Hamburg . Umweltbehörde setzte Schadstoffausstoß von wohl mehr als 100.000 Diesel-Pkw zu niedrig an. Luftreinhalteplan muss korrigiert werden.
Bei der Berechnung des neuen Hamburger Luftreinhalteplans ist der Schadstoffausstoß eines Großteils der Diesel-Fahrzeuge offenbar deutlich zu niedrig veranschlagt worden. Nach Informationen des Abendblatts haben die von der Umweltbehörde beauftragten Gutachter bei der Einschätzung der Luftbelastung nicht berücksichtigt, dass Dieselfahrzeuge der Euro-4- und der Euro-5-Norm in Wahrheit mehr giftiges Stickoxid ausstoßen als vor dem Dieselskandal angenommen. Beobachter halten es für möglich, dass die bisherigen Maßnahmen, etwa Diesel-Durchfahrverbote in Max-Brauer-Allee und Stresemannstraße, zum schnellen Senken der Luftbelastung mit giftigem Stickoxid nicht mehr ausreichen könnten.
Hintergrund: Das Umweltbundesamt (UBA) hat zusammen mit Umweltinstitutionen anderer europäischer Staaten im April eine neue Version (3.3) des „Handbuchs für Emissionsfaktoren für Straßenverkehr“ (HBEFA) herausgegeben. Ergebnis: Der Ausstoß des giftigen Stickoxids liegt bei Diesel der Euro-4-Norm um 23 Prozent höher als in der letzten Studie von 2014 angenommen, bei Euro 5 sogar um 33 Prozent, und bei den modernsten Dieseln der Euro 6-Klasse liegt der Giftausstoß um sage und schreibe 92 Prozent höher – sie stoßen also fast doppelt soviel Stickoxid aus.
Erheblicher Rechenfehler
Bei der Berechnung des Hamburger Luftreinhalteplans wurden zwar die höheren Emissionen der Euro-6-Pkw mit einem Korrekturfaktor von 1,9 einberechnet – die ebenfalls deutliche höheren Emissionen der älteren Diesel Euro 4 und 5 aber wurden ignoriert. Dieser Rechenfehler dürfte nicht ganz unerheblich sein. Denn von den derzeit in Hamburg fahrenden Diesel-Pkw gehören noch immer rund zwei Drittel zu den älteren Kategorien.
Insgesamt fast 336.000 Diesel-Fahrzeuge (Pkw und Lkw) waren in Hamburg Anfang April 2017 registriert. Rund 239.000 davon erfüllen laut Senat nicht die Euro 6-Norm (bzw. Euro VI für Lkw), wie der Senat kürzlich in einer Antwort auf eine CDU-Anfrage mitteilte. Erstaunlicherweise sah sich der Senat darin nach eigenen Angaben nicht in der Lage, die Fahrzeuge nach Pkw und Lkw aufzuschlüsseln. Der Verzicht auf die Anpassung der Emissionswerte der älteren Diesel bedeutet also, dass der Giftausstoß von wohl deutlich mehr als 100.000 Diesel-Pkw bei der Berechnung des Luftreinhalteplans zu niedrig angesetzt wurde.
Umweltschützer stellen Rechnung in Frage
Auf Abendblatt-Nachfrage, musste die Umweltbehörde diese Tatsache jetzt zugeben. Bei der Erstellung der Gutachten für den Luftreinhalteplan hätten die neuen Faktoren noch nicht vorgelegen, so die Begründung. „Die Korrekturfaktoren des UBA für Euro 4 und 5 kommen für uns wie für alle anderen Städte völlig überraschend“, sagt Behördensprecher Jan Dube. „Wir müssen die neuen Hinweise jetzt mit dem Gutachter bewerten.“
Es sei aber „überhaupt nicht ausgemacht“ dass sich die Belastungen „außerhalb des Korridors unserer Werte bewegen könnten“, sagt Dube. „In den Gutachten haben wir mit Sicherheitspuffern und konservativen Annahmen gearbeitet, hinzu kommen die 30-prozentige gesetzliche Abweichung in den Rechenmodellen sowie der Trend weg vom Diesel und der zu erwartende Flottenaustausch zugunsten von zunehmend sauberen Antrieben.“
Auf die Frage, warum die Gutachter Korrekturen für Euro 6 einbezogen haben, nicht aber die für Euro 4 und 5, heißt es in der Behörde: „Bis Ende April gab es bei Euro 4 und 5 keinerlei Hinweise oder Faktoren des UBA. Bei Euro 6 – wo ja Hinweise auf große Abweichungen vorlagen – hatten wir im Zuge unserer Berechnungen aktiv nachgefragt, mit welchen Faktoren man rechnen solle und daraufhin die Zahl 1,9 als Vorschlag bekommen.“
Umweltschützer stellen nun die gesamte Planung infrage, nach der die bereits seit 2010 geltenden EU-Grenzwerte für giftige Stickoxide wenigstens bis 2025 überall in Hamburg eingehalten werden sollen. „Wir haben derzeit erhebliche Zweifel, ob die Ermittlung des Stickoxidausstoßes von Pkw dem neusten Wissenstand gerecht wird“, sagte der Hamburger Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Manfred Braasch, dem Abendblatt.
Sollte sich bestätigen, dass es Fehler bei den Berechnungen gegeben habe, „wären die Aussagen zum modellierten Rückgang der Stickoxid-Emissionen bis 2020 Makulatur“, so Braasch. „Die Belastung mit Luftschadstoffen würde weniger schnell sinken als angenommen. Die Behörde muss dringend Transparenz herstellen und alle relevanten Daten und Gutachten auf den Tisch legen.“
Stellungnahmen bis zum 8. Juni möglich
Der am 2. Mai von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) vorgelegte Luftreinhalteplan mit zehn Maßnahmepaketen zur Senkung der Stickoxid-Belastung ist derzeit im Internet einsehbar (www.hamburg.de/luftreinhaltung). Bis zum 8. Juni können alle Hamburger Stellungnahmen abgeben, die dann eingearbeitet oder verworfen werden. Am 30. Juni soll der Senat den Plan beschließen – am letzten Tag einer vom Verwaltungsgericht gesetzten Frist. Danach könnten Betroffene und Umweltverbände gegen den Plan klagen.