Hamburg. 500 Mitarbeiter der Firma Carl Tiedemann ziehen am Montag vor das Büro von Chefin Carola Zehle. Sie verlangen ausstehende Löhne.
Man nennt sie die „Hafenlöwin“. Die geschäftsführende Gesellschafterin der traditionsreichen Hamburger Stauerei Carl Tiedemann, Carola Zehle (70), hat sich in einer reinen Männerwelt durchgesetzt. Mit 21 Jahren war sie in die Geschäftsführung des väterlichen Betriebs eingestiegen und hat ihn zu einem der größten Dienstleister im Hamburger Hafen ausgebaut.
Seit 30 Jahren steht sie an der Spitze des Unternehmens und hat dabei auch raue See durchschippert – und das nicht nur 1990, als die passionierte Seglerin zusammen mit ihren halbwüchsigen Kindern auf ihrer Yacht „Xanadu“ in einer rekordverdächtigen Zeit von 18 Tagen und sieben Stunden von Gran Canaria über den Atlantik nach Martinique segelte. Selten war die See für Carola Zehle aber so rau wie jetzt.
Ver.di: Zahlungsrückstand von 500.000 Euro
Am Montag wollen nun 500 Hafenarbeiter in einem wütenden Protestmarsch vom Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof vor das Stadtbüro der Firmenchefin am Ballindamm ziehen. Unter dem Motto „Gerechtigkeit für Lascher“ hat die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di die Beschäftigten der Carl Tiedemann Unternehmensgruppe zur Demonstration aufgerufen.
„Ausgerechnet gegen Carola Zehle?“, fragen sich einige. Die Frau, die mit ihren Mitarbeitern eine WhatsApp-Gruppe teilt? Aber der Vorwurf, der von Arbeitnehmerseite gegen sie erhoben wird, wiegt schwer: Seit Monaten stünden Löhne der rund 350 Beschäftigten aus. Insgesamt schätzt Ver.di den Zahlungsrückstand an die Beschäftigten auf 500.000 Euro, hinzu kämen eine Vielzahl ausstehender Überstunden.
Betroffen sind vor allem bei dem Tochterunternehmen Hamburg Lasch Company (LCH) und der Unternehmensmutter Carl Tiedemann angestellte Lascher. Diese haben die Aufgabe, Ladung im Schiffsraum festzuzurren und zu sichern. Eine schwere und gefährliche Arbeit unter den gewaltigen Lasten der Kräne. Immer wieder kommt es dabei zu Unfällen – manche enden sogar tödlich. Dafür bekommen sie aber ein ordentliches Gehalt, werden nach Hafentarif bezahlt und verdienen je nach Lohngruppe zwischen 50.000 und 80.000 Euro im Jahr. Manche kommen mit Zulagen sogar auf 90.000 Euro.
Zehle: Anlagevermögen muss verkauft werden
Anders als andere Abläufe im Hafen ist die Arbeit der Lascher nicht automatisiert. Für ein Unternehmen wie den Hafenkonzern HHLA, bei dem die Personalkosten wohl rund 30 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, fällt dies nicht so sehr ins Gewicht wie für eine Stauerei, bei der die Personalkosten bei bis zu 90 Prozent liegen. Hohe Löhne schlagen hier besonders zu Buche.
Seit Mai hätten sie kein Geld mehr bekommen, berichten Hafenarbeiter dem Abendblatt. Auch Zahlungen der Altersversorgung seien ausgeblieben. Dabei habe man sich schon auf einen Haustarifvertrag eingelassen, der geringer sei als der Hafentarif. „Seit Jahresbeginn verzichten die Beschäftigten bereits auf zwölf Prozent ihres Einkommens zugunsten einer betrieblichen Sanierung“, sagt Marco Otten, der für den Hafen zuständige Gewerkschaftssekretär von Ver.di.
Doch der Streit genau darüber scheint die Stimmung zwischen der Gewerkschaft Ver.di und der Tiedemann-Geschäftsführerin endgültig vergiftet zu haben. „Eineinhalb Jahre lang habe Ver.di jede Lösung blockiert“, sagte Zehle dem Abendblatt. Dabei habe die Gewerkschaft gewusst, dass es in der Firma Probleme gab.
Die erheblichen Ladungsrückgänge im Hamburger Hafen 2015 hätten zu einem Verlust geführt, sagte Zehle. Damals war der Hafenumschlag um 5,4 Prozent gegenüber 2014 zurückgegangen. Zwar laufe das Geschäft inzwischen wieder stabil und profitabel. „Aber damit ist der Verlust noch nicht weg“, so Zehle. Banken würden angesichts der Schifffahrtskrise keine Kredite mehr gewähren. Um die Jobs der Mitarbeiter zu retten, müsse sie nun Anlagevermögen verkaufen; im Klartext: Firmenwerte.
Spruchband bezeichnet Geschäftsführerin als Hyäne
Gewerkschaftsmann Otten reichen diese Aussagen nicht. Er will genau wissen, wie es um die Zukunft der Firma bestellt ist – und hatte Zehle um ein Gespräch gebeten. Für Montag, direkt im Anschluss an die Demonstration, habe Zehle ihm aus Termingründen abgesagt, so Otten. „Da werden über Monate einfach keine Löhne gezahlt und die Belegschaft über die Zukunft des Unternehmens im Unklaren gelassen. Ein Unding für die Kollegen und ihre Familien“, sagt er. Und Otten lässt keinen Zweifel daran, dass die Belegschaft das so nicht hinnehmen werde.
Ein Spruchband sei für die Demonstration in Vorbereitung, auf dem in Anlehnung an Zehles Ruf im Hafen „Von der Löwin zur Hyäne“ stehen soll. „Wir werden Montag ordentlich auf die Tonne hauen“, so Otten.
Bereits 1879 wurde die Stauerei Carl Tiedemann gegründet. Man machte schon häufig schwere Zeiten durch. So führten der Erste und Zweite Weltkrieg sogar zum völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch. „Alles bis dahin Erreichte ging verloren“, heißt es dazu auf der Internetseite des Unternehmens. Davon dürfte die Stauerei heute weit entfernt sein. Auf Zehle kommt dennoch ein schwerer Sturm zu. Ein Freund sagt: „Sie ist zäh. Seit zehn Jahren gibt es Gerüchte über wirtschaftliche Probleme bei Carl Tiedemann. Bisher hat Carola Zehle es immer geschafft.“