Hamburg. Die ehemalige Linken-Fraktionschefin ist in die Partei von Olaf Scholz zurückgekehrt. Unterordnen will sie sich dort aber nicht.
Ihre Erklärung am Mittwoch in der Bürgerschaft wirkte wie ein Paukenschlag zum Abschluss der emotionalen G20-Debatte: Die frühere Spitzenkandidatin und Fraktionschefin der Hamburger Linken, Dora Heyenn (68), ist wieder in die SPD eingetreten, der sie schon bis 1999 über viele Jahre angehört hatte. Im Abendblatt-Interview spricht die zuletzt partei- und fraktionslose Bürgerschaftsabgeordnete über ihre Beweggründe und das, was sie politisch in der SPD noch so vorhat.
Sie sind wegen der Politik von Gerhard Schröder schon 1999 aus der SPD ausgetreten und kämpfen nach eigener Aussage bis heute gegen Hartz IV. Nun haben Sie Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz, einem der Architekten dieser Sozialreform, Ihren Aufnahmeantrag übergeben. Wie passt das zusammen?
Dora Heyenn: Ich bin auch weiter gegen Hartz IV, und dagegen, dass Hamburg die deutsche Hauptstadt der Altersarmut ist. Da werde ich meine Meinung auch in der SPD nicht ändern. Ich sehe mich als Teil des linken Flügels in der SPD. Aber die Partei ist ja etwa mit den Vorschlägen von Martin Schulz zum verlängerten Arbeitslosengeld bereits dabei, ihre Fehler zu korrigieren.
Was hat Sie bewogen, gerade jetzt in die SPD einzutreten?
Heyenn: Ich habe am Freitag im Internet einen Livestream aus der Schanze gesehen. Das war wie Bürgerkrieg. Ich konnte das kaum ertragen. Am Sonnabend war ich bei der Demo „Hamburg zeigt Haltung“ und bekam mit, wie bei der Veranstaltung des Linken-Abgeordneten Jan van Aken der Schwarze Block mitlaufen durfte, der für weite Teile der Gewalt verantwortlich war. Da habe ich mir gedacht: Das kann man so nicht dulden. Dagegen musst du dich einbringen.
Hat die Linke ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt, wie es die SPD ihr vorwirft?
Heyenn: Dass man sich nach derartigen Gewaltexzessen nicht vom Schwarzen Block distanziert, sagt ja einiges. Bemerkenswert fand ich auch, dass die ersten Pressemitteilungen der Linken bei G20 ausschließlich der Polizei die Schuld an der Gewalt gegeben haben. Wie ich höre, sind viele Mitglieder nicht einverstanden mit der Haltung von Fraktion und Vorstand. Nächste Woche gibt es dazu ein Mitgliedertreffen.
Nun hat allerdings Olaf Scholz den G20-Gipfel nach Hamburg geholt und sein Versprechen nicht gehalten, für Sicherheit zu sorgen.
Heyenn: Das stimmt zwar. Trotzdem habe ich die SPD auch in der Vorbereitung der Demonstrationen wie in vielen anderen Bereichen als eine Partei erlebt, die den Zusammenhalt in der Gesellschaft sucht. Die Partei ist ständig im Gespräch mit Kirchen, Gewerkschaften und Sozialverbänden. Sie ringt um gemeinsame Lösungen. Die schnelle Entschädigung für die Opfer der Krawalle ist ein Beispiel dafür.
War vor Ihrer Rede eigentlich jemand in Ihre Pläne eingeweiht?
Heyenn: Ich habe am Sonntag bei SPD-Fraktionschef Andreas Dressel angerufen und gefragt: Wollt ihr mich überhaupt haben? Seine Reaktion war so positiv, dass ich mich entschlossen habe: Ich mach das. Vor meiner Rede waren sonst nur Olaf Scholz und der parlamentarische Geschäftsführer Dirk Kienscherf eingeweiht. Die Reaktion der Fraktion hat mich total gefreut. So herzlich bin ich noch nie aufgenommen worden.
Sie sind schon 2015 aus der Linken-Fraktion und später aus der Partei ausgetreten, weil Sie nach Ihrer erfolgreichen Spitzenkandidatur bei der Wahl zum Fraktionsvorsitz durchfielen. Ist Ihr SPD-Eintritt jetzt auch eine späte Rache an den Linken?
Heyenn: Nein. Ich habe schon lange keinen Kontakt mehr zur Führung der Linken. Das war eine Entscheidung für die SPD, nichts anderes. Gegen die Linke habe ich mich ja schon 2015 entschieden.
Glauben Sie, dass die Debatte über G20 mit der Bitte des Bürgermeisters um Entschuldigung in der Bürgerschaft beendet ist?
Heyenn: Nein, auf keinen Fall. Da muss noch sehr viel aufgeklärt werden. Auch die Polizeiführung hat Fehler gemacht. Aber auch die Rolle der Roten Flora und der Politik müssen genau geklärt werden. Das, was bei G20 in Hamburg passiert ist, wird uns noch lange beschäftigen.
Die Krawallnacht in Hamburg:
"Welcome to Hell" – die Krawallnacht in Hamburg
Die Linke fordert, dass Sie Ihr Bürgerschaftsmandat zurückgeben, weil Sie es ja für diese Partei gewonnen hätten.
Heyenn: Na, das fällt denen ja früh ein. Nein, ich werde das Mandat nicht zurückgeben. Ich habe bei der Bürgerschaftswahl 27.591 Personenstimmen bekommen. Da haben Menschen mich persönlich gewählt. Zum Vergleich: Die aktuelle Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir bekam 12.794 Personenstimmen und Sabine Boeddinghaus gerade mal 6092.
Ihr neuer Landesvorsitzender Olaf Scholz gilt als führungsstark, manche formulieren das auch weniger freundlich. Inhaltliche Debatten über den richtigen Kurs scheint es in der SPD kaum noch zu geben. Ist das Ihr Ding, sich da jetzt ein- und unterzuordnen?
Heyenn: Nein, das ist nicht mein Ding, und das wissen auch alle. Einige aus der Fraktion haben mir am Mittwoch gesagt, dass sie sich freuen, dass mit mir nun eine Stütze auch für die kritischen Abgeordneten dazukomme.
Hat Olaf Scholz also eine Frau aufgenommen, die ihm Ärger machen will?
Heyenn: Was heißt Ärger? Man muss in der Politik argumentieren und Konflikte austragen und dann zu einer Einigung kommen. So habe ich immer Politik gemacht und so werde ich mich auch in der SPD einbringen. Und dann schauen wir mal, ob da wirklich so durchregiert wird, wie man das von außen wahrnimmt. Ich glaube, da tut sich vieles, und ich hoffe, da einiges mit bewegen zu können.
Hat die SPD Ihnen eigentlich etwas angeboten für den Wechsel?
Heyenn: Nein, das ist Quatsch, auch wenn manche behaupten, ich hätte etwas „ausgedealt“. Ich bin ohne große Ambitionen in die SPD eingetreten. Ich schaue mir an, was die Fraktion mir an Ausschussarbeit vorschlägt. Ich habe ja zuletzt viel in den Bereichen Wissenschaft, Schule, Umwelt, aber auch Kultur gearbeitet. Mal sehen, was sich ergibt.
Wollen Sie 2020 erneut für die Bürgerschaft kandidieren, diesmal für die SPD?
Heyenn: Ich bin jetzt 68. Da zitiere ich mal meine Oma: „Wenn ick dann noch leef.“