Das oftmals verschlafene Hamburg mausert sich – nun liegt die Stadt bei neuen Unternehmen sogar vor Berlin.
Wenn Neoliberale mal wieder schlechte Laune haben, stimmen sie ein altes Lied an: Die Deutschen sind übervorsichtig, die Jugend wünscht sich einen freizeitfreundlichen Job im öffentlichen Dienst – und wäre irgendein Existenzgründer hierzulande auf die Idee gekommen, in einer Garage einen Weltkonzern zu gründen, hätte ihm spätestens nach einigen Wochen die Gewerbeaufsicht den Laden zugesperrt.
Wenn der Hamburger Senat gute Laune verbreiten will, zitiert er nun die Zahlen des KfW-Gründungsmonitors, der Hamburg vorne sieht: Mit 253 Gründern je 10.000 Einwohner liegt die Hansestadt in Deutschland vorn und hat das vermeintlich hippe Berlin auf Rang zwei verwiesen. „Neugründungen bringen Innovationen hervor, schaffen Arbeitsplätze und sind der Motor unserer Wirtschaft und des strukturellen Wandels“, freute sich Senator Frank Horch (parteilos) diese Woche. „Hamburg verfügt über gute Rahmenbedingungen und zieht durch seine hohe Lebensqualität Talente aus der ganzen Welt an.“
Wer hat nun recht? Vermutlich beide. Bei aller Freude über den ersten Platz, wichtiger ist die Liga, in der diese Meisterschaft errungen wird – und da spielen weder die Bundesrepublik noch Hamburg in der Champions League, sondern eher Regionalliga.
Die absoluten Zahlen zeigen seit Jahren einen Rückgang der Gründungen, 2016 waren es so wenige wie nie. Natürlich mag das der Fluch der guten Konjunktur sein – wenn fast jeder schnell einen Job findet, sinkt die Bereitschaft zum Gründen. Das ist eine Erklärung, aber kein Trost. Im Vergleich zu 2014 brach die Zahl der neuen Firmen um 27 Prozent ein; zudem werden mehr Unternehmen liquidiert als neu gegründet. Und nicht jede Gründung ist gleich eine volkswirtschaftliche Offenbarung: Weder eine neue Frittenbude noch ein weiteres Wettbüro bringen den Standort nach vorne. 85 Prozent der Gründer gehen als Nachahmer an den Start. Nur 15 Prozent mit einer echten Neuheit. Diese Ideen aber stärken die Innovationskraft der Wirtschaft. Doch die Zahl der innovativen Gründer bei Spitzentechnik und Software ist nicht nur niedrig, sondern auch noch rückläufig: Gerade einmal jeder elfte Gründer kommt aus der Forschung und verfolgt das Ziel, technologische Innovationen marktreif zu machen.
Da ist inzwischen so viel Wasser im Wein, dass die Gründerbilanz nicht einmal mehr als Weinschorle durchgeht. Man mag von dem Elektroauto-Pionier Tesla ja halten, was man will. Aber warum kommt der Marktführer, der das Auto und erneuerbare Energien zusammenbringt, nicht aus dem Land der Energiewende, der Tüftler, der Autoschrauber? Über diese Frage sollte sich die Politik mal den Kopf zerbrechen.
Es stimmt ja, dass Deutschland über eine gute Infrastruktur, starke Unternehmen und üppige Hilfsprogramme verfügt; es mangelt aber an einer positiven Unternehmerkultur, an Risikobereitschaft, an der Lust auf Neues. Wer an Stammtischen, in Schulen oder dem Rundfunk genauer hinhört, hält Unternehmer schnell für halbseidene Gestalten und den Staat für die Lösung aller Probleme. Risiken wagen wir kaum, weil das mögliche Scheitern stets mit einem Makel behaftet ist. Und in neuen Techniken suchen wir zunächst die Gefahren, weniger die Chancen.
Von daher kann man den jüngsten Vorstoß der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank nicht hoch genug einschätzen. Gemeinsam mit der grünen Bundestags-Vizefraktionschefin Kerstin Andreae schlug sie vor, jedem Existenzgründer ein Darlehen von 25.000 Euro, Hightech-Unternehmern gar von 100.000 Euro zu gewähren. Und selbstkritisch schrieben die beiden grünen Vordenkerinnen in der „Frankfurter Rundschau“: „Die Liste ungemachter politischer Hausaufgaben ist lang: Steuervereinfachungen, Bürokratiepause, soziale Absicherung. Gerade deshalb ist es wichtig, dass am Anfang ein starkes Signal des Aufbruchs steht.“ Es wäre zugleich ein Signal für eine Gesellschaft, die wieder Mut zum Gründen findet.
Vielleicht fängt Hamburg mit dem grünen Modell einfach an – dann wäre die Stadt nicht nur relativ weit vorn, sondern absolut führend!