An einem warmen Frühlingstag brach der Große Brand aus – ein Ereignis, das die Hansestadt gravierend verändert hat.

Der 4. Mai 1842 war ein warmer Frühlingstag, dem eine laue Nacht folgte. Schon seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet, die Menschen waren froh, dass die kalte Jahreszeit endlich hinter ihnen lag, und genossen das milde Wetter. Die Tore waren längst geschlossen, die allermeisten Menschen schliefen. Die Deichstraße mit ihren in Fachwerk ausgeführten alten Kaufmannshäusern wirkte friedlich und still, als die Uhr der nahe gelegenen Nikolaikirche zur ersten Stunde schlug.

Zunächst war das Knistern, das sich allmählich in ein Prasseln verwandelte, von niemandem wahrgenommen worden. Erst als das Haus eines Tabakhändlers an der Deichstraße 42 schon in Flammen stand, fuhren die Bewohner der Straße aus dem Schlaf auf. „Fü-er! Fü-er in de Diekstraat“, schrie der Nachtwächter, bald rissen die Kirchenglocken die Menschen aus dem Schlaf. Sehr schnell rückte die Feuerwehr an, zunächst schien es ein Routinefall zu werden.

Flammen außer Kontrolle

Die Männer an den Spritzen pumpten immer mehr Wasser aus dem Fleet, bekamen die Flammen aber nicht unter Kontrolle, denn der Wind fachte sie immer wieder an. Bald leckten sie an dem benachbarten Speicher, in dem Lack, Gummi und Fässer mit hochprozentigem Arrak lagerten. Gegen 5 Uhr züngelten die Flammen schon über das Deichstraßenfleet hinweg und bedrohten die Häuser in der Steintwiete.

Der Spritzenmeister wusste genau, was jetzt zu tun gewesen wäre: Er hatte gelesen, dass es seinen amerikanischen Kollegen in New York und in Charleston mit der gezielten Sprengung von Häusern gelungen war, den Flammen Einhalt zu gebieten. Inständig bat er den Polizeisenator Binder, einige in der Windrichtung gelegene Häuser sprengen zu dürfen. Nur so ließe sich die Ausbreitung des Brandes jetzt noch stoppen, erklärte er seinem Vorgesetzten.

Protestantisches Gottvertrauen?

Doch Binder schüttelte den Kopf, eine solche Entscheidung könne er nicht verantworten. Es müsse noch andere Möglichkeiten geben, die Flammen zu löschen, sagte er dem Spritzenmeister. Der Grund für diese verhängnisvolle Fehlentscheidung waren die Regressansprüche der betroffenen Hausbesitzer, vor denen sich Binder fürchtete. Die Hamburger Feuerwehr war in dieser Nacht keineswegs schlecht aufgestellt, etwa 1150 Brand­bekämpfer waren mit 34 Land- und elf Schiffsspritzen im Einsatz. Trotzdem ließ sich die Katastrophe nicht mehr aufhalten. Bald entstand Chaos, es gab Zuständigkeits­- und Kommunikationsprobleme.

War es protestantisches Gottvertrauen oder nur Ahnungslosigkeit? Als sei nichts geschehen, fand am Mittag des Himmelfahrtstages in der Nikolaikirche ein Gottesdienst statt. Während die Gemeinde Choräle sang und der Pastor mit seiner Festtagspredigt begonnen hatte, stand der Turm bereits in Flammen. Schließlich wurden die Türen aufgerissen, „Raus hier, sofort raus!“, riefen Feuerwehrleute, bis die Gemeindemitglieder überstürzt nach draußen stürmten.

Sprengungen am Jungfernstieg

Für die Rettung der Kunstschätze war es da längst zu spät, nur das silberne Altar- und Abendmahlsgerät konnte in letzter Minute noch geborgen werden. Um 17.30 Uhr brach die altehrwürdige Hauptkirche brennend zusammen. Ungefähr zur selben Zeit gestattete der Rat nun doch die gezielte Sprengung einzelner Häuser. Krachend stürzten mehrere Gebäude an der Deichstraße und gleich neben St. Nikolai am Hopfenmarkt und der Neuen Burg ein, doch die Aktion kam zu spät, nun ließen sich die Flammen nicht mehr aufhalten und fraßen sich über die Ruinen hinweg immer weiter in Richtung Alster.

Mehr Erfolg hatten die Sprengungen am Jungfernstieg, wo die Gebäude auf dem Gelände des heutigen Hamburger Hofs und vom Streit’s Hotel gezielt zerstört wurden, darunter das Haus von Salomon Heine, der das ausdrücklich genehmigt hatte. Dadurch konnte zumindest der Gänsemarkt gerettet werden. Die überwiegend wohlhabenden Bewohner der Häuser am Jungfernstieg hatten Möbel und anderen Besitz auf die Straße tragen lassen.

Plünderer mit unfassbarer Dreistigkeit

Nun mussten sie fassungslos mit ansehen, wie ihre Sachen in die Binnenalster geworfen wurden, weil der Platz auf der Straße für die Flüchtenden gebraucht wurde, die sich hier am Wasser zusammendrängten. Die Bewohner ganzer Straßenzüge waren auf der Flucht vor den Flammen, die sich bereits dem Rathaus näherten. Dort, in der eigent­lichen Machtzentrale der Stadt, versuchten die acht jüngsten Ratsherren, sich wenigstens einen Überblick zu verschaffen, mussten aber am Morgen des 6. Mai das Gebäude an der Trostbrücke verlassen, das nun auch gesprengt wurde.

Während die Feuerwehr und viele auch von außerhalb herbeigeeilte Helfer mit großem Einsatz, aber weitgehend unkoordiniert gegen das übermächtige Feuer kämpften, kamen schon die Plünderer, die manchmal mit unfassbarer Dreistigkeit vorgingen. So raubten sie nicht nur die bereits leer stehenden Gebäude aus, sondern vertrieben sogar die Bewohner einiger Häuser, indem sie sich als Sprengkommandos ausgaben. Aber einige Menschen machte die Gier auch blind. So drang eine Gruppe von Kriminellen in das Eckhaus Alter Wall/Großer Burstah ein, wo sich ein gut gefülltes Weinlager befand. Als sie die Türen aufgebrochen hatten, betranken sich die Männer dort so lange, bis das Gebäude brennend über ihnen zusammenstürzte.

Wenigstens die Börse retten

Mit großem Einsatz konzentrierten sich die Rettungskräfte darauf, wenigsten die Börse zu retten. Das klassizistische Gebäude, das erst ein paar Monate zuvor eingeweiht worden war, schien bereits dem Untergang geweiht zu sein. Viele Menschen hatten sich in das massive Steingebäude gerettet, dessen flaches Kupferdach aber aufgrund der Hitze inzwischen zu schmelzen drohte. Ein Leutnant der Bürgergarde wollte wenigstens die Menschenleben retten und gab den Befehl zur Räumung.

Während die meisten Menschen auf dem letzten noch möglichen Fluchtweg ins Freie hasteten, verteidigten der Kaufmann Theodor Dill und neun weitere Freiwillige das Börsengebäude mit dem Mut der Verzweiflung. Nachdem sie zunächst die Bestände der Commerzbibliothek in den Keller gebracht hatten, traten sie fast
24 Stunden lang Brandherde aus, nutzten das wenige vorhandene Löschwasser und warfen alles Brennbare ins Freie, bis sie schließlich mit dem Hissen einer weißen Fahne und dem Anschlagen der Börsenglocken signalisieren konnten, dass das Gebäude doch noch gerettet worden war.

Weitere Gefahr

In all dem Chaos ergab sich aber eine weitere Gefahr: Nicht nur die Plünderer bedrohten die Sicherheit der Stadt, denn die Flammen bedrohten auch das Zuchthaus und das Spinnhaus, in dem Schwerkriminelle einsaßen. Innerhalb weniger Minuten musste entschieden werden, dass einige wegen geringerer Delikte einsitzende Häftlinge freigelassen, die gefährlichen Schwerverbrecher aber in anderen Gefängnissen untergebracht werden.

Erst am Morgen des 8. Mai, als die unmittelbare Gefahr endlich vorüber war, konnte mit der Registrierung der Schäden begonnen werden: 51 Tote, 130 Verletzte. 20.000 Menschen, etwa jeder fünfte Hamburger, hatten ihre Wohnungen verloren. St. Nikolai, St. Petri, die Gertrudenkapelle, zwei Synagogen, historische Gebäude wie das Rathaus und die alte Börse, 1750 Häuser und 100 Speicher waren zerstört. Allein die Schäden an den Gebäuden, die ausnahmslos bei der Hamburger Feuerkasse versichert waren, betrugen 135 Millionen Courantmark.

Brandursache nicht geklärt

Wer hatte das alles verschuldet? Bis heute ist die genaue Brandursache nicht geklärt. Aber natürlich gab es sofort Gerüchte. Waren es englische Handwerker, die am Grasbrook eine Maschinenfabrik errichteten? Zumindest für einige ihrer Hamburger Kollegen, denen die britische Konkurrenz ein Dorn im Auge war, schien die Sache schnell klar zu sein: Aufgrund der völlig unsinnigen Beschuldigung kam es zur Lynchjustiz, mindestens ein Mann wurde dabei getötet, zehn kamen schwer verletzt davon.

Die Nachricht vom Großen Brand verbreitete sich in kurzer Zeit: Bald reisten die ersten Katastrophentouristen an. Und Maler, die ihre Ruinenmotive bisher gern in Italien gesucht hatten, fanden sie jetzt in der zerstörten Hansestadt. Doch zugleich gab es eine unvorstellbar große Anteilnahme. Hilfsgelder kamen aus allen Teilen Deutschlands und fast allen europäischen Staaten, aber auch aus den USA und Mexiko, Kuba und Brasilien sowie aus Afrika und Asien. Vor allem Regionen, mit denen Hamburg Handels­beziehungen unterhielt, schickten Spenden. Insgesamt kamen dabei 6,9 Millionen Courantmark zusammen.

Städtebauliche Folgen

Während sich die Hansestadt unter anderem mit Gedenkmedaillen, die aus der Bronze geschmolzener Kirchen­glocken hergestellt wurden, bei den großherzigen Spendern bedankte, entwickelte sich in der Stadt ein schwunghafter Handel mit Erinnerungsstücken: Künstler und Verlage brachten Branddarstellungen auf den Markt. Zu haben waren auch Gedenkmünzen, Kaffee­tassen und Schnupftabakdosen mit gemalten Brandmotiven sowie authentische Brandandenken, etwa ein Satz geschmolzener­ Untertassen. Wahrscheinlich war der Große Brand die erste Katastrophe, die sich im großen Stil vermarkten ließ.

Weit wichtiger erscheinen freilich die städtebaulichen Folgen: Kaum hatte sich der Rauch verzogen, begannen die Planungen für den Wiederaufbau des
42 Hektar großen Areals. Gerade weil so viel zerstört war, bot sich der „Technischen Kommission“ die Chance für ein zukunftsweisendes Gesamtkonzept. Anstelle der engen Gassen konnten nun großzügige Straßen und Plätze angelegt werden.

Klassizistisches Gepräge

Mit der Nachbrand-Architektur erhielt Hamburg zudem ein klassizistisches Gepräge von maßvoller Schönheit. Nach Plänen des englischen Ingenieurs William Lindley entstand nun auch ein zentrales Wasserversorgungs- und Sielsystem.

Der Große Brand war eine für die Hansestadt bis dahin beispiellose Katastrophe. Obwohl der Verlust an Vermögen und Kapital während der Franzosenzeit (1806 bis 1814) deutlich höher gewesen war, wurde der Stadtbrand insgesamt doch als sehr viel schicksalhafter empfunden. Er stellte auch die große Sturmflut von 1825 oder die Cholera­epidemie der Jahre 1831/32 in den Schatten.

Ohne das 175 Jahre zurückliegende Ereignis sähe Hamburg anders aus: stärker erkennbar historisch gewachsen, verwinkelter und teilweise noch mittelalterlich geprägt, aber eben auch sehr viel weniger großzügig, mehr historisch als großstädtisch. Die heutige Metropole wäre ohne den Großen Brand in dieser Form nicht entstanden.