Hamburg. Hella Kemper badet seit 16 Jahren in dem Fluss. Gefährlich findet sie das nicht – dabei gab es auch schon kritische Momente.
Sie ist eine, die nicht viel Gedöns macht. Die einfach ins Wasser steigt, ohne vorher mädchenhafte Allüren zu zeigen. Dass die Elbe in Blankenese an diesem Sonntag 15,4 Grad kalt ist, ist zwar nicht so angenehm, hindert Hella Kemper aber nicht daran, eine Runde zu schwimmen. Neben dem Blankeneser Leuchtturm steigt sie nur mit einem Bikini bekleidet an einer Slipanlage am Sandstrand in den Strom. Das machen nicht viele, und so ist die 50-Jährige eine der wenigen Hamburger Elbschwimmerinnen.
Schwimmen im trüben Elbwasser zwischen Containerriesen. Das Entsetzen ist da manchmal groß. Und die Umweltbehörde rät dringend vom Baden in der Elbe ab, auch wenn es nicht grundsätzlich verboten ist. Alles Vorurteile, findet Hella Kemper. Denn sie krault nicht bis zur Fahrrinne, sondern schwimmt parallel zum Strand. Sie sei schließlich nicht lebensmüde. Und Angst habe sie weniger vor den dicken Schiffen als vielmehr vor den Motorbootfahrern, die in Strandnähe durchs Wasser jagen und sie kaum sehen.
Baden in der Elbe – „der reinste Genuss“
Auch dreckig sei die Elbe schon lange nicht mehr. „Ich habe noch nie Hautausschlag oder Magen-Darm-Probleme davon bekommen“, sagt Kemper, die seit 16 Jahren regelmäßig in den Fluss steigt. „Yachthäfen mit ihren Motorbooten fühlen sich weniger sauber an als die Elbe samt Containerschiffen.“ Davon ist sie überzeugt. Überhaupt sei ein Freibadbesuch auch weniger erfrischend. „Ich gehe lieber in die Elbe als ins Kinderbecken“, sagt sie und lacht.
Baden in der Elbe? Das sind die Regeln
Baden in der Elbe, sagt Kemper, „ist der reinste Genuss“. Hamburgs Strom schmecke nach fast nichts, rieche auch nicht, sondern dufte verschieden je nach Witterung, Tageszeit und Tide. „Mal meerig wie die Nordsee, mal wie eine Mischung aus Schlick und Tang, ein andermal wie lang erwartete Sommerferien“, schreibt die Journalistin und Autorin in ihrem Buch „Leben am Fluss“.
Dass sie die Elbe so liebt und so gern von ihrem Wasser umspült wird, liegt auch an ihrem Wohnort. Von ihrer Gartenbank in Blankenese aus hat sie den Strom im Blick. Ein sehr privilegierter Ort. Heute ist der Strom ruhig, die Sonne scheint. Eine Barkasse schippert vorbei mit einer Ladung Ausflügler an Bord. Idylle pur. Bestes Badewetter also?
Ohne Neoprenanzug, weil sie das Wasser spüren will
Nicht ganz. Es ist eben noch sehr kalt. In diesem Jahr war Kemper zum ersten Mal Anfang April bei sieben Grad Wassertemperatur im Fluss. Das erste Bad im Jahr ist eine „furchtbare Überwindung.“ Sie sei eher eine Genussschwimmerin. Den Drang zu jeder Jahreszeit im Fluss zu sein, habe sie nicht. Sie kennt aber einen anderen Elbschwimmer, der das ganze Jahr über dieser Leidenschaft nachgeht. Auch im Winter. Kemper selbst badet am liebsten bei Hochwasser, wenn das Wasser nicht so weit weg ist. „Ich finde es schöner, wenn es aufläuft, dann kommt es vom Meer“, sagt sie. Selbstverständlich nicht im Neoprenanzug – da würde sie das Wasser ja gar nicht an ihrer Haut spüren.
Wenn Hella Kemper ihre Liebe zum Strom schildert, dann sehr poetisch. „Wie weltvergessen liegt die Elbe in ihrem Flussbett, ihre Strände unberührt und das Wasser im frühen Frühlingslicht, tausendfach vervielfacht, dass es ein Flimmern und Flirren ist. Die Elbe ist im April und auch im Mai noch ein Winterfluss, ein kalter, ein erschreckend kalter Fluss“, schreibt sie. In der Elbe zu schwimmen helle die Stimmung auf – ein schönes Gefühl, wenn man es gewagt hat. „Nach dem langen Winter ins helle, lichte, frische Wasser, das ist ein tolles Gefühl“, sagt Kemper, als sie an diesem Tag nach wenigen Minuten aus der Elbe steigt. Für eine längere Strecke ist es noch zu kalt.
Vor 13 Jahren war sie in Begleitung eines Paddelboots nach Neßsand geschwommen, über die Fahrrinne hinweg. Eine Dreiviertelstunde hat das gedauert und sei doch im Vergleich zu Outdoorschwimmern, die den Ärmelkanal überqueren oder die Straße von Gibraltar, gar nichts, sagt Kemper. Sie sei nur ein „Elbe-Weichei“.
In der Mosel war die Ostwestfalin auch schon, im Rhein ebenfalls. Der sei ein besonderes Kaliber mit seiner starken Strömung und sehr vielen Schiffen. Die Elbe zu durchschwimmen sei zwar auch aufregend, aber sie schrecke sie nicht so sehr wie der Rhein. Warum aber überhaupt? Das Bad mache süchtig, und Elbschwimmen sei eher Lebenshaltung als Sport. „Ich habe eine große Sehnsucht, im Wasser zu sein.“
Moment, in dem sich die Elbe von der harten Seite zeigte
Eine Gefahr sei die Elbe für sie nicht, eher Rettung. Wenn sie beim Alten Schweden am Strand sitzt und aufs Wasser guckt, dann lösten sich auch ihre Sorgen auf, würden mit den Bewegungen des Wassers hinweggespült, erzählt sie.
Und doch gab es einen Moment, in der sich der Strom von seiner harten Seite zeigte: Als sie ihre Tochter, heute elf Jahre alt, als Baby mit in die Elbe nahm und kurz abgelenkt war, war ihre Tochter im trüben Elbwasser untergegangen und verschwunden. Die Sichtweite ist so gering, unter einem halben Meter. Zum Glück konnte sie nach ihr greifen. Ebenso wie an einem anderen Tag, nach einem kleinen Jungen, der von seiner Mutter unbeobachtet lautlos unterging. Elbschwimmerin Kemper war in der Nähe und zog ihn wieder raus.
Die friedlichen Momente würden aber dominieren, so Kemper. Und sieht man sie dann in die Elbe eintauchen, so selbstverständlich und so beseelt, möchte man es ihr fast nachmachen. Nicht heute. Aber an einem wärmeren Tag.
Hella Kemper „Leben am Fluss“, KJM Buchverlag, 15 Euro. Erhältlich auch in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32.