Hamburg/Berlin. Der Dienst ist zunächst nur im Zentrum der Stadt verfügbar. Das Angebot ist von 85.000 auf mittlerweile 300.000 Produkte gestiegen.

Amazon expandiert seinen Online-Supermarkt Fresh rund zweieinhalb Monate nach dem Deutschland-Start nach Hamburg. Der Service ist zunächst vor allem in zentralen Bezirken der der Hansestadt verfügbar, wie der US-Konzern am Mittwoch mitteilte. Fresh-Deutschlandchef Florian Baumgartner zeigte sich aber zuversichtlich, dass bald das gesamte Stadtgebiet abgedeckt werde. Derzeit reicht das Liefergebiet von Altona über Eimsbüttel bis nach Wandsbek und Mitte. Nicht beliefert werden dagegen Randbezirke wie Bergedorf oder Harburg.

Amazon Fresh war Anfang Mai in Berlin und Potsdam mit einem Sortiment von rund 85.000 Artikeln gestartet. Inzwischen sei das Angebot auf rund 300.000 Produkte gestiegen, weil auf Kundenwunsch nun auch mehr Waren aus dem Non-Food-Sortiment zur Fresh-Bestellung hinzugefügt werden können, hieß es. Amazon bietet Fresh den Kunden seinen zahlungspflichtigen Abo-Dienstes Prime für zusätzlich 9,99 Euro im Monat an.

Florian Baumgartner ist der Deutschland-Chef von Amazon Fresh
Florian Baumgartner ist der Deutschland-Chef von Amazon Fresh © dpa | Monika Skolimowska

Die Kunden in Hamburg sollen vom Berliner Fresh-Depot aus beliefert werden. Die isolierten Liefertaschen mit Kälteakkus oder Trockeneis seien in der Lage, die Kühlung beim Transport auch ohne spezielle Fahrzeuge zu sichern, betonte Baumgartner. Für die Kunden bedeutet der längere Weg, dass sie ihre Bestellungen etwas früher abschicken müssen: bis 22.00 Uhr für die Lieferung ab 5.00 Uhr am nächsten Tag. Zudem können 13.000 Artikel bei Bestellung bis 10.30 Uhr am selben Tag geliefert werden. In Berlin reicht dafür die Order bis Mittag.

Die Routenplanung durch das Depot übernimmt eine Software

Das Berliner Depot sieht aus wie ein weitläufiger Supermarkt: eine große Halle mit Metallregalen. Dazwischen sind die „Picker“ unterwegs – Mitarbeiter, die Kunden-Bestellungen zusammenstellen. Jeder schiebt einen Wagen mit acht der markanten grünen Zustell-Taschen vor sich her. Die Regalreihen sind bis zum einzelnen Fach durchnummeriert. Die Software übernimmt die Routenplanung. Direkt auf dem Bildschirm des Barcode-Scanners wird angezeigt, zu welchem Produkt es als nächstes geht. Der Weg führt von den schweren Sachen, die nach unten kommen, zu den zerbrechlicheren wie Nudeln sowie frischem Obst und Gemüse, das in der Tasche ganz oben landet.

Das Sortiment des Lieferdienstes: Jedes Regal, jedes Fach ist durchnummeriert
Das Sortiment des Lieferdienstes: Jedes Regal, jedes Fach ist durchnummeriert © dpa | Monika Skolimowska

Im Berliner Depot wird weiter an allen möglichen Stellschrauben gedreht. „Es vergeht kein Tag, ohne dass wir etwas umbauen“, sagt Operations-Manager Raik Schatte. Das können Prozesse oder die räumliche Aufteilung sein.

Man könne zwar auch nicht alle Entwicklungen mit Datenauswertung und Algorithmen abbilden, sagt Baumgartner. Eine Tour durch das Depot im Norden Berlins macht aber deutlich, wie aus Amazons über Jahre eingespielter Logistik-Effizienz und dem von Konzernchef Jeff Bezos gebetsmühlenartig eingeforderten Fokus auf den Kunden tatsächliche Konkurrenz für deutsche Supermarktketten entstehen kann. Frisches Brot wird direkt zur Auslieferung der Bestellung aufgebacken. Genauso der Wurstaufschnitt, bei dem man die Dicke der Scheiben auswählen kann. Die rund zwei Dutzend lokalen Händler, deren Produkte auch über Fresh vertrieben werden, liefern täglich an einen zentralen Sammelpunkt, von dem die Ware dann ins Depot gebracht wird.

Die Bedeutung für den Lebensmittelhandel ist noch unklar

Noch sei es viel zu früh dafür, um einen Umbruch im deutschen Lebensmittelhandel zu erkennen, sagt Marktexperte Thomas Täuber von der Unternehmensberatung Accenture. Aber: „Amazon hat gezeigt, dass das Modell in den ausgewählten Regionen gut funktioniert und damit die Richtmarke für die Lebensmittelhändler wie REWE, Edeka, Aldi oder Lidl gesetzt“, betont er. „Die müssen sich jetzt noch intensiver Gedanken machen, wie sie ihre Vorteile ausspielen können.“

Die Rivalen in Deutschland, die lange Zeit hatten, sich auf den Start von Amazon Fresh vorzubereiten und eigene Online-Angebote starteten, hätten dem US-Giganten auch einiges entgegenzusetzen. „Sie haben die Kundenbindung in der gesamten Fläche, sie haben die Infrastruktur und Logistik und wenn sie das clever kombinieren mit neuen Flächenkonzepten, haben sie sehr wohl eine gute Chance, ihren Anteil am Markt zu sichern“, sagt Täuber. Er rechnet damit, dass immer mehr Kleinflächen-Märkte in zentralen Lagen entstehen, die die Online-Welt integrieren - zum Beispiel indem man online zusammengestellte Warenkörbe abholen kann. „Aber sie werden im reinen Online-Kanal wahrscheinlich nie die 85.000 Produkte und das Serviceniveau von Amazon erreichen“, schränkt der Experte zugleich ein.

Im Heimatmarkt USA machte Amazon vor kurzem Schlagzeilen mit der fast 14 Milliarden Dollar schweren Übernahme der auf hochwertige und entsprechend teure Lebensmittel spezialisierten Ladenkette Whole Foods Market. Der Großteil ihrer 461 Geschäfte ist in den USA, aber neun liegen mit Großbritannien auch in Europa. Wäre das auch ein Weg für Deutschland? Amazon-Manager Baumgartner weicht aus – derzeit gehe es darum, hier das Fresh-Konzept zum Laufen zu bringen.

Die deutschen Kunden müssen noch überzeugt werden

Im Moment müssen Kunden in Deutschland zunächst noch überzeugt werden, dass die online bestellten Waren genauso frisch und ohne Unterbrechung der Kühlkette geliefert werden wie im gewohnten Supermarkt. Die eingehende Frischware, die zunächst komplett im Kühlbereich landet, werde von ausgebildeten Produktspezialisten begutachtet, heißt es bei Amazon. In die Liefertaschen kommen Kälteakkus oder Trockeneis bei Tiefkühlprodukten. Niemand darf die Halle betreten, ohne sich die Hände zu desinfizieren.

Rund 150 Mitarbeiter arbeiten im Fresh-Depot, etwa 75 pro Schicht. Im Tiefkühler mit seinen Minus 18 bis 22 Grad ist die Arbeitszeit auf 30 Minuten beschränkt, im Kühlbereich bei Plus 2 auf zwei Stunden. Auf einem Board am Eingang können Mitarbeiter Vorschläge und Fragen aufschreiben. Binnen zwölf Stunden soll es eine Antwort der Betriebsleitung darauf geben, sagt Schatte. Derzeit geht es unter anderem um den Wunsch nach mehr Uhren in der Halle und die Möglichkeit, dorthin eigene warme Getränke mitnehmen zu können.