Hamburg. Im Rahmen von „Theater der Welt“ inszeniert der Ungar Kornél Mundruczó „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann.
In Cannes liegt die Latte hoch. Trotzdem oder gerade deshalb wollen Filmemacher und Schauspieler ganz dringend zu dem Festival, das morgen beginnt. Die Königsdisziplin ist der Wettbewerb, der in diesem Jahr nur so vor großen Namen strotzt. Die Regisseure Sofia Coppola, Michael Haneke, François Ozon, und Todd Haynes treten mit ihren neuen Filmen gegeneinander an. Und auch Hamburg ist an der Croisette vertreten. Fatih Akin zeigt seinen neuen Film „Aus dem Nichts“. Und Kornél Mundruczó ist mit „Jupiter’s Moon“ im Wettbewerb dabei. Der Regisseur ist Ungar und arbeitet aber gerade am Thalia, wo er Gerhart Hauptmanns „Die Weber“ inszeniert.
Wenige Tage vor Beginn des Festivals ist der 42-Jährige die Ruhe in Person, auch wenn er an diesem Vormittag gerade die „Weber“-Probe umgestalten muss, weil ein Schauspieler erkrankt ist. Nachmittags will er im Abaton für den Film „Jupiter’s Moon“ die Endabnahme machen. Mundruczó ist bereits zum dritten Mal im Wettbewerb vertreten – eine stolze Bilanz.
Er setze Hoffnungen auf die Flüchtlingskrise, sagt der Regisseur
„Jupiter’s Moon“ geht auf das russische Science-Fiction-Buch „Flying Man“ zurück. „Ich habe es gelesen als ich ein Teenager war und es nie vergessen.“ Der Film erzählt die Geschichte eines ungarischen Arztes, der in einem Flüchtlingscamp arbeitet und dort einem Mann aus Syrien trifft, der schweben kann.
„Das Stück erzählt viel über den Zustand Europas. Ich setze Hoffnungen auf diese Flüchtlingskrise. Es ist zwar nicht leicht, wenn man drinsteckt, aber sie bringt dich auch dazu, zu überlegen, was dir Europa, was dir Menschlichkeit bedeutet. Was kann man verlieren, was darf man nicht verlieren? Es ist deine Entscheidung. Das ist die wahre europäische Frage.“ Mundruczó hat selbst zwei Wochen in einem Flüchtlingscamp gelebt, um dort ein Kunstprojekt zu gestalten. Sein Film ist eine Produktion, die von der Durchlässigkeit europäischer Grenzen profitiert. Die Farbsättigung ließ der Regisseur in Stockholm bearbeiten, der Sound kommt aus Berlin, der Rest aus Ungarn.
2016 hat Mundruczó seinen Film „Underdog“ vorgestellt
2016 hat Mundruczó in Cannes in einer Nebenreihe seinen Film „Underdog“ vorgestellt – und gewonnen. Ein Hund spielt darin die Hauptrolle. 280 Vierbeiner hatte er für die Dreharbeiten aus Tierheimen geholt und mit ihnen ohne große Spezialeffekte vor der Kamera gedreht. Das Abaton zeigt den Film am 26. und 27. Mai.
Hunde spielen auch in seiner Inszenierung von „Die Weber“ mit. In einem Akt essen Menschen Hundefleisch, weil sie so hungrig sind. An einer anderen Stelle geht es um einen Familienhund, der mehr Rechte hat als die Menschen.
Er betrachtet "Die Weber" als echte Herausforderung
Insgesamt stellen „Die Weber“ für Mundruczó eine echte Herausforderung dar. Bei dem langen Text mit mehr als 50 Rollen hat Mundruczó einige Striche gemacht. Er konzentriert sich auf zehn erwachsene Charaktere und acht Kinder. „Man muss die Struktur finden. Als ich das Stück zum ersten Mal gelesen habe, habe ich vor allem eine Stille zwischen den Worten gespürt, und nach dieser Stille suche ich mit den Schauspielern.“
Ihm steht mit diesem Stück eine doppelte Premiere bevor. „Es ist das Drama eines anderen Autoren, das ich auf die Bühne bringe. Sonst inszeniere ich meine eigenen Stoffe oder adaptiere Romane.“ Aber die Kuratorin des Festivals „Theater der Welt“, Sandra Küpper, und Thalia-Intendant Joachim Lux hätten ihn von Hauptmann überzeugt.
In der Inszenierung geht es um Arbeit, Armut und Zukunft
Der behandelt in seinem Stück den Aufstand der Leinenweber in Schlesien aus dem Jahr 1844. Mundruczós Inszenierung dreht sich um die Schlüsselworte Arbeit, Armut und Zukunft. „Wie man Armut auf der Bühne darstellt, löst immer große Diskussionen aus. Wir wollen sie nicht nur aus einer intellektuellen Distanz heraus zeigen, sondern eine Realität erschaffen. Das Stück ist für mich total gegenwärtig. Als es geschrieben wurde, war die Welt so gespalten, wie sie es heute immer noch ist. Es gibt Milliardäre auf der einen Seite und sehr viel Armut auf der anderen. Natürlich ist es ein Luxus, in Hamburg zu leben, aber wenn man den gesamten Globus betrachtet, findet man immer noch die von Hauptmann beschriebene Welt.“
Der Regisseur macht regelmäßig den Spagat zwischen Film und Theater. „Am Anfang war das Theater eher zweitrangig, aber jetzt werde ich dabei immer leidenschaftlicher. Als Kunstform ist das Theater viel radikaler als der Film. Auf der Bühne leistet man sich den Luxus von Gedanken, reflektiert Gesellschaftsprobleme, es ist ein Forum für jedermann. Aber natürlich ist das auch Showbusiness, das darf man nie vergessen. Letztlich definiere ich mich immer noch als Filmregisseur.“
Cannes hat Glamour und den brauche das Showbusiness
Und als solcher ist er in Cannes bestens aufgehoben. Mundruczcó zählt zu seinen Vorbildern Autorenfilmer wie Rainer Werner Fassbinder ebenso wie den Blockbuster-Regisseur Steven Spielberg. Im Hinblick auf den Wettbewerb in Cannes sagt er: „Wenn man sich die Namen der anderen Teilnehmer ansieht, kann man nur sagen: Es ist verrückt, aber ein sehr schönes Gefühl, dort zu sein. Das ist eigentlich schon der Hauptpreis, denn wie will man Kunst vergleichen?“
Noch einmal kommt er aufs Theater zurück. Dort gehe es immer um gesellschaftliche Zusammenhänge, um Protest. „In Cannes ist es das Gegenteil. Dort lautet das Motto: Luxus, Luxus, Luxus. Wenn ich dort bin, sage ich mir immer: Kornél, genieße das, es könnte das letzte Mal sein! Und das tue ich. Es hat wahren Glamour und den braucht das Showbusiness. Vergessen Sie nicht, dass ich aus einem Operetten-Staat komme.“
„Underdog“ Fr 26. Mai, 20 Uhr; Sa 27. Mai, 17 Uhr, Abaton, der Regisseur kommt ins Kino
Hier gibt es Karten: Beim Festival „Theater der Welt“ hat am 27. Mai (20 Uhr) Gerhart Hauptmanns Drama „Die Weber“ Premiere im Thalia Theater. An die Aufführung am 28. Mai (19 Uhr) schließt sich ein Publikumsgespräch an. Karten zum Preis von 7,50 Euro bis 74 Euro sind bereits unter www.thalia-theater.de und www.theaterderwelt.de erhältlich, weitere Vorführungen gibt es nach dem Festival, vom 13. bis 15. Juni und am 9. Juli. Unter der Regie von Kornél Mundruczó spielen Bernd Grawert, Matthias Leja, Marie Löcker, Oliver Mallison, Axel Olsson, Jörg Pohl und Victoria Trauttmansdorff.