Hamburg. Wichtige Verbände im Norden bündeln ihre Kräfte. Der Vorwurf lautet: Sie fühlen sich nicht mehr gut vertreten.

Seit der Übernahme der Hamburger Handelskammer durch die Wahlgruppe „Die Kammer sind Wir“ sind die Wirtschaftsverbände in der Stadt beunruhigt. Ein Problem: Sie sehen ihre Unternehmen durch das neue Plenum der Kammer nicht mehr repräsentiert. Denn bei den Wahlen im Fe­bruar waren 55 der 58 Sitze an die sogenannten Rebellen gefallen. Namhafte Hamburger Unternehmen sind dort kaum noch vertreten. Um ihrer Stimme wieder mehr Gehör zu verschaffen, wollen die Verbände nun selbst die Funktion eines Sprachrohrs ihrer Mitgliedsunternehmen übernehmen.

Den Anfang machen die Händler. Sie weihten dafür eine eigene Zentrale ein. In den Kurzen Mühren nahe dem Hauptbahnhof wurde gestern das „Haus des Handels“ eingeweiht. Nicht nur Hamburgs Händler sollen hier einen Anlaufpunkt finden, sondern die gesamte Branche aus allen fünf norddeutschen Küstenländern. Deshalb haben sie den Dachverband Nordhandel gegründet. Ziel sei es, „dem Handel in all seinen Facetten eine kraftvolle Stimme zu geben“, wie die Mitglieder am Donnerstag verkündeten.

Kommentar: Kammer nicht mehr Sprachrohr

Zu Nordhandel zählen der AGA Unternehmensverband für Groß- und Außenhandel, der CDH im Norden – Wirtschaftsverband für Handelsvermittlung und Vertrieb sowie der Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels Nord (VMG). Ihren Angaben zufolge repräsentieren die Verbände zusammen 5500 Mitgliedsfirmen mit rund 250.000 Beschäftigten in den fünf norddeutschen Küstenländern. „Mehr Norden geht nicht“, sagte AGA-Präsident Hans Fabian Kruse.

Nordhandel sei keine direkte Reaktion auf die Veränderungen in der Handelskammer, betonte er. Immerhin gebe es den Plan zur Gründung dieses Dachverbands seit zehn Jahren. Den zusätzlichen Impuls, diesen Plan jetzt in die Tat umzusetzen, hätten aber vor allem die Entwicklungen in der Kammer gegeben so Kruse. „Wir müssen davon ausgehen, dass die politische Interessenvertretung, die bislang fast ausschließlich über die Kammer abgewickelt wurde, so künftig nicht mehr funktionieren wird“, sagte der AGA-Präsident.

„Damit die Interessen unserer wichtigen Branchen weiter Gehör finden und wir an vernünftigen Lösungen mitarbeiten können, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, unsere Zusammenarbeit zu intensivieren.“ Bei der Plenarwahl der Handelskammer hätten sich nur Vertreter von kleinen und kleinsten Einzelhandelsbetrieben durchgesetzt, ergänzte der Hauptgeschäftsführer des Verbands Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels, Heinrich Grüter. „Diese sind aber nicht repräsentativ für die Breite und Vielfalt des Einzelhandels in Hamburg.“

Grüter erwartet, dass sich die Kammer teilweise aus Politikfeldern zurückziehen wird. „Das hat sie ja auch selber angekündigt – etwa aus der Stadtentwicklung.“ Dabei sei gerade die Stadtentwicklung existenziell wichtig für die Branche. „Der Onlinehandel wird beispielsweise für die Innenstädte gewaltige Veränderungen mit sich bringen. Da müssen wir dringend Antworten haben“, sagte Grüter.

Erheblicher Diskussionsbedarf

Die Unternehmen würden ja nicht der Kammer den Rücken kehren, meinte Volker Tschirch, Geschäftsführender Vorstand des Norddeutschen Bildungswerks der Verbände INW. Im Handelsausschuss der Kammer gehe die fachliche Arbeit weiter. „Interessant wird nur, wie unsere Vorschläge dann im Plenum der Kammer bewertet werden. Da sieht es allerdings so aus, dass es erheblichen Diskussionsbedarf geben wird – und zwar schon über Grundsatzfragen“, so Tschirch.

Angesichts des von Kammer-Präses Tobias Bergmann angekündigten Stellenabbaus warnte AGA-Präsident Kruse davor, den Fachbereich für den Außenhandel anzugreifen. Dieser leiste für die Unternehmen im Norden sehr gute Arbeit. „Der Fachbereich International der Handelskammer darf nicht geschwächt werden.“

Industrieverband freut sich über Zulauf

Auch die Verbände anderer Branchen sehen sich seit dem Machtwechsel in der Handelskammer im Aufwind. „Wir sind in ständigen Gesprächen mit dem UV Nord, also der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein, damit indus­triepolitische Themen auch künftig an den Senat adressiert werden“, sagte der Sprecher von Nordmetall, Alexander Luckow. Der UV Nord sei hier nach den Kammerwahlen stark gefordert.

Der Industrieverband Hamburg (IVH) gewinnt sogar neue Mitglieder. „Wir stellen ein vermehrtes Interesse von produzierenden Betrieben fest, die sich bei uns engagieren wollen“, sagte IVH-Sprecher Mario Spitzmüller. Seit 2015 sei die Zahl der Mitglieder von 244 auf 260 gestiegen. Einige hätten als Beitrittsgrund die Entwicklung in der Kammer genannt. Im „Haus des Handels“ wurde am Donnerstag zunächst einmal gefeiert. Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) lobte den neuen Dachverband – übrigens war er einst Präses der Handelskammer.