Hamburg. Manfred Jürgensen, Präsident des SV Störtebeker, kämpft seit zehn Jahren um ein Spielfeld in Hamburgs jüngstem Stadtteil.

Die Mitteilung vom 15. November 2007 klingt nach Aufbruch und Abenteuer: „Erster Sportverein in der HafenCity gegründet. Elf Gründungsmitglieder besiegelten mit ihrer Unterschrift die Gründung des Störtebeker SV – Verein für HafenCity, Alt- und Neustadt.“

Einer von ihnen ist Manfred Jürgensen, den alle nur Jogi nennen. Ein schmächtiger Mann mit rötlichen Haaren. Jahrgang 1953, in Altona aufgewachsen, zwei Zimmer an der Gerichtstraße. Er hat bei den Eltern im Zimmer geschlafen, „mein Bruder schlief im Wohnzimmer auf der Couch, und in der Wohnung lebte noch eine alte Dame“.

Erfolgreicher Vereinsvorsitzender

Auf der Straße in Altona musste man sich in den 60er-Jahren noch durchboxen, genau wie auf dem Fußballplatz. Jogi hat bei Teutonia 10 und Union 03 gespielt. Ein Techniker mit Offensivqualitäten, der einstecken konnte und von seiner Ausdauer lebte. Ein zäher Kerl.

Später kehrte er als Offizieller an den Spielfeldrand zurück, war erfolgreicher Vereinsvorsitzender beim BSV 19 in Bahrenfeld. Er kennt die Anforderungen und die Tücken des Vereinslebens, die langen Satzungen und die noch längeren Sitzungen, die oft an der Theke enden. Von Bahrenfeld in Hamburgs jüngsten Stadtteil – das war für Jogi vor zehn Jahren auch ein Schritt zurück. Denn er kennt den Hafen wie kaum ein anderer.

Vereinsbüro neben der Oberhafen-Kantine

„Wie vieles in der HafenCity ist auch Ihr neuer Verein noch eine Baustelle“, schreibt er zur Vereinsgründung im Internet. „Unser Heimplatz wird, bis zur Fertigstellung der Sportanlage in der HafenCity, die Sportanlage Snitgerreihe (Kunstrasen) in Horn sein.“ Auf dem eingeschobenen Nebensatz ruhten vor zehn Jahren sämtliche Hoffnungen von Manfred Jürgensen, der 2008 zum 1. Vorsitzenden gewählt wurde.

Sein Vereinsbüro liegt direkt neben der windschiefen Oberhafen-Kantine, der letzten erhaltenen „Kaffeeklappe“ des Hafens. Jogi steckt seinen Kopf aus dem Fenster im ersten Stock. „Hier geht’s hoch.“ Unten im Eingang stapeln sich lose Baumaterialien. Hier wird gehämmert und geschraubt, abgerissen und saniert. Alles staubt, nichts glänzt. Altes und Neues prallt überall lautstark aufeinander. Oben gehen kahle Räume von kahlen Fluren ab.

Jogi kommt hinter seinem Schreibtisch hervor. „Willkommen beim Störtebeker SV, wir haben aktuell 250 Mitglieder“, sagt er zur Begrüßung. „Aber es könnten längst 500 sein.“

Fehlende Sportanlage

Sie haben das Kindertanzen wieder eingestellt, weil es keinen Übungsraum mehr gab. „Das ist zwar jetzt nicht ganz so meine Welt“, sagt Jogi, „aber das hat mir richtig wehgetan.“ Sie haben 60 Karateka, die in den Verein eintreten wollten, eine Absage erteilen müssen. „Keine Hallenzeiten zum Training.“ Sie haben die Gymnastik-Gruppe „60plus“, die sich im Gemeinschaftsraum der Martha-Stiftung treffen muss. „Das muss man sich vorstellen, in einer Seniorenresidenz“, sagt Jogi und schüttelt den Kopf.

Und sie spielen mit den 1. Fußball-Herren nun wieder ganz unten in der Kreisklasse, nachdem sie vor zwei Jahren sogar den Sprung in die Bezirksliga geschafft hatten. Das Problem: die fehlende Sportanlage. Oder, wie Jogi sagt: „Wir haben eben keinen Unterbau.“

Anderes war wichtiger als der Vereinssport

Versprochen wurde der große Platz immer. Andere sagen: in Aussicht gestellt. Es gab ja im Jahr 2000 einen Masterplan für die HafenCity, und darin ist von Flächen im Lohsepark, die das „wohnungs- und arbeitsstättennahe Sportangebot sichern“, die Rede. Jogi sagt, er war sich jahrelang völlig sicher, dass der große Fußballplatz wirklich in die HafenCity kommen würde. „Es hieß, der kostet elf Millionen Euro, und das Geld sei auch vom Senat bewilligt.“ Die Politiker hätten sogar auf die HafenCity als Ausgleichsfläche gesetzt, weil in der Innenstadt die Flächen fehlen. „In der HafenCity sei ja genug Platz, hieß es anfangs“, sagt Jogi.

Doch Jahr für Jahr verschoben sich die Prioritäten. Anderes war wichtiger als der Vereinssport. Im Lohsepark entstand die Gedenkstätte Hannoverscher Bahnhof. Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) sagte 2015 in der Bürgerschaft: „Mit der Überarbeitung des Masterplans 2010 haben sich die Überlegungen zur Integration eines großen Sportplatzes vom Lohsepark in den Oberhafen verschoben.“ Von der Mitte an den Rand also. Immerhin ist noch von einem „großen Sportplatz“ die Rede.

Herzstück jedes Vereins

Auch wenn sie hinzufügt: „Auch hier wurden Dimensionierung und Ausstattung der geplanten Sportflächen nicht spezifiziert und unter Vorbehalt konkretisierender Planungsschritte gestellt.“ Jogi kann mit solcher Sprache nichts anfangen. „Was ist ein Verein denn ohne einen richtigen Fußballplatz in zumutbarer Reichweite?“ Oder anders gesagt: Würde man Politikern ein Rathaus bauen und den Plenarsaal, in dem die verbalen Wettkämpfe stattfinden, hinter die Stadtgrenzen auslagern? „Ein Fußballplatz mit Clubhaus und Umkleidekabinen ist das Herzstück jedes Vereins“, sagt Jogi. „Wenn ich gewusst hätte, dass wir nie eine richtige Sportanlage in der HafenCity bekommen, hätte ich das Projekt nicht angefangen.“ Er sagt auch: „Wir wurden in all den Jahren nur hingehalten.“ Dass sie das mit ihm gemacht haben, macht ihn wütend.

Manfred
„Jogi“ Jürgensen,
streitbarer
Vorsitzender
des Hafen-City-Vereins
Störtebeker
SV
Manfred „Jogi“ Jürgensen, streitbarer Vorsitzender des Hafen-City-Vereins Störtebeker SV © HA | Andreas Laible

Jogi ist ein Kämpfer. Und er kann nicht gut verlieren. Nicht auf dem Fußballplatz und nicht im Leben. Er ist kein Diplomat und sucht immer den direkten Weg. Er eckt überall an und ist völlig angstfrei. Legt sich am liebsten mit denen da oben an. Ein moderner Pirat an der Spitze des Störtebeker-Teams, das sollte passen. Andererseits lichten sich irgendwann die Reihen, wenn man den Leuten immer sofort sagt, was man von ihnen hält. Die Leute, das sind für Jogi abwechselnd „Nachtmützen“, „Knackwürste“ und „Laberköpfe“. Die reden mit dir, sagt Jogi, als hätten sie das Rad erfunden. Sie reden auch über die Entwicklung der einstigen Hafenflächen. Über sein Gebiet.

40 Jahre lang hat Jogi im Hafen gearbeitet

40 Jahre lang hat Jogi im Hafen gearbeitet. Er kennt hier jeden Schuppen. Und jetzt kommen Politiker und Projektentwickler, Gastronomen und Künstler und ergreifen Besitz von den Flächen, auf denen er früher, weit weg von jeder Hafenromantik, Tag und Nacht Säcke geschleppt und Schiffe beladen hat. Und lassen ihn beim Monopoly nicht wirklich mitspielen.

Die Rede ist von 157 Hektar. Oder genauer: 127 Hektar Landfläche. 55 Prozent davon entfallen auf Gebäude und Verkehrsfläche, aber 38 Prozent sind öffentliche Plätze. Parks, Promenaden, Freizeitflächen. Irgendwann sollen hier in 7000 Wohnungen rund 14.000 Menschen leben. Derzeit sind es 3300 in 2100 Wohnungen. Es gibt Schule und Kitas, Parks und Traditionsschiffhafen, Künstlerviertel und Kreuzfahrtterminal, HafenCity-Universität und U-Bahn – nur einen richtigen Fußballplatz, auf dem elf gegen elf spielen können, den gibt es in der HafenCity, in die 8,5 Milliarden private und 2,4 Milliarden Euro öffentliche Investitionsmittel geflossen sind, nicht.

Früheren Bezirksamtsleiter der Lüge bezichtigt

Liegt das auch daran, dass Jogi in all den Jahren seine Gesprächspartner zu direkt angegangen ist? So wie das halt im Hafen üblich war? Nach dem Hauptschulabschluss hat er eine Lehre als Einzelhandelskaufmann im Kaufhaus Horten gemacht. Und schon damals nebenbei im Hafen Säcke geschleppt. „Als Unständiger habe ich an einem Tag mehr Geld verdient als in der Lehre im Monat.“ Also blieb er im Hafen. Erst als Tallymann, also Ladungskontrolleur, und dann 36 Jahre bei der Spedition WZC Riemann. „Dort habe ich mich bis zum Zolldeklarenten hochgearbeitet.“

Er erzählt das gerne, „weil dich die Leute unterschätzen, wenn du sagst, dass du Hafenarbeiter gewesen bist.“ Als er vor Wochen bei Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) saß, habe dieser ihn als Erstes gefragt, warum er denn die Arme vor der Brust verschränke und wovor er Angst habe? „Wovor soll ich Angst haben, Herr Droßmann?“ Na ja, mit verschränkten Armen sitze man doch sonst nur in der Bank, wenn man einen Kredit haben wolle? „Sehen Sie, Herr Droßmann“, hat Jogi gesagt, „im Gegensatz zu Ihnen musste ich noch nie zur Bank, um einen Kredit zu bekommen.“

Droßmanns Vor-Vorgänger Markus Schreiber hat er in einer öffentlichen Diskussion mal der Lüge bezichtigt und dafür lautstark eine Entschuldigung verlangt. Und Lydia Kleist, der Direktorin im Landessportamt, hat er mal gesagt: „Wenn ich so arbeiten würde wie Sie, Frau Kleist, wäre ich lange arbeitslos.“ Eine interessante Frage ist, wie vielen Menschen Manfred Jürgensen in den zehn Jahren, in denen er um eine große Sportanlage gekämpft hat, so kräftig auf die Füße getreten ist, dass sie heute die Augen verdrehen, wenn sein Name fällt.

Der Konferenzraum von Professor Jürgen Bruns-Berentelg liegt im ersten Stock an der Osakaallee direkt am Störtebeker Ufer. Helle Möbel, Blick auf den Fleet, an den Wänden hängen Karten mit sämtlichen sportlichen Einrichtungen in der HafenCity. Warum gibt es keine große Sportanlage in der HafenCity? Die Frage sei zu eng gestellt, findet der HafenCity-Chef. Und hält erst einmal einen 20-minütigen Vortrag über die Bewegungsmöglichkeiten zwischen Elbphilharmonie und Elbbrücken auf „38 Prozent öffentlichen Flächen“.

Kosten zwischen zwölf und 14 Millionen Euro

Man kann wandern, Radfahren, spazieren gehen. Es gebe Bewegungs-Parcours, Bolzplatz, Boule-Anlage. Und sogar überdachte Flächen für Tanz, Gymnastik und Yoga. Es gebe Möglichkeiten für Streetball, Skater und Ballspielen im Park. „Es gibt zukünftig eine 30 Meter breite Promenade und bald eine Kita mit einem Lehrschwimmbecken.“ Und bereits jetzt eine Zweifeldsporthalle in der Grundschule. Und bald noch eine in der zweiten geplanten Grundschule an der Elbe mit integrierter Fitnessausstattung. „Dann kommt auch noch eine Dreifeldsporthalle für das Gymnasium und die Stadtteilschule.“ Und die bekämen, neben Laufbahnen an den Schulen, auch noch Schulsportflächen für Leichtathletik mit 100-Meter-Bahn, für Weit- und Hochsprung sowie Kugelstoßen.

„Und daneben wird ja ein Fußballplatz entstehen“, sagt der Professor. Mit einem Neuner-Feld. 74 mal 55 Meter. „Auf dem können Punktspiele bis zur D-Jugend stattfinden.“ Kosten? „Zwischen zwölf und 14 Millionen Euro.“

Warum ist der Platz nicht einfach 15 Meter länger, um Punktspiele für alle möglich zu machen? „Die räumlich gequetschte Variante eines 11er-Felds erfordert einen großzügigeren Abriss von Schuppen 4, was das entstehende Kulturquartier stärker beeinträchtigt“, sagt Bruns-Berentelg. „Mittelfristig brauchen wir jedoch in der inneren Stadt mit HafenCity einen weiteren wettkampfgeeigneten Fußballplatz. Unter Berücksichtigung der Belange der Umwelt kann der auf Entenwerder liegen.

Viele Mitstreiter

Und ich bin mir sicher, dass wir diesen spätestens 2025 haben werden.“ Ja, er hätte es auch schön gefunden, wenn die HafenCity ein großzügiges 11er-Feld bekommen hätte. Aber das kleinere Fußballfeld sei ein „hervorragendes zeitnahes Ergebnis für den Kinder- und Jugendsport im Quartier“. Genauso lobt er den unermüdlichen Einsatz von Manfred Jürgensen. „Er hat meine Anerkennung, weil er mit außerordentlicher Verve das Thema Sport vorantreibt.“ Er sei aber auch ein „echter Sturkopf“, wie man in Norddeutschland sagt.

Der Sturkopf hat noch viele Mitstreiter. Einer ist Kai Wiese, ebenfalls Mitbegründer des Störtebeker SV und Vorsitzender von „Jugend hilft Jugend“. „Ich bin natürlich immer davon ausgegangen, dass die HafenCity einen richtigen Sportplatz bekommt“, sagt er, „und dass es nie um das Ob, sondern nur um das Wie und Wo gegangen ist.“ Eine große Sportanlage sei wichtig als Treffpunkt für Menschen mit unterschiedlicher Herkunft. Und damit die HafenCity, die eh mit sozialen Einrichtungen unterversorgt sei, eben nicht nur ein „Besichtigungsviertel für Touristen“ bleibe.

Wichtige soziale Funktion

„Gerade der Fußball hat ja eine ganz wichtige soziale Funktion“, sagt Wiese. „Störtebeker kümmert sich auch um die Menschen, die nicht so gut ausgestattet sind.“ Es stimme, dass Jogi „relativ direkt“ sei. „Aber er macht das ja nicht für sich, sondern für die Stadt.“

So sieht man es auch beim Hamburger Sportbund (HSB). „Denkt man über Stadtentwicklung und Sport nach, ist die HafenCity leider das Negativbeispiel schlechthin“, sagt Ralph Lehnert, Vorstandsvorsitzender des HSB. „Umgesetzt wurde ein Jugendspielfeld, das im Fußball nur bis zur D-Jugend regelkonform ist. Dabei wurde in ersten Planungen ein regelkonformer Sportplatz angedacht, aus kommerziellen Gründen aber wieder verworfen.“ Lehnert hält das für „grundfalsch“. Sportvereine trügen entscheidend dazu bei, dass sich Menschen mit ihrem Wohn- und Lebensumfeld identifizieren. Bewegungsangebote seien gut, reichten aber nicht, um das Sportbedürfnis der Menschen zu erfüllen. „Kinder wollen ein Trikot anhaben und ein Punktspiel austragen. Das geht auf einem Bolzplatz oder einer Wiese nicht.“

Nach zehn Jahren ist der Störtebeker SV an den äußersten Rand gedrückt worden. Das Neuner-Feld am Ende des Oberhafenquartiers, das in den Broschüren als Hamburgs neues Künstlerviertel angepriesen wird, ist allenfalls eine Notlösung. „Nach anerkannten Planungsrichtlinien“, sagt Lehnert, „bräuchte der neue Stadtteil sogar zwei Sportplätze.“ Jogi sagt: „Wir sind der einzige Verein in Hamburg, der nur Auswärtsspiele hat.“