Hamburg. Verbandschef Michael Westhagemann will unabhängiger agieren und verlangt: „Präses muss Wahlversprechen einlösen“.
Bereits Mitte Februar – kurz nach dem Erdrutschsieg der sogenannten Rebellen bei der Wahl zum Plenum der Handelskammer – hatte der Chef des Industrieverbands Hamburg (IVH), Michael Westhagemann, sich selbstbewusst gegeben. „Die Industrie sind wir“, sagte er damals. Und Westhagemann stellte zugleich klar, dass er das Ergebnis der Plenumswahl äußerst kritisch sieht: „Die mittleren und großen Unternehmen haben gar keine Stimme mehr. Das ist nicht gut.“
Wie der Nachfolger von Schmidt-Trenz gesucht wird
Kein einziger Industriebetrieb aus der Stadt ist heute noch im Plenum der Kammer vertreten. Da stellt sich zwangsläufig die Frage, wie wird der IVH als Interessenvertretung von mächtigen Firmen wie Airbus, Aurubis oder dem Stahlwerk sowie mehr als 250 weiteren Industriefirmen auf diese Entwicklung reagieren. Die Antwort liefert Westhagemann jetzt im Abendblatt.
„Wir werden die für uns wichtigen Themen nun selbst setzen und nicht die Entwicklung in der Handelskammer abwarten“, so der IVH-Chef. Dabei schaut er nicht nur auf Hamburg und den Norden, sondern zunehmend auch Richtung Berlin. Denn er weiß, dass an der Spree Gesetze gemacht werden, die die Arbeit der Hamburger Industrie massiv beeinflussen. Deshalb wird der IVH noch in diesem Jahr ein eigenes Büro in der Hauptstadt beziehen – und zwar im Gebäude des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).
Vereinfachte Zollverfahren
Hamburg bleibe zwar die Keimzelle der künftigen Arbeit, aber auch in Berlin müsse man stärker mitmischen, so Westhagemann. Die wichtigsten überregionalen Themenfelder hat der IVH-Chef bereits identifiziert. So will sein Verband sich unter anderem für vereinfachte Zollverfahren und gegen eine Verschärfung der Gesetze zur Luftreinhaltung einsetzen.
Um die Mitgliederbetreuung zu verbessern, wird der IVH zudem das Serviceteam in Hamburg von zwei auf drei Personen aufstocken. Denn gerade im Zuge der Handelskammerwahlen hat das Interesse der Wirtschaft am Industrieverband deutlich zugenommen. „Wir können mit 260 die höchste Mitgliederzahl in der Geschichte unseres Verbands vermelden“, sagt Westhagemann nicht ohne Stolz. Allein in den vergangenen zwei Jahren seien mehr als ein Dutzend neuer Betriebe in den IVH eingetreten.
Nicht wenige hätten darauf verwiesen, dass sie mit der Kammerarbeit unzufrieden seien. In Zeiten, in denen die meisten Verbände über rückläufige Mitgliederzahlen klagen, kann der IVH diesen Zuwachs durchaus als Erfolg werten. Der große Zuspruch sei Ansporn und Verpflichtung zugleich, so Westhagemann. Sein Verband werde nun offensiver und mit lauter Stimme die Interessen der Industrie in die Öffentlichkeit tragen.
Von der neuen Führung der Handelskammer verlangt Westhagemann zugleich, dass sie ihr zentrales Wahlversprechen – die Abschaffung der Zwangsbeiträge – zügig umsetzt. „Das Wahlbündnis verfügt im Plenum über eine komfortable Mehrheit, um Regelwerke der Kammer zu ändern – und zwar jetzt, nicht erst in drei Jahren. Die Amtsperiode des Plenums und Präsidiums endet nämlich im Februar 2020.“ Zudem erinnert Westhagemann den neuen Kammerpräses Tobias Bergmann und dessen Mitstreiter daran, dass sie die Ausbildung in den Betrieben stärken wollten.
Kämpferische Aussagen
Dass dieses Versprechen tatsächlich eingelöst wird, daran hat der IVH-Chef offensichtlich massive Zweifel: „Für uns als Industrie stellt sich die Frage, durch wen dieses Ziel verfolgt werden soll, wenn im Plenum auf der Bank der stärksten Ausbildungsbranche, nämlich der produzierenden Betriebe, heute Unternehmer sitzen, die nicht einen einzigen Auszubildenden bei der Kammer eingetragen haben – die Ausbildungsquote also bei null liegt.“
Mit den kritischen und durchaus kämpferischen Aussagen zur neuen Handelskammerführung steht der IVH nicht alleine da. Erst vor wenigen Tagen haben mehrere Handelsverbände, darunter der mächtige AGA Unternehmensverband, eine neue Dachorganisation gegründet und dies vor allem mit der Unzufriedenheit über die Arbeit der Kammer begründet. Auch sie fühlen sich durch die neue Zusammenstellung des Plenums – 55 von 58 Sitzen werden von den sogenannten Rebellen besetzt – nicht länger repräsentiert.
Machtachsen verschieben sich
„Damit die Interessen unserer wichtigen Branchen weiter Gehör finden und wir an vernünftigen Lösungen mitarbeiten können, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, unsere Zusammenarbeit zu intensivieren“, sagte AGA-Präsident Hans Fabian Kruse bei der Gründung des Dachverbands Nordhandel. Denn man müsse davon ausgehen, dass die politische Interessenvertretung, die bislang fast ausschließlich über die Kammer abgewickelt worden sei, so künftig nicht mehr funktionieren werde.
Nun hat sich neben dem Handel auch die Industrie gegen die Handelskammer positioniert und von ihr emanzipiert. Bleibt abzuwarten, ob weitere Interessenvertretungen dem Beispiel der beiden folgen werden. Fest steht: Die Machtachsen in Hamburgs Wirtschaft verschieben sich.