon im Mai keine­ Zuschläge mehr zahlte und die betroffenen Mitarbeiter nicht mehr bereit waren, Überstunden zu leisten. Im Juni, als die Tiedemann-Beschäftigten nur noch Lohnabschläge erhielten und sich daraufhin viele krank meldeten, verschärfte sich die Situation.“

Carola Zehle räumte im Juli zwar Verzögerungen bei Lohnzahlungen ein. es sei aber immer nur um einige Tage gegangen. Doch wegen­ massenhafter Krankmeldungen musste die CT-Tochterfirma Lasch Company Hamburg (LCH) Ende Juli Insolvenzantrag stellen. Bei ihr sind 116 Mitarbeiter angestellt, CT selbst hat 162 gewerbliche Beschäftigte. Nach Angaben von Brandt ist die LCH von dem aktuellen Beschluss der HHLA nicht betroffen; die nun von einem Insolvenzverwalter geleitete Firma erhalte weiter Aufträge für Lascharbeiten auf HHLA-Terminals.

Auch wenn es in der Facebook-Nachricht hieß, die LCH-Insolvenz sei „durch Arbeitsverweigerung erzwungen“ worden, war dies wohl nicht der einzige Faktor für den Finanzengpass. Denn im Juni ging – nach Darstellung von Zehle „völlig unerwartet“ – für eine Woche kein Geld von der HHLA für geleistete Arbeiten ein.

Arbeitsvorschuss von rund 500.000 Euro

„Wir haben in diesem Jahr Zahlungen an CT für Lascharbeiten mit einem Arbeitsvorschuss von rund 500.000 Euro, der der Firma CT bereits im Jahr 2014 gewährt wurde, verrechnet“, sagte Brandt. „Ursprünglich hieß es von Frau Zehle, sie benötige den Vorschuss nur für ein halbes Jahr. Aber wir sind keine Bank – und mussten uns ohnehin von Dritten die Frage stellen lassen, warum wir CT durch diesen Vorschuss so privilegieren.“

Hingegen argwöhnte Zehle, die HHLA sei „durch Pressemitteilungen von Ver.di stark irritiert“ worden und habe deshalb den Vorschuss wieder hereingeholt. Die „Hafenlöwin“ hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass die Tochterfirma LCH, ausgelöst durch einen Einbruch des Umschlagvolumens, in den Jahren 2015 und 2016 Verluste schrieb. In den ersten fünf Monaten 2017 seien aber wieder Gewinne erwirtschaftet worden – bis zu den „Aktionen“ der Gewerkschaft und des Betriebsrats. Denen weist die Facebook-Nachricht vom Donnerstag eine dubiose Rolle zu. „Der Ver.di/BR Virus vergiftet diesen Hafen“, heißt es da. „LCH war das erste große Opfer. Wie viele werden folgen?“

Eindeutige Haltung der HHLA

Schon im Juli hatte die CT-Chefin beklagt, ihr Unternehmen solle ausgebootet werden: Der HHLA-Betriebsrat hatte vorgeschlagen, der Hafenkonzern solle das Laschen selbst erledigen und die Beschäftigten der vier unabhängigen Dienstleister übernehmen. Brandt erklärte, der HHLA-Vorstand habe eine eindeutige Haltung: „Das Unternehmen wird keine Lascharbeiten selbst ausführen oder Mitarbeiter von anderen Firmen für diese Aufgabe übernehmen.“