Hamburg. Firmen in der Region überraschen mit neuen Produkten und Diensten. Wir prüfen, wie gut sie sind. Heute: die modernisierten Läden.

Die ältere Dame ist etwas verwirrt. Mit suchendem Blick läuft sie durch den Aldi-Markt in Billstedt. „Können Sie mir sagen, wo ich die Zeitschriften finde?“, fragt sie einen Mitarbeiter. Normalerweise müssen Kunden des Discounters nicht lange nachdenken, wenn sie einkaufen gehen. Egal, ob Käse, Zucker­, Waschpulver oder Zeitschriften auf dem Einkaufszettel stehen, wo und wie es in den Märkten liegt, ist immer gleich. Zumindest war das bislang so. Doch seit einigen Monaten erprobt Aldi Nord ein neues Filialkonzept. Der Laden an der Kandinskyallee nahe der U-Bahn-Station Mümmelmannsberg hat kürzlich nach dem Umbau wieder eröffnet und zählt nun zu den modernsten in Hamburg.

Mehr Licht, modernes Design und ein erweitertes Frischeangebot. „Wir wollen unseren Kunden ein Einkaufserlebnis bieten, aber wir bleiben ein Discounter“, sagt Dino Lo Giudice, Geschäftsführer der zuständigen Regionalgesellschaft in Seevetal. Motto der Image-Offensive: frischer Markt, Preise wie immer. Die Umgestaltungspläne, im internen Sprachgebrauch ANIKo für „Aldi Nord Innenausstattungskonzept“, haben schon für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Auch weil der bislang äußerst verschwiegene Discounter aus Essen sehr offen mit der Modernisierungsstrategie umgeht. Dahinter steckt unter anderem der wachsende Konkurrenzdruck im Lebensmitteleinzelhandel. In Hamburg wurden in der Testphase sechs der 85 Filialen umgestaltet.

Herzstück ist die vergrößerte Obst- und Gemüseabteilung

Schon am Eingang soll sich das neue Einkaufsgefühl einstellen. Im Markt mit einer Verkaufsfläche von 1330 Quadratmetern öffnen sich Gänge bis zu einer Breite von 2,80 Metern. „Die Warenanordnung ist dem Tagesablauf nachempfunden“, erklärt Geschäftsführer Lo Giudice beim Rundgang. An der sechs Meter langen Backstraße gibt es 38 verschiedene Brote, Brötchen und süße Teilchen, fast doppelt so viele wie bislang. Darunter auch frische Franzbrötchen und Bio-Brote. Drumherum stehen Kaffee, Marmelade und Müsli. „Alles, was man für das Frühstück braucht“, erklärt Lo Giudice. Insgesamt umfasst das Angebot 1600 Artikel, davon zählen 150 zum Regionalsortiment.

Herzstück ist die vergrößerte Obst- und Gemüseabteilung mit mehr als 100 Produkten von Kartoffeln in großen Kisten bis zu zarten Basilikum-Pflänzchen. Auch Fleisch und Fisch bekommen mehr Platz. Es gibt aber auch weiterhin Gänge mit Paletten und Kartons, aus denen sich die Kunden bedienen. Statt immer nur längs, stehen die Regale jetzt auch mal quer. Anstelle der endlos langen Wühltische mit den Wochenangeboten aus dem Non-Food-Bereich gibt es nun kleinere Körbe dafür. Besonders stolz sind die Discount-Profis auf das „Rezept der Woche“. Die Zutaten, die keine Kühlung brauchen, werden jeweils auf einer Fläche präsentiert, inklusive Einkaufsliste und Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Mitnehmen.

Die Resonanz ist positiv. „Die Kunden finden den Umbau gut“, sagt Filialleiterin Natalie Lorbach. Schon nach den ersten Wochen registriert die 32-Jährige deutlich mehr jüngere Menschen im Laden. Auch die Mitarbeiterzahl ist mit der Umgestaltung gewachsen: auf 20 statt bislang 15 Beschäftigte.

Ab Herbst werden pro Woche bis zu 30 Filialen umgebaut

Nach der Zustimmung der Gesellschafter-Stiftungen werden ab Herbst alle 2500 Aldi-Nord-Filialen nach dem neuen Konzept umgestaltet, jeweils bis zu 30 Standorte pro Woche. Die Investitionssumme beträgt 5,2 Milliarden Euro. Offenbar zahlt sich das 2012 gestartete Modernisierungsprogramm aus, das neue Markenartikel im Sortiment genauso beinhaltet wie Filial-schließungen. Nach Unternehmensangaben hat sich der Durchschnittsumsatz pro Markt seitdem von 369.000 Euro im Monat auf 437.000 Euro erhöht. Das entspricht fast 25 Prozent. Im Geschäftsjahr 2016 betrug der Bruttoumsatz in Deutschland 12,7 Milliarden Euro. In den umgestalteten Märkten legte der Umsatz zweistellig zu.

In der frisch renovierten Filiale an der Kandinskyallee hat eine Mutter ihr Baby im Autositz auf einen der neuen Einkaufswagen gestellt, die ältere Tochter schiebt einen der Kindereinkaufswagen durch den Laden. „Wir orientieren uns an den Bedürfnisse der Kunden“, sagt Geschäftsführer Lo Giudice. Auch der älteren Kundin kann bei ihrer Suche nach den Zeitungen geholfen werden. Ein Mitarbeiter führt sie an den Eingangsbereich. Das Regal mit Zeitungen und Zeitschriften gehört in der Aldi-Philosophie jetzt zum Beginn des Tages.

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Test: mehr Licht, mehr Platz, mehr Frische

Erster Eindruck: Große Fensterscheiben, Tageslicht statt Neonlampen, breite Gänge und Ladendesign in Holzoptik: Die modernisierte Aldi-Filiale in Billstedt vermittelt das Gefühl eines modernen Supermarkts. Die Einkaufswagen sind großzügig, die Sperrketten lassen sich mit Chip sowie verschiedenen Münzen (50 Cent/ 1-/2-Euro) lösen. Zusätzlich stehen Einkaufskörbe bereit.

Übersichtlichkeit: Die Warenpräsentation folgt dem Tagesablauf und beginnt mit Backwaren, die zum großen Teil direkt in der Filiale (auf-)gebacken werden. Das ungekühlte Bio-Sortiment mit 140 Artikeln ist in einem Regal zusammen. Die Anordnung erschließt sich ohne langes Suchen. Angenehm: Gab es bislang ausschließlich lange gerade Gänge, ist die Anordnung jetzt mit quergestellten Regalen aufgelockert.

Präsentation: Die Obst- und Gemüseabteilung bietet ein umfangreiches Frische-Sortiment. Die Waren sind ansprechend arrangiert. Es gibt eigene Regale für die Bereiche Convenience, Fisch und Fleischwaren. Die alten Tiefkühltruhen wurden durch Schränke ersetzt, die sich deutlich einfacher bedienen lassen. Einige Produkte wie Zucker, Mehl, Konserven, aber auch Säfte, Wasser und Softdrinks, stehen weiter unausgepackt auf Paletten. Kontrastprogramm: Im Weinregal werden besondere Sorten ähnlich wie im gehobenen Weinhandel einzeln präsentiert.

Atmosphäre: Deutlich weniger Discounter-Feeling. Im Testfall wirkten Kunden und Mitarbeiter entspannter. Durch die breiteren Gänge gibt es vor den Regalen weniger Drängelei. Auch der Bereich der Kassenzone ist großzügiger gestaltet.

Fazit: Mehr Tageslicht und großzügigere Gestaltung machen das Einkaufen angenehmer, die Warenführung ist intuitiv. Auch Discounter-Muffel fühlen sich nach der Modernisierung angesprochen. Unverändert größter Nachteil ist trotz der Abschaffung der Plastiktüten die große Menge an Umverpackungen.

Abendblatt-Urteil: 4 von 5 Sternen.

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