Hamburg. Firmen aus der Metropolregion bringen viele Innovationen in den Markt. Wir erzählen die Geschichte dahinter. Heute: Blonde Roast.
Wenn Benjamin Widegreen einen Kaffee zubereitet, dann braucht er dazu mehr als gewöhnliche Menschen: Wasser, frisch gemahlene Bohnen, einen Filter, eine Kanne – und eine Waage. Letztere dient dem Kaffeesommelier nicht nur dazu, aufs Gramm genau die richtige Menge Bohnen abzuwiegen. Die Waage steht auch unter der Kanne, um die Menge an Wasser anzuzeigen, die Widegreen in kreisenden Bewegungen in den Filter gießt. „Auf diese Weise lässt sich die Zubereitung genau steuern, und das Aroma entfaltet sich besonders gut“, sagt der 38-Jährige.
Das soll wichtig sein bei dem Kaffee, den Widegreen gerade für den Konzern Tchibo entwickelt hat. Der nennt sich Blonde Roast und ist im Gegensatz zum Klassiker Feine Milde oder anderen Produkten der Hamburger eher hell geröstet. „Bei den meisten Kaffees überwiegen die dunklen Röstaromen, sie haben beispielsweise einen nussigen oder schokoladigen Geschmack“, sagt Widegreen. „Bei der hellen Röstung kommen andere, leichtere Aromen der Kaffeebohne stärker zur Geltung, also eher süße oder fruchtige Noten.“
Neue Art der Röstung
Die neue Art der Röstung und der Zubereitung hat sich Widegreen bei den „Third Wave“-Cafés abgeschaut, die sich von Skandinavien aus immer mehr auch in deutschen Metropolen wie Berlin oder Hamburg ausbreiten. Nach dem Filterkaffee der 1950er- und 60er-Jahre und den Coffeeshops mit ihrer italienischen Espressokultur haben sich die Anhänger der „Dritten Welle“ nun der Wiederbelebung des wahren Brühkaffees verschrieben. Wochenlang tüfteln Enthusiasten wie die Chefs der Hamburger Nord Coast Roastery an den richtigen Röstmethoden, um möglichst viele Nuancen aus den Bohnen zu holen.
Nun ist es stets ein wenig problematisch, wenn große Konzerne versuchen, eine Bewegung für sich zu vereinnahmen, die sich bewusst gegen die industrielle Massenproduktion richtet. Die Produkte, die dabei herauskommen, müssen zwangsläufig weniger individuell als die Originale sein. Das ist bei Craftbier nicht anders als bei Kaffee.
Kolumbianische und ostafrikanische Sorten
Und so hat Kaffeesommelier Widegreen den Blonde Roast natürlich nicht allein entwickelt. Die entsprechende Abteilung umfasst bei Tchibo etwa zwei Dutzend Personen, die jedes Jahr ein Dutzend neue Produkte herausbringen. Vor allem sind dies Spezialitäten, die unter der Marke Privatkaffee verkauft werden. In der Einkaufsabteilung musste sichergestellt werden, dass die benötigten Bohnen – eine Mischung aus kolumbianischen und ostafrikanischen Sorten – auch in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Insgesamt verarbeitet Tchibo 180.000 Tonnen Grünkaffee pro Jahr.
Die ersten Blonde-Roast-Varianten wurden dann durch die Marktforschung geschleust. Dabei arbeitet Tchibo mit externen Dienstleistern zusammen, die untersuchen, ob die neuen Produkte auch bei der Zielgruppe ankommen. In diesem Fall sollen vor allem jüngere Kaffeetrinker angesprochen werden, die für Experimente offen sind.
Geröstet mit einer Temperatur unter 200 Grad
Hergestellt wird der neue Kaffee in der Tchibo-Rösterei in der Hamburger Süderstraße – eine von drei Produktionsstätten des Unternehmens neben Berlin und Warschau. „Für den Blonde Roast verwenden wir einen großen Trommelröster, der sonst für die Herstellung von Espresso eingesetzt wird“, sagt Widegreen. Dieser wird auf eine besonders niedrige Temperatur unter 200 Grad eingestellt, die Röstzeit liegt zwischen acht und zwölf Minuten. Genauere Angaben sind dem Kaffee-Experten nicht zu entlocken – Geschäftsgeheimnis.
Künftig soll Widegreen für Tchibo noch weitere besondere Kaffees entwickeln – wenn er nicht gerade die Schulung der Filialmitarbeiter in der hauseigenen Kaffeeakademie leitet oder als Trendscout unterwegs ist. Seine Leidenschaft für Kaffee hat der 38-Jährige schon während des Jura-Studiums in Hamburg entdeckt. Da jobbte er nebenbei als Barista und bildete sich in diversen Seminaren fort. Schließlich hängte er die Rechtswissenschaften an den Nagel und heuerte bei Tchibo an.
Mittlerweile ist Widegreen in der Lage, auch noch kleinste Nuancen aus den Kaffees herauszuschmecken. In seiner Freizeit testet er sogar den Eigengeschmack verschiedener Filterpapiere. „Ich habe aber erkennen müssen, dass das manche Leute etwas seltsam finden“, sagt er schmunzelnd.
Der Test: Fruchtnoten vergeblich gesucht
Das Produkt: Der Blonde Roast ist ein besonders sanfter, bei Temperaturen unter 200 Grad gerösteter Kaffee. Tchibo verkauft die ganzen Bohnen seit dem Frühjahr in einer wiederverschließbaren Aromapackung mit 250 Gramm. Wer möchte, kann dazu auch einen Porzellanfilter für den Handaufguss erwerben. Der Kaffee lässt sich aber auch ganz normal in der Maschine zubereiten.
Preis-Leistungs-Verhältnis: Mit umgerechnet 9,38 Euro pro Pfund bewegt sich der Blonde Roast im absoluten Premiumsegment. Tchibos Hauptmarke Feine Milde ist im Angebot schon für 4,99 Euro pro 500 Gramm zu haben.
Nährwertangaben/Inhaltsstoffe: Tchibo verwendet für den Blonde Roast ausschließlich Arabica-Bohnen aus Tansania und Kolumbien. Der Kaffee ist durch die Rainforest Alliance zertifiziert, die auf einen nachhaltigen Anbau achtet.
Einkaufsmöglichkeiten: Den Kaffee gibt es in den Tchibo-Filialen und im Onlineshop des Unternehmens.
Zubereitung: Die Zubereitung mit dem Handfilter macht Spaß, ist aber auch sehr aufwendig. Wird die verwendete Kanne nicht angewärmt, besteht die Gefahr, dass der Kaffee kalt wird, bis das Wasser durch den Filter gelaufen ist.
Geschmack: Laut Tchibo soll der Kaffee „zart-fruchtig“ schmecken und einen „Hauch von Süße“ besitzen. Leider konnte keine der Testpersonen in der Redaktion dieses fruchtige Aroma herausschmecken – weder beim Einsatz des Handfilters noch bei Zubereitung in der Filtermaschine. Einige Testpersonen nahmen einen leicht malzigen Geschmack wahr.
Fazit: Verpackung, Herkunft und Hamburger Röstung der Bohnen sind top. Der Geschmack wurde in der Redaktion aufgrund fehlender Röstnoten aber als eher durchschnittlich und wenig charakteristisch bewertet. Zusammen mit dem hohen Preis kommen wir so nur auf eine Gesamtnote von zwei Sternen.
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