Hamburg . Das Abendblatt fragt freitags die Menschen, worüber sie sich ärgern oder freuen. Heute Teil 9: Pastor Martin Hofmann.

Zurück vom Kirchentag am vergangenen Wochenende in Berlin kümmerte sich Pastor Martin Hofmann daheim in Othmarschen wieder um seine Gemeinde. Die evangelische Christuskirche am Roosensweg betreut 160 Konfirmanden, fast 100 behinderte Menschen und viele Senioren, organisiert Bibelkreise, sogar abends Andachten sowie ein umfangreiches Kulturangebot. Es gibt reichlich zu tun, auch für die mehr als 200 Flüchtlinge in der Nachbarschaft. An diesem Sonntag predigt der gebürtige Wandsbeker beim Pfingstgottesdienst.

Der 49-Jährige mit dem positiven, anpackenden Naturell wirkt seit zehn Jahren in Othmarschen. Zuvor arbeitete er für ein Berufsbildungswerk für behinderte Jugendliche in Husum, für das Langzeitarbeitslosenprojekt „Rathauspassage“ sowie in der Lutherkirche in Bahrenfeld. 2015 gewann der Protestant den Deutschen Predigtpreis.

Gemeinsam mit Ehefrau Alexandra, ebenfalls Theologin, hat Martin Hofmann vier Kinder zwischen zehn und 18 Jahren. Für zusätzliche Belebung im Haushalt sorgen ein Irischer Wolfshund und ein Labrador Retriever. Der Pastor mit den Hobbys Kochen und Lesen besitzt kein Auto. Er ist zu Fuß oder mit dem Bus in seiner Gemeinde unterwegs. Das schafft Bodenhaftung. Martin Hofmann kennt die Facetten des Lebens, gute wie schlechte.

Es sind Menschen wie er, die kein politisches Amt innehaben oder die Interessen eines Verbandes vertreten, die in dieser Gesprächsreihe erzählen, was ihnen unter den Nägeln brennt, was sie wurmt oder beglückt.

Herr Pastor Hofmann, was bewegt Sie gerade?

Martin Hofmann: Ich habe immer noch runde Füße vom Kirchentag. Es waren lehrreiche Tage an der Seite meines 18-jährigen Sohnes. Die Gemeindearbeit ist wichtiger denn je und weit besser als ihr Ruf. Leider war der öffentliche Widerhall geringer als in den Jahren zuvor. Man macht sich so seine Gedanken.

Zum Beispiel?

Mein Sohn überlegt, ab Herbst ebenfalls Theologie zu studieren. Gemeinsam überlegen wir uns: Wie sieht die Kirche in 40 oder 50 Jahren aus?

Was meinen Sie?

Die evangelische Kirche hat erhebliche Nachwuchsprobleme. Langfristig wird es keine volkskirchlichen Strukturen mit regelmäßigen Gottesdiensten in jeder Gemeinde mehr geben. Die Fusionitis mit zusammengelegten Kirchen wird auch in Hamburg weiter fortschreiten. Damit geht Identifikation verloren. In Zukunft entscheidet jeder viel bewusster, ob und wo er in einer Kirche sein will.

Mit der Folge verminderter Kirchensteuern?

Korrekt. Diese Steuer ist eine Solidaritätsleistung und kein Vereinsbeitrag, für den man Dienstleistungen an Anspruch nehmen kann. Alle Gemeinden haben Geldsorgen, auch wir. Wer denkt, in Othmarschen hat man’s ja, irrt. Auch dieses Thema bewegt mich aktuell.

Spüren Sie verstärkten finanziellen Druck?

Und wie. Spenden sind neben der anteiligen Kirchensteuer ein entscheidender Sockel unserer Gemeindearbeit. Früher fühlten sich die Spender der Kirche und ihrer Sozialarbeit verpflichtet. Die neue Generation setzt andere Maßstäbe.

Die Finanznot nimmt zu

Was heißt das?

Es fließt viel weniger Geld, ganz einfach. Nicht nur bei uns. Die Finanznot nimmt zu. 2017 fehlen unserer Gemeinde 70.000 Euro. Noch gibt es Rücklagen, doch bald sind sie aufgezehrt. Aktuell muss ich mich also verstärkt um Fundraising kümmern.

Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche? Und bleibt noch ausreichend Freiraum für seelsorgerische Tätigkeiten?

Etwa 50 bis 60 Stunden wöchentlich, mal mehr, mal etwas weniger. Pro Jahr stehen rund 200 Hausbesuche auf dem Programm. Ich mache das gerne. Es ist genau das Leben, das ich mir ausgesucht habe. Dadurch kann ich in verschiedene Bereiche reinriechen.

Mit welchem Ergebnis?

Es gibt wunderbare, erfüllende und sinnvolle Erlebnisse. Sorgen mache ich mir über die Käseglocke. Beispiel Flüchtlinge. Diese müssen wir in die Gesellschaft integrieren wie jeden anderen Menschen auch. Wir können nicht sagen: In Deutschland leben 80 Millionen, und der Rest muss hinein in die Gruppe. Das ist der falsche Blickwinkel. Wir brauchen eine gemeinsame Perspektive, wo wir gemeinsam hinwollen.

Was heißt das?

Lösungswege beginnen manchmal im Kleinen. Unserer Gemeinde tut die Arbeit mit behinderten Menschen und mit Flüchtlingen gut. Es gibt neue Kontakte, auch zu Mitstreitern in anderen Stadtteilen. Dadurch wurde die Käseglocke ein bisschen poröser. Es macht mich glücklich, wie wenige Vorbehalte es gab. Die Arbeit mit den Flüchtlingen am Holmbrook hat unsere Gemeinde verändert. Zum Guten.

Verstehen Sie die Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte im benachbarten Blankenese?

Nein, überhaupt nicht. In Othmarschen haben wir dadurch eine neue Form der Zusammenarbeit mit interessanten Leuten gefunden. Kollegen anderswo in Hamburg machen ähnliche Erfahrungen. Am meisten bewegt mich derzeit eine andere Sorge: Die soziale Schere in unserer Stadt klafft immer weiter auseinander.

Spüren Sie das auch im gut situierten Othmarschen?

Auch hier. Und oft hinter den Fassaden. Besonders merken wir das jedoch in der Bahnhofsmission, in deren Konferenz ich mich engagiere. Der Einsatz im Umfeld dort ist ein Indikator, was in Hamburg passiert. Ich frage mich: Wie kriegen wir es hin, dass diese Menschen, deren Zahl stetig zunimmt, Perspektive und Würde haben?