Hamburg. Die Hansestadt ist weltweit wichtigster Umschlagplatz. Die Anfänge gehen 340 Jahre zurück.
Zur sommerlichen Kaffeestunde passt dieses Heißgetränk besonders gut – am besten frisch aufgebrüht. Man trinkt nicht nur, man genießt. Auch weil die geröstete Bohne in Hamburg Heimspiel hat. Von jeher. Kaffee begründete einen Teil des Wohlstands, war und ist mit vielen Arbeitsplätzen verbunden. Aktuell sind kleine Röstereien stark im Trend. Nicht nur das Koffein sorgt für Belebung. Es ist eine schöne Geschichte, angereichert mit herrlichen Anekdoten.
Die Entwicklung zur Kaffee-Hauptstadt ist von Stil und Traditionsbewusstsein geprägt. Wer als Kaffeekaufmann im alten Hamburg etwas auf sich hielt, kleidete sich standesgemäß. Bratenrock, in Schwarz natürlich, weißer Stehkragen und Zylinder gehörten zum hanseatischen Stil. Auch die Pfeffersäcke an der anno 1558 gegründeten Wertpapierbörse kamen nach und nach auf den guten Geschmack – nicht nur die Kleidung betreffend: Nahe der Trostbrücke eröffnete ein Engländer 1677 die erste Schankwirtschaft für Kaffee und Tee. Erst sechs Jahre später legte Wien mit seiner Kaffeehaus-Premiere nach.
Rasante Entwicklung
Was also vor 340 Jahren begann, entwickelte sich rasant. Drei von vier in Deutschland getrunkenen Tassen Kaffee gehen heutzutage durch Hamburger Hände. Hamburgs Stellenwert als weltweit bedeutendster Standort des Kaffeeumschlags ist bekannt, die Details des Aufstiegs sind es weniger.
In Hamburg wurden der Wirkstoff Koffein entdeckt und später die entkoffeinierten Bohnen entwickelt. In unserer Stadt wurde der erste „Coffee to go“ hierzulande ausgegeben, bei Balzac. Und Howard Schultz, noch bis diesen Monat aktiver Chef des Coffeeshop-Giganten Starbucks, machte sich weit vor Blüte und Wuchs des Unternehmens in Hamburg mit den Wurzeln des Kaffeehandels vertraut. In Vietnam und in Dubai sind Kaffeemuseen überwiegend mit Erinnerungsschätzen aus Hamburg bestückt.
Wer mehr über diesen Teil Hamburger Wirtschaftsgeschichte erfahren möchte, kommt im Kaffeemuseum in der Speicherstadt auf seine Kosten. Auf zwei Etagen mit 700 Quadratmetern ist eine Menge zum Thema zusammengestellt. Das Ambiente des Kellergewölbes passt perfekt. Mehr als 1000 Exponate dokumentieren die Historie des Kaffees. Museumsleiterin Bärbel Dahms erweist sich als wandelndes Lexikon.
Wenn die Chronisten vergangener Tage recht haben, wurde die erste Tasse Kaffee Norddeutschlands 1668 im Hamburger Ratskeller getrunken. Weitreisende Kaufleute hatten den anregenden Genuss in Venedig, Oxford und London entdeckt. Die neue Mode rief auch Kaffeesatzleser auf den Plan, die sich mit dieser dubiosen Form des Wahrsagens ein Zubrot verdienten. Im Hamburger „General-Register“ vom 11. April 1827 mit Gesetzen und Verordnungen ist zu lesen, dass „Caffee Kucken“ 1762 verboten und unter Strafe gestellt wurde.
Merkantile Höchstleistungen
Für die Hanseaten war nicht nur der Geschmack besonders. Die Aussicht, mit dem Handel und dem Rösten von Kaffee Gewinne einzufahren, regte zu merkantilen Höchstleistungen an. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts brummten Geschäft und Umsätze so richtig.
Frau Dahms führt durch die beeindruckende Ausstellung. Dann bittet sie zu Tisch. Serviert wird, natürlich, frisch aufgebrühter Kaffee hauseigener Röstung. Einer alten Drucksache ist zu entnehmen, dass 1886 der „Verein der am Kaffeehandel betheiligten Firmen zu Hamburg“ ins Leben gerufen wurde. Diese Standesorganisation trieb die Gründung der Terminbörse für Kaffee am Sandtorkai 1887 voran.
24 Millionen Jutesäcke
In den ersten eineinhalb Jahren wurden an der neuen Börse 24 Millionen Jutesäcke Kaffee gehandelt. Es war eine reine Männerwelt. Als Telegrafie und Dampfschifffahrt die Umsätze weiter steigerten, hielten 1904 die ersten Stenotypistinnen Einzug. Eilends musste eine Damentoilette eingerichtet werden.
Solche und weitere köstliche Details sind im Buch „Der Sandthorquai“ (frühere Schreibweise) zu lesen, dessen Untertitel Programm ist: „Geschichte und Geschichten von ehrbaren hanseatischen Kaufleuten, von Kaffee, Typen und Kontrakten ...“ Liebevoll und kenntnisreich schildern die Autoren die Tradition des Kaffees an der Elbe. So ist die Unterhaltung zweier Importeure festgehalten. „Was macht eigentlich dein Sohn?“, fragt der eine. Der andere entgegnet: „Ich musste ihn studieren lassen. Für den Kaffeehandel ist er zu dumm.“
Als 1885 der Bau der Speicherstadt gestartet wurde, setzte sich der Boom der Bohnen fort. Waren die Kaffeehändler zuvor noch in der Innenstadt verteilt, konzentrierte sich ihre Firmenwelt bald auf das Areal rund um den Sandtorkai. Aus anfangs 5000 Quadratmetern Kontorraum und 20.000 Quadratmetern Lagerfläche wurden rasch mehr. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kaffeebörse zerbombt – mit ihr der Kaffeehandel.
Die 1956 neu errichtete Börse versprach ein Wirtschaftswunder. Die sieben Jahrzehnte zuvor gegründete Standesorganisation der Kaffeeleute umfasste sieben Jahre nach Gründung der Bundesrepublik mehr als 300 Firmen – sie schrieben zumeist erstklassige Zahlen, wie alte Kontorbücher beweisen.
Wandel im Kaffeehandel
Mit den Terminhändlern und Spekulanten indes fehlte es der neuen Börse an Sinn und Umsätzen. 1958, so ist protokolliert, hielten sich dort in der Regel nur noch drei ältere Herren auf, lasen Zeitung, pafften Zigarren und hielten Klönschnack. Das Aus einer Institution stand bevor. Teile der Börse gehören heute zum Ameron-Hotel.
Das lesenswerte Buch wurde mit Unterstützung der Neumann Kaffee Gruppe mit Hauptsitz Am Sandtorpark verlegt. Dieses Traditionsunternehmen spiegelt den Wandel im Kaffeehandel wider. Hanns R. Neumann begann 1934 als Agent und Makler für Kaffee. Aus einem kleinen Kontor erwuchs der weltweit führende Rohkaffeedienstleister. Aktuell umfasst die Gruppe 46 Firmen in 27 Ländern mit 2200 Mitarbeitern. Sie verkaufte 2016 mehr als 15 Millionen Sack Rohkaffee. Jede siebte Tasse Kaffee, die in den Importländern getrunken wird, läuft über Neumann in Hamburg.
Darboven lebt Kaffee
Wer noch mehr über die Wurzeln des Kaffees in der Hansestadt erfahren will, ist bei Albert Darboven am Pinkertweg in Billbrook an der richtigen Adresse. Der Kaufmann ist 81 Jahre alt; er lebt Kaffee wie kaum ein anderer. Regelmäßig verkostet er dieses Getränk im Musterzimmer, trinkt täglich ein Dutzend Tassen davon (schwarz!) und beherzigt die Regeln seines Vaters Arthur: „Kaffee in großen Mengen ist nur dann gefährlich, wenn dir aus einem Speicher davon ein Sack auf den Kopf fällt.“
„Atti“ Darboven gilt als Pionier des entkoffeinierten Kaffees. Dass es diesen Wirkstoff überhaupt gibt, ist Ergebnis Hamburger Forschung. Der Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge aus Billwerder entdeckte 1819 in Hamburg das Koffein. Somit war die angeblich magische Wirkung dieses Genussmittels geklärt.
Erinnerungsstücke der Hamburger Kaffeegeschichte
Der Hamburger Jens Burg kam später auf den Geschmack. Erst lernte er bei List & Heineken am Pickhuben Kaffeekaufmann, später übernahm er die Rösterei seines Vaters am Eppendorfer Weg 252, die dieser 1923 gegründet hatte. Daraus wurde in den 1970er-Jahren „Burgs Museumsladen“.
Jens Burg sammelte Erinnerungsstücke der Hamburger Kaffeegeschichte und stellte sie im Geschäft aus. Als nicht mehr genug Platz war, gründete er in der Münsterstraße in Eppendorf ein eigenes Kaffeemuseum.
Jedes Jahr 700.000 Tonnen Kaffee
Mit über 70 Jahren trat Burg in den Ruhestand. Geschäft und Museum verkaufte er an den Teehändler Holger Sturm, einen Teil seiner Sammlung an neu zu gründende Kaffeemuseen in Saigon, Hanoi und Dubai. Sturm verlagerte das Museum im November 2015 ans St. Annenufer. In den Speichern des Blocks R wurden schon 1892 Bohnen gelagert und bearbeitet. Der Ort war gut gewählt.
Über den Hamburger Hafen werden jedes Jahr 700.000 Tonnen Kaffee eingeführt und 400.000 Tonnen exportiert – nicht mehr in Säcken, sondern meist in belüfteten Containern. Namhafte Kaffeefirmen, Röstereien und Europas modernstes Kaffeelager sind in der Hansestadt beheimatet. Kleine Röster mit speziellen Mischungen sind angesagt.
Entscheidung für Hamburg fiel 1996
„Die Entscheidung für Hamburg als Kaffeestadt Nummer eins fiel 1996“, meint Burg. Damals übernahm das Hamburger Unternehmen Tchibo den Bremer Rivalen Eduscho („Hoch die Tasse, hoch die Tasse, hoch Eduscho Spitzenklasse“). Deutschlands zweitgrößter Kaffeekonzern schluckte den viertgrößten. Seitdem ist die benachbarte Hansestadt nur noch die Nummer zwei.
Ein Pluspunkt jedoch ist den Bremern nicht zu nehmen. „1673 wurde dort das erste deutsche Kaffeehaus eröffnet“, weiß der Deutsche Kaffeeverband mit Sitz am Steinhöft in Hamburg. Also vier Jahre vor der Premiere an der Trostbrücke. Den Aufstieg Hamburgs zur Kaffee-Hauptstadt konnte dieses köstliche Detail nicht bremsen.