Hamburg. Das Abendblatt fragt immer freitags die Menschen, worüber sie sich ärgern oder freuen. Heute Teil 11: Anne Wallauer, Betriebswirtin.

1998 kam sie als Studentin aus Estland nach Hamburg – und ist geblieben, mittlerweile die Hälfte ihres Lebens. Längst fühlt sich Anne Wallauer in der Hansestadt zu Hause. Dazu tragen Ehemann Heiko und ein gepflegter Freundeskreis bei.

Trotz großer Sympathie betrachtet die Betriebswirtin mit Magisterabschluss Hamburg keinesfalls kritiklos. Viele, die meckern, gäben selbst kein gutes Beispiel für die gestellten Ansprüche. Auch ein wachsendes Misstrauen Ausländern gegenüber geben der jungen Frau aus dem Baltikum mit Wohnsitz in Winterhude zu denken.

So kann jeder helfen

Anne Wallauer arbeitet in einer amerikanischen Beratungs- und IT-Firma in der Innenstadt. Nebenbei betätigt sie sich als Sprachtrainerin und Dolmetscherin. Neben Deutsch und Estnisch spricht sie Englisch, Russisch und Finnisch. Hobbys sind Tanzen und Laufen, zum Beispiel auf Rollskiern durch den Stadtpark. „In Estland liegt mehr Schnee“, weiß sie, „aber es geht auch ohne.“ Einmal gewann sie den „Helden-Marathon“ in Blankenese.

Frau Wallauer, was bewegt Sie gerade?

Anne Wallauer: Ich bin heute wieder mit dem Fahrrad aus Winterhude in die City geradelt – an der Außenalster entlang. Einmal mehr fiel mir auf, in welcher schönen, wunderbar grünen Stadt ich lebe. Man hat gar nicht das Gefühl, in einer Millionenmetropole zu sein. In anderen Großstädten spürt man sonst eine enorme Enge. Hier ist alles großzügig und verhältnismäßig ruhig.

Sie sind viel durch die Welt gereist. Wie betrachtet man unsere Stadt dort?

Wallauer: Meiner Erfahrung nach sehen im Ausland viele Menschen Hamburg überwiegend als durchschnittliche Stadt, die man nicht unbedingt besuchen muss. Im Gegensatz zu Berlin oder München. In Deutschland und Hamburg gehe alles betulich und langsam zu, meint mancher. In der Tat sind andere Städte beispielsweise auf dem Gebiet Internet und WLAN viel fortschrittlicher.

Warum sind Sie in Hamburg an Land gegangen?

Wallauer: Ursprünglich war das gar nicht geplant. Ich wollte in den Süden Deutschlands, nicht nur wegen des Wetters. Durch das Studium kam es anders. Erst als ich hier war, habe ich den Charme und die Schönheit erlebt. Wer Hamburg persönlich kennenlernt, begreift den Reiz. Ich halte Hamburg für eine versteckte Perle, für ungemein lebenswert, für eine der angenehmsten Großstädte der Welt. Dennoch verwundert mich so einiges.

Wir sind gespannt­ ...

Wallauer: Oft sind es Kleinigkeiten. Immer wieder erlebe ich, dass Leute über angeblichen Dreck in der Stadt schimpfen, dann aber selbst Unrat hinterlassen. Dabei ist Hamburg insgesamt sehr sauber. Oder dass sie über rücksichtslose Falschparker meckern und ihr Auto dann auf dem Gehweg abstellen. Wer sich beklagt, sollte sich selbst an Regeln halten. Auch kann ich Pläne nicht nachvollziehen, zusätzliche verkaufsoffene Sonntage einzuführen.

Was spricht dagegen?

Wallauer: In meinem Heimatland gibt es diese Einkaufssonntage seit Jahrzehnten. Jetzt ist man dabei, die Zahl zu verringern. An sieben Tagen in der Woche geöffnet zu haben halte ich für nicht notwendig. Sechs Tage in der Woche reichen aus, alle Besorgungen einzuplanen. Das ist gleichzeitig ein guter Kompromiss zwischen dem Umsatzstreben der Wirtschaft und dem Wohlergehen der Mitarbeiter. Wer will, kann sonntags 24 Stunden online shoppen.

Unternimmt Hamburg ausreichend für Gäste aus dem Ausland oder Flüchtlinge?

Wallauer: Grundsätzlich ja. Ich fühlte mich von Anfang an gut und vor allem herzlich aufgenommen. Allerdings ist in den letzten Jahren eine Änderung zu bemerken: Meines Erachtens haben Skepsis und Angst Fremden gegenüber zugenommen. Dabei ist Hamburg doch eine so weltoffene Stadt. Das passt nicht zusammen.

Haben Sie eine Idee, wie sich das ändern könnte?

Wallauer: Großes beginnt im Kleinen. Wer eine Menge in der Welt herumkommt, ist in der Regel aufgeschlossener. Meine Firma organisiert jedes Jahr einen sozialen Tag. Wir gehen mit der gesamten Belegschaft einen regulären Arbeitstag lang in ein Hilfsprojekt und packen an. 2016 besuchten wir ein Altenheim, diesmal das Rauhe Haus. Motto dort: mehr Leben mit weniger Barrieren.

Was haben Sie konkret gemacht?

Wallauer: Weltweit waren 6000 Mitarbeiter unserer Firma in verschiedensten Projekten dabei; in Hamburg haben wir ein neues Dach gebaut, damit vor Ort künftig Energie gespart werden kann, und im Garten gearbeitet. Erstaunlich, was man gemeinsam an einem Tag bewirken kann. Das hat mich wirklich bewegt. Anschließend war ich noch einmal da und werde wiederkommen, um zu helfen. Es gibt viel zu tun. Hoffentlich macht dieses kleine Beispiel Schule. Jede Person kann aktiv werden und ein bisschen bewegen.

Schlussfrage: In drei Wochen steht in Hamburg der G20-Gipfel auf dem Programm. Wie sehen Sie dieses Treffen?

Wallauer: Mit gemischten Gefühlen. Im Prinzip halte ich für sinnvoll, dass die internationale Zusammenarbeit vorangetrieben wird. Die Themen sind aktuell und wichtig. Auf jeden Fall ist es eine gute Werbung für die Stadt. Fraglich jedoch ist, ob unter dem Strich gute Lösungen herauskommen? Angst vor Ausschreitungen habe ich nicht. Ich fühle mich sicher in Hamburg und gehe davon aus, dass die richtigen Vorkehrungen gegen Gewalttäter getroffen werden.