Hamburg. Die Spielzeit wird politisch: Elfriede Jelinek ließ sich für „Am Königsweg“ vom US-Präsidenten und der Muppet Show inspirieren.
Diese Intendantin hat einen hohen Energieverbrauch. „Meine Drogen“ nennt Karin Beier scherzhaft den eigens für sie im Rangfoyer bereitgestellten Nachschub. Mit dem Schauspielhaus leitet sie Hamburgs größtes Sprechtheater nun bereits im fünften Jahr, auch als Regisseurin trägt sie regelmäßig zu dessen Erfolg bei.
Der Treibstoff, der sie auf Betriebstemperatur hält: Cola Light und eine Dose Energydrink. Beides ist zum Ende der Pressekonferenz leer. Die Dramaturgen und der Geschäftsführer trinken Wasser, die hellwache Chefin fährt hochtouriger.
Neun Premieren in der neuen Saison
Spielzeit-Vorschau am Schauspielhaus. Neun Premieren stehen in der kommenden Saison an, wieder setzen sich die Stücke mit den aktuell drängenden Fragen auseinander. Die Stadtgesellschaft habe sich politisiert, glaubt Beier, dem will sie mit politisch und gesellschaftlich relevantem Theater begegnen.
Es ist eine große Qualität des Schauspielhaus-Programms, dass es einerseits sofort verführt – durch starke, eingeführte Regisseure (neben Beier selbst sind das zum Beispiel Katie Mitchell, Christoph Marthaler, Karin Henkel und Frank Castorf), durch bezwingende Besetzungen (Edgar Selge kommt als „Baumeister Solness“) oder bestechende Themensetzungen. Andererseits biedert es sich nicht an, sondern riskiert etwas – und gewinnt damit, wie auch die sehr guten Auslastungszahlen zeigen.
Auftakt macht die Groteske „Tartare Noir“
Geschäftsführer Peter Raddatz meldet steigende Besucherzahlen, eine Auslastung von im Durchschnitt 78 Prozent (160.000 Zuschauer bis Ende März) und um fast zehn Prozent höhere Einnahmen aus dem Kartenverkauf. Besonders stark nachgefragt waren nicht nur der Edgar-Selge-Renner „Unterwerfung“, sondern auch die Inszenierungen „Trilliarden“ oder „The Who and the What“.
Das Publikum gibt dem Schauspielhaus einen Vertrauensvorschuss, Karin Beier versteht das als Auftrag und setzt nicht auf vermeintlich „sichere“ Klassiker, sondern konsequent auf Stücke, deren Inhalt mit unserer Gegenwart zu tun haben, deren Autoren etwas zu sagen haben, deren unbekannte Titel aber ein Wagnis sind – tatsächlich also The What?
„Tartare Noir“ heißt nun die Produktion, mit der Beier selbst am 15. September die Spielzeit eröffnet. Eine Uraufführung nach Motiven von Thomas Peckett Prest, eine „politische Groteske“. Nach den Eröffnungsproduktionen „Schiff der Träume“ und „Hysteria“ ahnt man, dass es komisch wird – und jegliches Lachen irgendwann schockgefriert.
Unmittelbar nach der Trump-Wahl haben Karin Beier und ihre Chefdramaturgin Rita Thiele zudem Elfriede Jelinek kontaktiert, mit dem Wunsch, sich doch mit diesem Ereignis auseinanderzusetzen. Das gehe auf keinen Fall, habe Jelinek geantwortet, ihr falle dazu nichts ein. Ein paar Wochen später schickte sie mehr als 90 Seiten. Der Hamburger Regisseur Falk Richter wird das neue Stück „Am Königsweg“ – inspiriert von Trump und von der Muppet-Show – am 28. Oktober auf die große Bühne bringen.
„Effie Briest“ und „Anna Karenina“
Richter arbeitet unter Karin Beier das erste Mal am Schauspielhaus, das hat er mit dem jungen Regisseur Jan Philipp Gloger gemeinsam, der im kommenden April das neue Stück von Ayad Akhtar inszenieren wird. Nach „Geächtet“ und „The Who and the What“ ist „Junk – The Golden Age of Debt“, das von den Anfängen des Turbokapitalismus erzählt, die dritte deutsche Erstaufführung eines Akhtar-Stoffes am Schauspielhaus. Auch Martin Crimp liefert ein neues Stück. Die Uraufführung mit dem Arbeitstitel „Schlafende Männer“ bringt Katie Mitchell im März 2018 im Malersaal heraus.
Während der enorme und stets ausverkaufte Erfolg „Effi Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ von Clemens Sienknecht und Barbara Bürk im Malersaal-Repertoire bleibt und um „Anna Karenina – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ (Uraufführung am 11. November) ergänzt wird, geht der Preis für den längsten Stücktitel in der kommenden Saison an das Junge Schauspielhaus: „Der gewissenlose Mörder Hasse Karlsson enthüllt die entsetzliche Wahrheit, wie die Frau über der Eisenbahnbrücke zu Tode gekommen ist“ wird in der Regie von Isabel Osthues am 14. September die Spielzeit in der Gaußstraße eröffnen.
Studio Braun inszeniert „Der goldene Handschuh“
Ganz verzichtet allerdings auch das Schauspielhaus nicht auf Produktionen, die fast unvermeidlich zum Publikumserfolg werden dürften: Heinz Strunks Hamburg-Bestseller „Der goldene Handschuh“ feiert in einer Inszenierung von Studio Braun am 18. November Premiere im Großen Haus. Karin Beier nimmt sich im Januar Shakespeare vor, den „Kaufmann von Venedig“, den sie selbst zwar für „überinterpretiert“ hält und sich bislang, gesteht sie, schlicht „nicht zugetraut“ hatte. Nun aber wagt sie es, bevor im Februar Frank Castorf ans Schauspielhaus zurückkehrt, mit Eugene O’Neills „Der haarige Affe“.
Christoph Marthaler hat sich gewünscht, vor allem mit den Frauen des Ensembles ein neues Stück zu erarbeiten. Der Wunsch wird ihm mit dem Abend „Übermann oder Die Liebe kommt zu Besuch“ erfüllt. Karin Henkel inszeniert (in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen) Hauptmanns „Rose Bernd“, Dušan David Pařízek Ibsens „Baumeister Solness“. Und der Malersaal eröffnet die Spielzeit mit einem Stück des südafrikanischen Autors und Regisseurs Mpumelelo Paul Grootboom, das auf den Ereignissen rund um den Sprintstar Oscar Pistorius beruht, der 2013 seine Lebensgefährtin erschoss.
Bastian Reiber verlässt das Ensemble und geht an die Berliner Schaubühne, wo sein Mentor Herbert Fritsch Hausregisseur wird. Dafür kommen Tilman Strauß von der Schaubühne und Matti Krause vom Schauspiel Stuttgart.
Die Saison ist vielversprechend und sie spart dabei nicht an Herausforderungen. Der Bedarf an Energiegetränken für die Intendantin dürfte auf Vorjahresniveau bleiben.
Deutsches Schauspielhaus, Karten für die Saison 2017/18 ab Ende Juni unter der Rufnummer 24-87-13.