Hamburg. Firmen aus der Metropolregion bringen viele Innovationen in den Markt. Wir erzählen die Geschichte dahinter. Heute: Das Mellow Board.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen? Wann ist es „time to market“, wie es im Marketing-Sprech heißt? Sollte man zu den Ersten gehören, die mit einem innovativen Konzept in den Handel gehen, obwohl das Produkt womöglich noch nicht den eigenen allerhöchsten technischen Ansprüchen genügt? Oder überlässt man das Geschäft erst einmal anderen Anbietern und kommt zwar später, aber dafür mit einem voll ausgereiften Produkt auf den Markt, das neue technische Maßstäbe setzt?

Johannes Schewe (33) und Kilian Green (34) haben sich für den zweiten Weg entschieden. Ursprünglich wollten der Hamburger und der Münchner ihr Mellow Board, ein Skateboard mit Elektroantrieb, im Mai 2016 auf den Markt bringen. Bei einer Crowdfunding-Kampagne auf der Plattform Kickstarter im Herbst 2015 sammelten sie mehr als 300.000 Euro und mehrere Hundert Vorbestellungen für das erste in Deutschland entwickelte und produzierte E-Board ein. Die Prototypen waren da längst fertigt, die Macher wollten aber noch an technischen Details feilen.

Zertifizierung dauerter länger als kalkuliert

Unter anderem weil die Zertifizierung länger dauerte als kalkuliert, wurde die Auslieferung erst auf den September 2016 verschoben, dann auf den März dieses Jahres. „Derzeit läuft der Versand an unsere Kickstarter-Unterstützer“, sagt Schewe. Zuletzt wurde noch mal nachgebessert, weil der unter dem Deck des Skateboards angebrachte Akku auf unebener Fahrbahn etwas klapperte.

Johannes Schewe auf
dem Mellow Board in
Planten un Blomen.
Selbst erfahrene Skater
sollten auf dem Brett
unbedingt Helm tragen
Johannes Schewe auf dem Mellow Board in Planten un Blomen. Selbst erfahrene Skater sollten auf dem Brett unbedingt Helm tragen © HA | Mark Sandten

So etwas widerspricht dem Streben nach Perfektion der Mellow-Board-Macher. „Die Kunden sollen keine Versuchskaninchen sein“, sagt Co-Gründer Schewe, der die Geschäfte von Hamburg aus führt. Wer derzeit auf der Internetseite des Unternehmens (www.mellowboards.com) bestellt, erfährt dort, dass er im Juli beliefert wird. Und bei Skateboard-Fachhändlern wie Mantis an der Großen Theaterstraße in der Hamburger City soll das Elektroboard ebenfalls vom nächsten Monat an im Laden sein. „Wir nähern uns der Zahl von 1000 verkauften Stück“, sagt Schewe. Konkreter will er zum bisherigen Absatz nicht werden.

Preise ab 1700 Euro

Verkauft wird das Mellow Board zu Preisen ab 1700 Euro ganz überwiegend als Bausatz zur Umrüstung eines vorhandenen Longboards, nur etwa 30 Prozent der Kunden bestellen inklusive des Decks, auf dem der Fahrer steht. Bis zu 15 Kilometer Reichweite mit einer Batterieladung versprechen die Macher und bis zu Tempo 40. Und das ist nicht zu viel versprochen, zeigt das vierminütige Video zum Test auf abendblatt.de (www.abendblatt.de/mellow)

Beschleunigt und gebremst wird mit einer Hand-Fernbedienung. An ihr lassen sich verschiedene Fahrmodi einstellen. Eine Beschleunigung auf Höchsttempo erlaubt sie erst, wenn der Fahrer bereits mehrere Dutzend Kilometer Erfahrung mit dem Antrieb gesammelt hat. Und Schewe empfiehlt ausdrücklich, sich nur mit Schutzkleidung auf das Elektroboard zu stellen.

Mellow: Das Elektro-Skateboard im Test

Anfänger auf dem Rollbrett mit vier Rädern gehören denn auch nicht zur Zielgruppe. Schewe beschreibt die potenziellen Mellow-Board-Käufer so: „Young Professionals im Alter von 25 bis 45, die früher ein bisschen wild waren und heute High-End-Qualität und das beste Material auf dem Markt wollen, die was Sportliches anstellen und vielleicht auch mal statt mit dem Porsche auf dem Mellow Board ins Büro fahren wollen.“

Eine gewisse Bereitschaft zur Grenzüberschreitung muss dafür allerdings gegeben sein. Denn: Elektro-Skateboards sind auf öffentlichen Straßen und Wegen in Deutschland und den meisten anderen europäischen Staaten derzeit schlicht nicht zugelassen. Wie die Hersteller von Elektro-Scootern (Tretroller mit E-Motor) muss die E-Board-Szene darauf hoffen, dass die rechtlichen Voraussetzungen dafür schnell geschaffen werden. Erst danach dürften auch Versicherungen bereit sein, Schutzpakete anzubieten.

Entwicklung kostete mehr als 1,5 Millionen Euro

Trotz dieser ungeklärten Fragen seien in die Entwicklung des Mellow Boards bislang „deutlich mehr als 1,5 Millionen Euro“ geflossen, sagt Schewe. Für die beiden Gründer war das auch mit den Einnahmen aus der Crowdfunding-Kampagne nicht zu finanzieren. Sie haben mit dem Elektronik-Mittelständler TQ Systems aus dem bayerischen Seefeld einen strategischen Partner ins Unternehmen geholt. Dort wird der Antrieb auch gefertigt. Der Preis ist Premium, die Technik sei es auch, sagt Schewe.

Er ist überzeugt, dass „made in Germany“ weltweit ein sehr gutes Verkaufsargument ist. Die Reaktion der ersten Kunden auf die Verzögerungen bei der Auslieferung scheint ihm recht zu geben. „Nur einige wenige“ derjenigen, die schon im Herbst 2015 bestellt hatten, sagt Schewe, seien abgesprungen.

Mellow Board im Test:

Das Produkt: Skateboards mit E-Motor sind seit einigen Jahren auf dem Markt, sie kommen ganz überwiegend aus China. Das Mellow Board unterscheidet sich von ihnen unter anderem dadurch, dass die Motoren in den Antriebsrädern sitzen, die Kraft also nicht per Getriebe übertragen wird. Beschleunigt und gebremst wird per Handfernsteuerung. Eine Smartphone-App, die es für alle gängigen Betriebssysteme geben soll, zeigt Standort, Reichweite, Ladestand und erfasst die wesentlichen Fahrdaten.

Der Preis: Ist ebenfalls Premium und deutlich höher als der von einfacheren Konkurrenzmodellen. Der Bausatz zur Umrüstung eines Longboards kostet in klusive Akku, Fernbedienung und Batterieschnelllader 1699 Euro, ein Zweitakku 249 Euro. Komplette Boards mit zwei Antriebsrädern kosten 1999 Euro, mit vier Antriebsrädern und zwei Akkus für stärkere Beschleunigung 3499 Euro.

Die Fahreigenschaften: Beschleunigen und bremsen funktioniert sensationell. Eine Testfahrt auf der Mönckebergstraße wurde trotz plötzlich auftauchender Hindernisse bewältigt, ohne vom Brett abzusteigen. Eine Akkuladung reichte im Test elf Kilometer weit, die Schnellladung des Akkus dauerte 45 Minuten. Fahrtricks dürften schwerfallen, der Antrieb erhöht das Gewicht des Bretts um 3,5 Kilo. Das merkt man schnell, wenn man es unter den Arm klemmt.

Die Rechtslage: Ein ganz schwieriges Thema. E-Boards dürfen derzeit nur auf Privatgelände gefahren werden, Haftpflichtversicherungen gibt es nicht. Das wird hier aber nicht bewertet.

Das Fazit: Viel Fahrspaß für viel Geld, der einzige Nachteil ist das Gewicht. Daher: 4,5 Sterne für das Mellow Board.

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