Hamburg. Was treibt die Menschen in dieser Stadt um? Anke Sieg, alleinerziehende Mutter, über die Kunst, einen Kitaplatz zu ergattern.

Der Müll auf den Bürgersteigen und auf Spielplätzen, die Ignoranz der Menschen, hohe Mieten und die schwierige Suche nach einem Kitaplatz für ihren Sohn Morten (1) sind Themen, die Anke Sieg aus Winterhude zurzeit bewegen. Menschen wie Anke Sieg kommen in der neuen Abendblatt-Reihe „Was Hamburger bewegt“ zu Wort. Es sind Menschen, die kein politisches Amt bekleiden, keine Interessen von Vereinen, Verbänden oder Berufsständen vertreten, sondern es kommen normale Hamburger mit ihrem Blick auf das Leben in unserer Stadt zu Wort.

Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz

Anke Sieg (40) ist alleinerziehend und lebt mit Morten und Hund Pluto (4) zur Miete in einer 112 Quadratmeter großen Neubauwohnung. Sie ist selbstständig und arbeitet in der Hotellerie. Aufgewachsen ist sie in Aumühle, seit 15 Jahren ist sie in Winterhude zu Hause.

Frau Sieg, was bewegt Sie gerade?

Anke Sieg: Die Optik von Hamburg regt mich auf. Ich bin erschüttert darüber, wie unsere Stadt aussieht und wie achtlos die Bürger mit ihrem Müll umgehen. In Winterhude fiel man noch lange nach Silvester alle 200 Meter über eine zerbrochene Weinflasche. Am Kellinghusen-Bahnhof ging ich durch eine Müllhalde am Straßenrand. Dort wurde wochenlang der Müll nicht aus den Gebüschen entfernt.

Ist es auch auf Spielplätzen, auf die Sie mit Morten gehen, so schmutzig?

Sieg: Ja, ganz schlimm sah es wochenlang am Goldbekspielplatz aus, zwischen den zwei Spielplätzen stehen Glascontainer, und rundherum war ein Scherbenmeer.

Hat sich ihr Hund Pluto schon einmal an einer Scherbe verletzt?

Sieg: Ja, er ist an drei verschiedenen Tagen auf meiner Runde Semperstraße, an der Alster, Mühlenkamp und Richtung Kamp­nagel in Scherben getreten und hatte Splitter in zwei Pfoten. Die Arztrechnungen belaufen sich auf über 500 Euro. Das hatte sich ordentlich entzündet. Ich war jeden Tag beim Tierarzt zum Verbandwechsel. Am fünften Tag kam erst die Scherbe raus. Seitdem achte ich besonders darauf, was auf dem Boden liegt.

Sind Sie jemand, der dann auch handelt und sich beschwert?

Sieg: Nachdem ich die Stadtreinigung angerufen habe, kam einen Tag später ein Trupp, der die Scherben oberflächlich auf dem Gehweg beseitigt hat. Auf den Grünstreifen und vor dem Goldbekhaus lagen immer noch die Scherben. Die Stadtreinigung wird dem Problem auch nicht Herr. Beim Leeren der Altglas- und Papiercontainer fällt ja auch immer etwas wieder heraus und bliebt liegen. Es reicht nicht aus, kleine Trupps der Stadtreinigung in die Straßen zu schicken. Unsere Stadt benötigt in allen Straßenzügen eine Grundreinigung.

Es sind natürlich die Mitmenschen, die ihren Müll liegen lassen. Sind die nicht dafür verantwortlich und nicht die Stadtreinigung?

Sieg: Klar, überwiegend die Leute. Was ist mit den Mitbürgern bloß los, dass sie derartig gleichgültig, gedanken- und rücksichtslos mit ihrem Müll und unserer Umwelt umgehen? Ich spreche die auch an. Neujahr hatte ich einen Gastronomen mit seinem zwei Jahre alten Sohn auf dem Mühlenkamp angesprochen, der Tags zuvor wohl eine Silvesterparty veranstaltet hatte. Er fegte seinen Knallermüll inklusive zehn Weinflaschen von seiner Terrasse und vom Gehweg direkt auf die Straße, wo das nächste Auto darüber fahren konnte.

Und hat er sein Fehlverhalten eingesehen?

Sieg: Ich stieß auf absolute Gleichgültigkeit. Er fragte mich, was mich das angehe. Die Flaschen blieben auf der Straße liegen. Auf dem Rückweg meines Spaziergangs sammelte ich die Flaschen von der Straße und stellte sie ihm auf den Tisch und bat ihn erneut, die Flaschen zu entsorgen.

Erleben Sie eine solche Gleichgültigkeit der Menschen häufiger?

Sieg: Leider ja. Obwohl man annehmen müsste, die Menschen in diesem Viertel hätten eine gute Kinderstube genossen. Auf dem Spielplatz Schinkelstraße war eine Mutter, der eine Tüte Flips runtergefallen war. Als ich nach 20 Minuten gehen wollte und der Müll noch immer in dem abgelassenen Schwimmbecken lag, sprach ich die Familie an und bat sie, ihren Müll noch aufzusammeln. Die Mutter guckte mich an und fragte, wieso ich denn?

Sie sind viel mit Ihrem Hund und dem Kinderwagen unterwegs. Was fällt Ihnen beim Spaziergang noch auf?

Sieg: An der Alster, ich glaube Fährhausstraße, stehen zwei wunderschöne alte Stadtvillen seit mindestens vier Jahren leer. Der Besitzer wollte die Villen fertig machen lassen. Es ist aber nichts passiert. Der spekuliert auf irgendwas, reißt das Ding ab und stellt Neubauten hin. Oder an der Bellevue. Dort stand ein wunderschönes Gebäude, das wurde durch einen hässlichen Neubau ersetzt.

Gefällt Ihnen das architektonische Gesicht der Stadt?

Sieg: Das Gesicht der Stadt ändert sich und nicht zum Positiven. Klar, es gibt auch schöne Neubauten. Aber häufig steckt ein riesiger Bauträger dahinter. Die Individualität fehlt. Mittelständler oder Menschen, die auch gern mitentwickeln würden, kommen gar nicht zum Zuge. Man könnte die Grundstücke doch auch in kleinere Parzellen teilen. Und was mich noch bewegt, sind die hohen Mieten von Neubauten. Die Mietpreisbremse ist doch ein Witz. Die Mieten sind unbezahlbar. Ich kann mir diese Wohnung nur leisten, weil ich hier meine Firma habe und sie steuerlich absetzen kann. Seitdem ich meinen Zwerg habe, kann ich nicht in den Urlaub fahren. Das ist finanziell nicht drin.

Sie sind alleinerziehend, ist das schwierig in Hamburg?

Sieg: Was schwierig ist, ist das Elterngeld als Selbstständige. Mir steht das Elterngeld nur zu, wenn ich keinen Gewinn mache. Angenommen, 70.000 Euro wären durchschnittlich mein Jahresgewinn der Vorjahre. Würde die Höhe des Elterngeldes von den 70.000 Euro berechnet werden, dann würde ich den Höchstsatz bekommen. Zugrunde gelegt wird aber das Jahr vor der Geburt, in dem ich schwanger war. Durch die Schwangerschaft war ich aber in dem Jahr nicht mehr so arbeitsfähig, mein Gewinn war vielleicht gerade mal 30.000 Euro.

Dann würde ich rund 300 Euro weniger bekommen, etwa 18.000 Euro im Jahr. Damit das Vorjahr der Schwangerschaft hätte zugrunde gelegt werden können, hätte ich meine Arbeitsunfähigkeit vom Arzt dokumentieren lassen müssen. Das habe ich natürlich nicht gemacht, weil ich als Einzelunternehmer normalerweise keine Lohnfortzahlung erhalte. Momentan brauche ich meine finanziellen Reserven auf und kann nicht weiter investieren.

Ich weiß manchmal gar nicht, wo mir der Kopf steht. Ich möchte das Kind aufwachsen sehen und wollte es nicht mit zehn Wochen in die Kita geben. Das habe ich ja auch nicht gemacht. Trotzdem war die erste Zeit allein nach der Geburt anstrengend. Als Selbstständige kann ich mich nicht komplett aus dem Job herausziehen. Ich habe 30 Stunden im Monat während der Elternzeit gearbeitet.

Haben Sie einen Kitaplatz für Morten, um wieder arbeiten zu können? Das ist doch mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz leichter geworden oder?

Sieg: (lacht) Hier sind viele neue Wohnungen entstanden mit viel zu wenig Kitaplätzen. Alle Kitas rundherum sind voll. Ich habe jetzt ganz kurzfristig einen Platz bekommen, aber auch nur, weil ich einen Zehn-Stunden-Gutschein bekomme. Dieser rentiert sich für die Kitas finanziell. Meine Freundin mit Fünf-Stunden-Gutschein hat keinen Kitaplatz bekommen.

Hatte die Stadt Ihnen einen Platz angeboten?

Sieg: Ja, mit 15 Minuten Anfahrt mit dem Auto. Das macht doch gar keinen Sinn. Viele haben ja auch gar kein Auto. Ohne Auto wäre ich eine Dreiviertelstunde unterwegs für einen Fünf-Stunden-Gutschein. Ich hatte mich gleich nach Mortens Geburt um einen Kitaplatz gekümmert.

Was muss die Stadt tun, um das zu ändern?

Sieg: Die müssen Plätze nach Bedarf schaffen. Die haben doch ihre Statistiken und sehen, dass immer mehr Familien mit Kindern in ein Viertel ziehen. Die Behörden müssen vorausschauender planen.

Gibt es auch eine Sache, über die Sie sich gerade freuen?

Sieg: Es ist natürlich toll, dass wir diesen Fünf-Stunden-Kitagutschein haben, für den wir nichts zahlen müssen. Da können sich die anderen Bundesländer noch etwas abgucken. Es ist Meckern auf hohem Niveau. Was mich freut: Seitdem ich meinen Zwerg habe, habe ich durch ihn mehr Kontakt mit den Menschen im Viertel. Es ist eine tolle Stadt, ein tolles Land, in dem wir leben. Trotz der Schwierigkeiten sind es die beiden besten Entscheidungen meines Lebens gewesen, ein Kind zu bekommen und mich selbstständig zu machen. Das Schönste an jedem Abend ist es, wenn mein Sohn mit dem Kopf auf meiner Schulter einschläft.