Hamburg. Laufen die Düsenmotoren heiß? Christian Langer und sein Team von Lufthansa Technik liefern Antworten – per Mausklick.

Ein Bild wie dieses ist allen luftfahrtbegeisterten Computernutzern vertraut: Kleine Flugzeugsymbole auf dem Bildschirm bewegen sich langsam und ruckweise über eine Europa-karte. Weil besonders viele von ihnen auf Frankfurt und München zustreben oder sich von dort entfernen, liegt der Schluss nahe, dass es sich um Lufthansa-Maschinen handelt.

Christian Langer, Leiter des neuen Geschäftsfelds für digitale Produkte und Lösungen bei Lufthansa Technik in Hamburg, klickt einen der kleinen Jet-Umrisse an – und was er nun vorführt, geht weit über die Möglichkeiten der bekannten Positionsdarstellungsprogramme wie etwa Flightradar24 hinaus: Mausklick für Mausklick kann Langer tiefer in die technischen Details des „echten“ Fliegers einsteigen. Er kann sich sämtliche Status- und Warnmeldungen der verschiedenen Flugzeugsysteme anzeigen lassen, die Wartungshistorie, selbst die Betriebstemperaturen der Düsenmotoren und die verbleibende Lebensdauer der Zündkerzen in den Triebwerken.

Es gibt ein konkretes Ziel

„Pro Sekunde laufen 64.000 Datenelemente in dieses Programm ein“, sagt Langer. Seine Aufgabe ist es, aus dieser Informationsflut ein Geschäft für Lufthansa Technik zu machen – in Form von Wartungskostensenkungen, aber auch durch vermarktbare Produkte und Dienstleistungen.

Dabei gibt es ein konkretes Ziel: Langers neu gegründeter Bereich mit aktuell 25 Beschäftigten soll bis 2021 einen Umsatz von 600 Millionen Euro erwirtschaften. Ein erstes Produkt ist seit einigen Wochen fertig. Es heißt „Aviatar“ und ist ein Bündel von derzeit sieben Apps; der Startbildschirm ist die Live-Kartendarstellung mit den kleinen Flugzeugsymbolen. „Die Nachfrage ist sehr stark, sie kommt von jedem Kontinent der Erde“, sagt Langer. Kurz vor dem Abschluss stünden Verhandlungen mit einer Airline außerhalb der Lufthansa-Gruppe, bis Jahresende soll es drei Kunden geben.

Einzelne Zahl der Zündfunken zählen

Vorgesehen ist, dass Lufthansa Technik jeweils jährlich einen bestimmten Anteil an den Einsparungen erhält, die eine Fluggesellschaft durch den Einsatz von Aviatar erzielt.

Wie es zu solchen Spareffekten kommen kann, erklärt Langer anhand der Zündkerzen: Ein kompletter Satz für einen Airbus A340 kostet rund 10.000 Euro. Bisher werden die Zündkerzen, deren Beanspruchung stark vom Wetter abhängig ist, in festgelegten Zeitabständen ausgewechselt – aus Sicherheitsgründen meist unnötig früh. Die neue App jedoch ermöglicht es, die einzelnen Zündfunken zu zählen. Damit kann man sehr genau ermitteln, wann das Ende der Lebensdauer einer Zündkerze erreicht ist. Wird sie punktgenau ausgewechselt, senkt das die Kosten.

„Vorausschauende Wartung“

Bis Jahresende will Langers Team für 40 bis 50 Flugzeugkomponenten solche Programme für die „vorausschauende Wartung“ schreiben. In einer späteren Entwicklungsphase soll die Aviatar-App sogar das benötigte Material und einen entsprechenden Arbeitsauftrag auf den Weg zu der am besten geeigneten Bodenstation schicken. Daneben bietet Aviatar eine Funktion, mit der man die einzelnen Flugzeugtypen einer Flotte im Hinblick auf die Häufigkeit technischer Schwierigkeiten vergleichen kann.

Auf diese Weise können Jets, die durch unterdurchschnittliche Zuverlässigkeit auffallen, bevorzugt auf Strecken eingesetzt werden, an deren Endpunkten eine schnelle Behebung von Mängeln gewährleistet ist. Wenn erst mehrere Airlines die App einsetzen, können auch anonymisierte Vergleiche der Fehler­anfälligkeit ihrer registrierten Maschinen eines bestimmten Typs abgerufen werden.

Mit der Computermaus
kann auf jede
Lufthansa-Maschine
geklickt werden,
um wichtige Daten
abzurufen
Mit der Computermaus kann auf jede Lufthansa-Maschine geklickt werden, um wichtige Daten abzurufen © HA | Andreas Laible

Eine weitere Aviatar-App bietet den Zugriff auf sämtliche Wartungsdokumente der eigenen Flugzeuge in digitaler Form – bisher standen diese Unterlagen meist nur auf Papier zur Verfügung, bei älteren Jets sind es 22.000 Seiten und mehr. Dabei wurde die zuletzt genannte App nicht von Lufthansa Technik ent­wickelt. Sie stammt von der britischen Firma FLYdocs, die sich auf die Digitalisierung der technischen Dokumentation von Flugzeugen spezialisiert hat. Drittfirmen sind ausdrücklich eingeladen, zusätzliche Anwendungen für Aviatar beizusteuern. Auf der anderen Seite können sich Kunden aus der Palette der Apps gezielt diejenigen heraussuchen, die sie benötigen. „Das ist ein offenes System“, sagt Langer.

Auch Airbus mischt mit

Lufthansa Technik sieht in den digitalen Diensten im Umfeld der Flugzeug­wartung einen Markt mit immensen Wachstumsperspektiven: Im Jahr 2025 werden weltweit 38.000 Verkehrsmaschinen unterwegs sein, wobei moderne Typen das Fünfzigfache der Datenmenge ihrer Vorgänger produzieren. Mehr als die Hälfte der Betriebskosten stehen nach Angaben des Unternehmens im Zusammenhang mit der Instandhaltung.

Angesichts solcher Zahlen bemühen sich auch andere Konzerne um diesen Markt. So kündigte Airbus kürzlich auf der Luftfahrtmesse in Paris eine Kooperation mit dem amerikanischen Datenanalysespezialisten Palantir an. „Ich denke, wir werden in einigen Jahren zurückblicken und sagen: Dort haben wir tatsächlich den verknüpften, volldigitalen Luftverkehr gestartet“, hatte Airbus-Chef Tom Enders gesagt. Der US-Triebwerkhersteller General Electric ist schon seit zwei Jahren auf diesem Feld tätig.

Profundes Ingenieurwissen

Dennoch rechnet sich Lufthansa Technik gute Chancen aus, ganz vorn dabei zu sein. Die Hamburger verweisen darauf, als Weltmarktführer in der Flugzeugwartung über profundes Ingenieurwissen sowie ein globales Netz von Standorten zu verfügen, als Tochter einer großen Airline-Gruppe aber ebenso mit dem Alltagsbetrieb einer umfangreichen Flotte vertraut zu sein. Das umfasst auch einen wertvollen Schatz an digitalen Informationen, wie Langer sagt: „Zum Glück haben wir schon vor vielen Jahren aufgehört, Daten wegzuwerfen.“