Hamburg. Die Sparte soll verkauft werden. 1000 Jobs sind bedroht – auch in Hamburg. Margarine war einst ein Grundpfeiler von Unilever.

Es gibt Slogans, die erweisen sich im Nachhinein als eher unglücklich. Als die Marketingexperten des Konsumgüterkonzerns Unilever den Spruch „Rama – Frisch gestrichen“ ersannen, da dachten sie vermutlich an gerade geschmierte Stullen und lecker belegte Brötchen. Viel Zeit und Geld investierten die Verantwortlichen in der Hamburger HafenCity, um die kriselnde Margarine-Marke Anfang des Jahres neu zu positionieren und als Teil einer fleischfreien, gesunden Ernährung wieder den deutschen Verbrauchern schmackhaft zu machen.

Doch im April hat der harmlose Spruch für manch einen Beschäftigten eine ganz andere, eher bedrohliche Bedeutung bekommen. Da machte Konzernchef Paul Polman im fernen London nämlich deutlich, dass er die Marke Rama auch im übertragenen Sinne für streichfähig hält.

Auch Lätta und Becel sollen verschwinden

Möglichst bald soll die gesamte Margarine-Sparte samt Lätta, Becel & Co. aus dem Portfolio des Unternehmens verschwinden. Zu hoch waren die Umsatzverluste in den vergangenen Jahren, zu gering sind offenbar die Renditen, zu schlecht die Aussichten angesichts eines schrumpfenden Marktes. 300 Arbeitsplätze allein in Deutschland stehen auf dem Spiel, rund 1000 sind es in Europa.

Nun haben die Unilever-Beschäftigten schon einige Erfahrung mit dem Verkauf angeblich renditeschwacher Sparten machen müssen. Iglo, Bifi, Dextro­Energy, Livio – die Liste der Marken ist lang, die an Konkurrenten oder Finanzinvestoren veräußert wurden. Geblieben sind in dem global operierenden Milliardenkonzern vor allem Produkte, die weltweit funktionieren und hohe Gewinne abwerfen: Langnese-Eis, Knorr-Tütensuppen, Dove-Shampoos, Domestos-Reiniger.

Bei der Trennung von Rama ist die Lage nun allerdings dramatischer als bei anderen Verkaufskandidaten, weil es an die historische Substanz des Unternehmens geht. „Mit dem Margarine-Geschäft reißt man die Seele aus dem Unilever-Konzern“, sagt der Vorsitzende des Europäischen Betriebsrats, Hermann Soggeberg, etwas pathetisch.

Unilever-Chef Paul Polman strebt eine Rendite von 20 Prozent für den Konzern an
Unilever-Chef Paul Polman strebt eine Rendite von 20 Prozent für den Konzern an © picture alliance / Valery Sharif | dpa Picture-Alliance / Valery Sharifulin

Anfangs noch mit „h“ wegen „Milchrahm“

Tatsächlich zählt der Bereich zu den zwei Grundpfeilern von Unilever. Der Konzern ging 1929 aus dem Zusammenschluss der niederländischen Margarine Unie und dem britischen Seifenproduzenten Lever Brothers hervor. Rama, eine ursprünglich von der Deutsche Jurgenswerke AG erschaffene Marke, gehörte von Beginn an zu den Top-Produkten. Anfangs wurde die Margarine in Anlehnung an den „Milchrahm“ noch mit einem „h“ geschrieben und erfolgreich als „buttergleich“ vermarktet, was die Behörden nach Protesten der Landwirtschafts-Lobby allerdings untersagten.

Für die Wiedereinführung nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sich die Verantwortlichen daher einen neuen Weg einfallen lassen, um die Marke als hochwertiges Qualitätsprodukt zu positionieren. Die Hamburger Agentur Lintas ersann damals jene ewig lächelnde Holländerin, die fortan zum Erkennungszeichen der Margarine wurde. Da störte es auch nicht, dass die Tracht des „Rama-Mädchens“ nicht wirklich aus den Niederlanden, sondern aus den Vier- und Marschlanden stammte und ursprünglich dem Fundus der Hamburger Staatsoper entnommen wurde.

1960: 10,7 Kilo Margarine im Jahr pro Kopf

Die Kampagne war so erfolgreich, dass Rama zunächst aufgrund der großen Nachfrage kontingentiert werden musste. Der Marktanteil der Margarine-Union schwoll auf mehr als 60 Prozent an, sodass sich Unilever auf Druck der Politik dazu bereit erklärte, einen Teil der Produktion an kleinere Konkurrenten abzugeben, um deren Überleben zu sichern. 1960 erreichte der bundesdeutsche Margarine-Konsum dank Rama und Co. ein Allzeithoch von 10,7 Kilo pro Kopf. Jahrzehntelang radelte die Rama-Botschafterin danach in ihrer Tracht durch die deutschen Fernsehspots und brachte wechselnden Familien das Frühstück vorbei.

Von solchen Zeiten können die Verantwortlichen bei Unilever heute nur träumen. Für das erste Quartal 2017 meldete der Konzern ein Umsatzminus von 5,1 Prozent für den gesamten Bereich Brotaufstriche. Auch in den vergangenen Jahren sah es kaum besser aus. Mengenmäßig ist Rama zwar noch immer die meistverkaufte Margarine-Marke in Deutschland, der Marktanteil lag 2016 aber nur noch bei 17,4 Prozent. Im Jahr 2010 kam Rama nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hingegen noch auf 23 Prozent.

"Bedeutung der Nahrungsfette gesunken"

Rama war lange die beliebteste Margerine Deutschlands
Rama war lange die beliebteste Margerine Deutschlands © Unilever

In der Unilever-Deutschlandzentrale in der HafenCity werden die Rückgänge bei der einstigen Vorzeigemarke gern mit den veränderten Konsumgewohnheiten erklärt. „Das gemeinsame Frühstück oder Abendbrot spielt heute in vielen Familien eine wesentlich geringere Rolle als früher“, sagt Unternehmenssprecher Konstantin Bark. „Stattdessen haben der Außer-Haus-Verzehr und die To-go-Kultur zugenommen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Bedeutung der Nahrungsfette gesunken.“

Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch von Butter mit rund sechs Kilo über die Jahrzehnte weitgehend konstant geblieben, während sich der Konsum von Margarine im Vergleich zu 1960 auf 4,8 Kilo mehr als halbiert hat. Die Deutschen schmieren sich also sehr wohl noch ihre Brote, sie nehmen dazu nur weniger Margarine.

Das Kunstprodukt hat ein Imageproblem

Dies dürfte auch mit einem Imageproblem des Kunstprodukts Margarine zusammenhängen, das ursprünglich mal als billiger Butterersatz für die französischen Truppen von Kaiser Napoleon in Auftrag gegeben wurde. Lange Zeit gelang es der Industrie im Verbund mit vielen Ärzten, die gesundheitlichen Vorzüge der weitgehend pflanzlichen Margarine gegenüber der tierischen Butter hervorzuheben, die für einen zu hohen Cholesterinspiegel und einen frühen Herztod mitverantwortlich gemacht wurde. Doch diese Auffassung wurde schon Ende der 1970er-Jahre von anderen Wissenschaftlern in Zweifel gezogen. Zugleich erschien Butter immer mehr als das natürlichere Produkt im Vergleich zur Emulsion aus meist diversen Fetten und Wasser.

Mit unterschiedlichen Mitteln versuchte Unilever den Abwärtstrend zu stoppen. Eine Bio-Rama wurde 2009 auf den Markt gebracht, wegen zu teurer Zutaten aber schnell wieder eingestellt. Erfolgreicher war der Ansatz, die Marke über die Margarine hinaus zu weiten und mit Culiness und Cremefine Bratfette und einen Schlagsahne-Ersatz herauszubringen. In der Not verbündeten sich die Margarine-Macher 2013 gar mit dem einstigen Erzfeind und designten die Variante Rama mit Butter. Das brachte einen Achtungserfolg, der allerdings nicht ausreichte, um insgesamt eine Trendwende einzuleiten.

Spät Reaktion auf verändertes Konsumverhalten

Mit den jüngsten Produktvarianten vollzieht Unilever nun erneut eine 180-Grad-Wende und proklamiert ganz im Trend zur vegetarischen und veganen Ernährung die „neue Pflanzlichkeit“. Was die Frage aufwirft, ob Margarine denn nicht immer schon pflanzlich war. „Die klassische Rama ist nicht vegan, da sie Molke beziehungsweise Buttermilch enthält“, erklärt Unternehmenssprecher Bark. „Bei der neuen, rein veganen Rama haben wir hingegen konsequent alle tierischen Inhaltsstoffe weggelassen.“

Aus Sicht des Betriebsrats sind alle diese Versuche, die Margarine-Sparte wieder nach vorne zu bringen, durchaus sinnvoll, sie kommen nur zu spät. „Die Probleme in der Sparte sind hausgemacht“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Soggeberg. „Unilever hat viel zu spät auf sich verändernde Verbrauchergewohnheiten reagiert. Gleichzeitig wurden Investitionen stärker in anderen Geschäftsbereichen, wie der Körperpflege, und in anderen Regionen der Welt getätigt. Dabei wurde das Nahrungsmittelgeschäft sträflich vernachlässigt.“

In der vergangenen Woche ist Soggeberg zu Konzernchef Polman gereist, um angesichts des drohenden Verkaufs zumindest das Schlimmste zu verhindern. „Wenn Unilever die Pläne tatsächlich umsetzt, dann erwarten wir, dass zumindest ein Käufer gefunden wird, der verantwortlich mit dem Geschäft und seinen Mitarbeitern umgeht“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Es dürfe nicht nur darum gehen, einen möglichst hohen Verkaufspreis zu erzielen.

Konkret fordern die Arbeitnehmervertreter einen Erhalt aller Arbeitsplätze und Standorte, in Deutschland sind dies vor allem die beiden Margarine-Werke in Pratau (Sachsen-Anhalt) und Kleve (Nordrhein-Westfalen). Aber auch die rund 20 Mitarbeiter, die Rama und die anderen Margarine-Marken von der Hamburger Deutschlandzentrale aus führen, wären von dem Verkauf betroffen.

US-Konkurrent wollte Unilever schlucken

Ob sich Konzernchef Polman allerdings von solch sozialen Argumenten beeinflussen lässt, ist eher fraglich. Dem Niederländer sitzen die Aktionäre und Analysten im Nacken, die bei Unilever eine möglichst hohe Rendite sehen wollen. Die Entscheidung, sich von der Margarine-Sparte zu trennen, fiel im Frühjahr unmittelbar nach einem Übernahmeversuch durch den US-Konkurrenten Kraft Heinz. 134 Milliarden Euro bot der Hersteller von Heinz-Ketchup und Philadelphia-Käse für Unilever.

Den Angriff konnte Polman zwar relativ zügig abwehren, doch gelang dies nur, indem er den Großinvestoren eine weitere Renditesteigerung zusicherte. Die operative Gewinnmarge soll von derzeit rund 16 Prozent auf 20 Prozent im Jahr 2020 steigen. Um dieses Ziel zu erreichen, will Polman nicht nur das Margarine-Geschäft abstoßen. Geplant ist auch, das verbleibende Nahrungsmittelgeschäft (Knorr, Pfanni, Bertolli) mit der Sparte Erfrischungen (Langnese, Lipton Tea) zusammenzulegen. Zudem könnte es künftig nur noch einen Konzernsitz statt der beiden in London und Rotterdam geben.

Derzeit laufen Gespräche mit mehreren Investoren

An wen Rama und die anderen Margarine-Marken veräußert werden könnten, ist derzeit noch völlig offen. Nach Abendblatt-Informationen werden derzeit Gespräche mit diversen Finanzinvestoren, aber auch mit anderen Lebensmittelkonzernen geführt. Gehandelt werden unter anderem die Namen des Ölsaaten-Verarbeiters Bunge, des Margarine- und Backwarenherstellers Vandemoortele oder auch der britischen Kerry-Group. Dabei könnte die Sparte als Ganzes, aber auch in Teilen verkauft werden. Zwischen sechs und 7,5 Milliarden Euro ließen sich nach Schätzung von Analysten für alle Fett-Marken zusammen erzielen.

Katastrophal wäre es aus Sicht der Arbeitnehmer, wenn der gerade abgewehrte Konkurrent Kraft Heinz durch die Hintertür wieder ins Spiel käme und sich Rama oder andere Marken einzeln einverleiben würde. Die Amerikaner gelten nämlich als radikale Kostensenker und somit als besonders streichwütig.