Hamburg . Michael Thalheimer gibt mit Kleists „Der zerbrochne Krug“ an diesem Sonnabend sein Schauspielhaus-Debüt.

Beim Namen Michael Thalheimer werden viele Hamburger nostalgisch. So mancher, den er zu ­Beginn der Ära Ulrich Khuon im Jahr 2000 am Thalia Theater mit seiner radikalen „Liliom“-Inszenierung verstörte, wurde später Fan seiner hochkonzen­trierten Klassiker-Kondensate. Für Thalheimer waren die elf Hamburger Inszenierungen jener Zeit wegweisend. Nach längerer Pause inszeniert er wieder in Hamburg, diesmal an Karin Beiers Schauspielhaus. Der Dramen-Experte, berüchtigt für seine Unerbittlichkeit, inszeniert mit Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“ jetzt aber eine Komödie. Premiere ist an diesem Sonnabend.

Thalheimer trägt Schwarz, wie meistens. In Hamburg fühlt er sich jetzt schon wieder wohl. „Ich war ein wenig nervös. Ich bin Rückkehrer, einige erinnern sich und daraus resultieren Erwartungen. Ich kann vieles, aber diese erfüllen, kann ich nicht.“ Er will sich nicht wiederholen. Natürlich. Muss er auch nicht. Schließlich hat das Publikum den Weg des Regisseurs in zahlreichen Gastspielen aus Frankfurt oder Berlin auch in Hamburg weiterverfolgt. Den überaus bekannten, ebenfalls mit Zuschauererwartungen behafteten „Krug“, so gibt er zu, hätte er vor zehn Jahren noch links liegen gelassen.

Der Autor

„Mich interessiert nicht die Komödie, obwohl sie so bitter ist, wie kaum eine andere, die ich kenne, mich interessiert Kleist. Die Komödie ist zweifelsohne vorhanden, die vermeide ich auch nicht, aber mein Fokus ist doch eher der Weltschmerz des Autors“, erzählt Thalheimer und nippt in der Kantine an schwarzem Kaffee. „Ein Autor, der nicht mit sich und der Welt zurechtkam, ein tragisches Ende nahm und freiwillig aus dem Leben schied.“ Er will den beliebten Klassiker nicht virtuos, auf Lacher zugespitzt inszenieren, sondern etwas Härteres, Schmerzhafteres über Dorf, Opfer, Täter und Justiz erzählen.

Die Partitur des „Kruges“ folgt einer antiken Struktur. So wie Sopho­kles die Wahrheitsfindung des antiken Ödipus vom Ende her erzählt und Ödipus schließlich seine Schuld begreift, wird auch hier ein Tathergang ermittelt. Nur, dass der Dorfrichter Adam ja von ­Anfang an weiß, dass er dem braven ­Evchen nachgestellt, sich gewaltsam ­Zutritt zu ihrer Kammer verschafft hat, auf der Flucht bei einem Fenstersturz seine Richterperücke verlor und den Krug ihrer Mutter zerbrach. Doch er ist findig mit Ausflüchten, bis ihm der ­Gerichtsrat Walter und der Schreiber Licht auf die Schliche kommen.

Stück steckt voller Anspielungen

Das Stück steckt voller Anspielungen. In den Namen von Adam und ­Evchen verbergen sich Zitate aus der Bibel. Starke Argumente für Thalheimer, sich mit dem Stoff zu befassen. „Wie geht der Mensch mit dieser Vertreibung aus dem Paradies um? Was bedeutet die Lüge? All das liegt in diesem Stück kompakt und eng beieinander.“ Schauplatz des Geschehens ist eine klaustrophobische Dorfgemeinschaft, in der jeder jeden zu verachten scheint. „Es geht ­darum, in der kleinen Welt, die große Welt zu erkennen“, sagt Thalheimer.

Das umfasst auch die gesellschaft­liche Hierarchie einer höhergestellten Bürgerschicht und jener der Unterprivilegierten. „Die da unten sind chancenlos und bleiben es. Die da oben sind verantwortungslos. Schon ist der Stoff zeitgenössisch, ohne dass ich das plakatieren muss.“ Man denkt an kriminelle und trotzdem freigesprochene ­Industriebosse, an korrupte Politiker, die ungestraft davonkommen. „Dorfrichter Adam hat ja etwas Gefährliches, Animalisches. Er ist vom Trieb gesteuert. Das kennen wir ja“, so Thalheimer. „Wir leben mittlerweile in einer Welt, in der die Lüge offensichtlich ist. Man gibt sich keine Mühe mehr, gut zu lügen. Man macht dreist einfach weiter.“

Mehrere Varianten beim Schluss

Auf der anderen Seite steht Evchen, das Opfer, das am Ende aus der Dorfgemeinschaft verstoßen wird. Sie weiß ­um die Konsequenzen ihres Handelns, aber sie entscheidet sich ­bewusst dafür, die wahren Begebenheiten vor Gericht zu enthüllen. Darin wiederum liege ihre Stärke, meint Thalheimer. Beim Schluss hat Kleist mehrere Varianten angeboten, und nicht in allen wird der Dorfrichter seiner gerechten Strafe zugeführt. Es fällt nicht schwer zu erraten, dass sich Thalheimer für die radikalste entscheidet, die bitterste und brutalste.

Es sind noch immer die großen Themen aus Antike und Klassik, die Stoffe von Sophokles, Kleist, Schiller und Goethe, die Thalheimer inspirieren. „Mich zieht es zur Antike und Klassik, weil da große Themen, eine große Welt verhandelt wird. Da ist etwas Archetypisches in den Stücken. Das ist für mich der große Reiz.“ Bei Kleist kommt die kunstvolle Sprache hinzu. „Ich vermisse das bei neuzeitlichen Stücken häufig. Das ist mir zu banal.“ Der große Stückekondensierer hat diesmal nur wenig ­gestrichen.

Wiederholen kommt für ihn nicht infrage

Seit Jahren inszeniert sich Thalheimer durch den klassischen Kanon, der bald erschöpft ist. Wiederholen, das kommt für ihn nicht infrage, dann streut er lieber mal Ausflüge in zeit­genössische Texte von Autoren wie Elfriede Jelinek oder Jon Fosse ein. Der Glaube Thalheimers an das Theater ist ungebrochen. „In der Einfachheit liegt eine enorme Stärke des Theaters. Eben nicht zu versuchen, Moden oder dem Zeitgeist hinterherzurennen. Es geht darum, sich auf die Einfachheit zu besinnen und ihr zu vertrauen.“ Diese Stärke des Theaters soll sich auch in seiner Inszenierung des „Zerbrochnen Krugs“ beweisen.

„Der zerbrochne Krug“ Premiere Sa 25.3., 20.00, bis 14.5., Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten zu 10,- bis 69,- unter T. 24 87 13