Hamburg . Branche hat Filter-Kaffee zum wichtigsten Trend des Jahres ausgerufen. Dieser Trend kostet dann schon mal 4,50 Euro pro Flachmann.
Es war – ja, das gibt es offenbar wirklich – Liebe auf den ersten Schluck. Während einer Reise durch Australien hatten Jan und Niclas Stemplewski vor zwei Jahren einen kalt gebrauten Kaffee probiert und waren sofort begeistert von fruchtigen Aromen und Geschmacksvielfalt. „Ich habe nur gedacht, so kann Kaffee auch schmecken“, sagt Jan Stemplewski.
Juristen bauen Apparatur zur Kaffee-Produktion
Dumm nur, dass Cold Brew oder Cold Drip Coffee, wie das koffeinhaltige Getränk heißt, in Deutschland kaum bekannt, geschweige denn zu bekommen war. Die Brüder aus Hamburg, eigentlich beide Juristen, fingen kurzerhand selbst an zu experimentieren, entwickelten eine Apparatur für die Herstellung ihrer Variante kalten Kaffees.
Seit Mitte des vergangenen Jahres ist Stempel’s Slowbrew auf dem Markt. Mit dem, was man normalerweise mit Kaffeetrinken verbindet, hat das allerdings erst mal wenig zu tun. Abgefüllt in kleine Flachmann-Flaschen ist Slowbrew eher so etwas wie ein natürlicher Engerydrink und eine Basis zum Mixen mit und ohne Alkohol.
„Es schmeckt fruchtig herb, hat sehr viel Koffein, aber keine Säure- und Bitterstoffe“, sagt Niclas Stemplewski, der gemeinsam mit seinem Bruder einen fünfstelligen Betrag in das Start-up investiert hat. Dabei ist das Getränk, dessen Farbe an Bernstein erinnert, komplett handgemacht – vom ersten Tropfen, der in ein Bett aus gemahlenem Kaffee fällt bis zum Kleben der Etiketten. Das erklärt auch den Preis: 4,50 Euro kostet ein Fläschchen mit 200 Millilitern.
Gefilterter Kaffe wichtigster Trend des Jahres
Von wegen Latte macchiato oder Cappucino als schneller Coffee-to-go aus dem Pappbecher. Jetzt wird getropft, gepresst oder übergossen. Die Kaffeebranche ruft gefilterten Kaffee als wichtigsten Trend des Jahres aus. Neu interpretiert natürlich, mit dem Kännchen Filterkaffee haben Pour over Coffee, Drip Coffee oder eben auch Cold Brew maximal die Kaffeebohne als Ursprungsprodukt gemeinsam. Dabei rücken nicht nur die zeitintensivere Zubereitung (mit vielen neuen Hilfsmitteln), sondern auch die Vielfalt der Kaffeesorten und ihre Röstung ins Zentrum des Interesses.
„Wir merken die wachsende Popularität des Filterkaffees in unseren Absätzen“, sagt Arthur E. Darboven, Geschäftsführer von Benecke Coffee in Hamburg. Die Röster fragten zunehmend Kaffees aus gewissen Regionen mit bestimmten Eigenschaften wie Säure- und Süßegehalt, an, so der Rohkaffee-Händler. Einer der Hotspots der neuen Kaffeekultur ist der Stockholm Espresso Club. Ein bisschen versteckt in einer kleinen Nebenstraße in Winterhude zelebriert der gebürtige Göteborger David Vahabi seine Kaffee-Mission.
Hinter dem Tresen stehen Kannen mit Filtern aus feinem japanischen Porzellan, ein Siphon aus Glas und eine große Kaffeemühle neben der chromglänzenden Espressomaschine. „Ich versuche meine Kunden zu überzeugen, Filterkaffee zu probieren“, sagt Vahabi, der die kleine Kaffeebar mit Kompagnon Benjamin Link betreibt. Im Angebot hat er heiß (ab 4,50 Euro) und kalt gebraute Varianten (ab 3,90 Euro), auch ein – übrigens sehr gut schmeckender – Espresso Tonic auf Eis (4,90 Euro) steht auf der Karte.
Das Interesse an gefiltertem Kaffee nehme zu, sagt der Kaffee-Gourmet, der auf die hellen Röstungen des kleinen schwedischen Bio-Kaffee-Anbieters Koppi schwört und von Kaffee spricht wie andere von Wein. „Transparent und samtig, man schmeckt schwarze Johannisbeere“, schwärmt er und schwenkt seinen Cold Brew im Glas. Inzwischen ist der Coffeeshop kein Geheimtipp mehr. Und nicht nur Hamburger kommen. „Ich habe auch Kunden aus Japan, den USA und Kanada“, erzählt Vahabi.
Kaffee ist mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von 162 Litern nach wie vor das liebste Getränk der Deutschen. Filterkaffee hat einen Anteil von 64 Prozent. Allerdings verschieben sich bei leichtem Anstieg des Kaffeeverbrauchs (379.100 Tonnen) die Gewohnheiten. Während der Absatz von gemahlenem Kaffee (243.000 Tonnen) laut Kaffeemarkt 2015 des Deutschen Kaffeeverbands im vergangenen Jahr leicht sank, griffen die Deutschen häufiger zur ganzen Bohne (84.600 Tonnen) und Einzelportionen (51.500 Tonnen). Allein im vergangenen Jahr hat der Kaffeekonsum 1,03 Milliarden Euro Kaffeesteuer in die Staatskasse gespült.
Internationale Fachmesse für Kaffee, Tee und Kakao
In der kommenden Woche (7.–9. September) trifft sich die Branche bei der Coteca, der internationalen Fachmesse für Kaffee, Tee und Kakao, in Hamburg. Kleiner und feiner geht es an diesem Wochenende beim Berlin Coffee Festival zu. Dort sind vor allem Vertreter der sogenannte ThirdWave, was so viel bedeutet wie dritte große Veränderungswelle innerhalb der Kaffeekultur, zu finden. Die wichtigsten Merkmale der Bewegung: Die Geschmacksvielfalt des Produkts Kaffee steht im Mittelpunkt, für Zubereitung und Genuss nimmt man sich Zeit.
Das kann der perfekte Espresso sein, ein guter Filterkaffee oder eben auch ein kalt gebrühter Kaffee. Das Getränk, das gerade im Sommer immer beliebter wird, ist wahrscheinlich im 17. Jahrhundert in Japan erfunden worden. In den USA wird Cold Brewed Coffee, der in der Regel eine Nacht ziehen sollte, ähnlich wie Craft Beer schon aus dem Hahn gezapft.
Aber auch bei der Kaffeezubereitung zu Hause sehen die Experten einen Retro-Trend, der sich bei den Herstellern von Zubehör niederschlägt. Ein Beispiel ist die Handkaffeemühle Bean me up. Das Hamburger Unternehmen Riensch & Held, das auf die Herstellung von Zubehör rund um den Bereich Tee (Finum) spezialisiert ist, hatte die Mühle mit einem Fassungsvermögen für drei Tassen Kaffee 2015 über eine Crowdfunding-Aktion bei Kickstarter.de mit 30.000 Euro angeschoben. „Die Unterstützer erhielten als Prämie die ersten Kaffeemühlen zu Vorzugspreisen. Dadurch war ein erheblicher Teil der ersten Lagerware schon verkauft, bevor es überhaupt einen Prototyp gab“, sagt Geschäftsführer Christian Justus.
Acht Stunden, bis der Kaffee fertig ist
Im vergangenen Jahr wurde das handliche Gerät, das in der Form an eine Kaffeebohne erinnert, mit dem renommierten Good Design Award für besonders innovatives Produktdesigns des Chicago Athenaeum ausgezeichnet. „Der Markt wächst“, sagt Justus, der das Produkt mit entwickelt hat. Es ist über das Internet zu bestellen und kostet 60 Euro. Inzwischen steht eine weitere Innovation der Traditionsfirma kurz vor der Einführung: Der Coffee Sprinter (15 Euro) ist ein Dauerfilter für einzelne Tassen, der das Wasser langsam durchtropfen lässt.
Viel Zeit und Geduld steckt auch hinter Stempel’s Slowbrew. „Es dauert bis zu acht Stunden, bis der Kaffee Tropfen für Tropfen fertig ist“, sagt Christian Becke. Der Betriebswirt ist in diesem Jahr zu dem Start-up gestoßen und verantwortet das Tagesgeschäft. Aktuell dauert die Produktion einer Charge mit etwa 250 Flaschen des Koffein-Drinks einen ganzen Tag. 4500 wurden bislang über das Internet (www.slowbrew.de) verkauft, so Becke. Und das Interesse besonders bei jungen Leute steigt.
Deshalb soll die Produktion jetzt erweitert und teilautomatisiert werden. Die Existenzgründer haben inzwischen mehrere Kooperationspartner für ihre Produktinnovation gefunden. „Es ist nicht so einfach, weil das Herstellungsverfahren für alle komplettes Neuland ist“, sagt Becke. Noch im Herbst soll zudem ein Slowbrew Tonic auf den Markt kommen, quasi der große Bruder des bisherigen Destillats – und der aktuelle Lieblingsdrink der drei Kaffeebrauer.