Hamburg. Die meisten stammten aus Afghanistan – 2016 waren 959 minderjährige Asylbewerber in staatlicher Obhut.
Gut jeder dritte minderjährige Flüchtling, der sich im vergangenen Jahr in der Obhut Hamburger Behörden befand, ist verschwunden. 2016 seien in der Hansestadt 287 unbegleitete minderjährige Geflüchtete vermisst gemeldet worden, heißt es in einem Schreiben von Sozialsenatorin Melanie Leonhard an Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (beide SPD). Das sind zahlenmäßig zwar weniger als im Jahr zuvor, als 841 Jugendliche verschwanden. 2015 lag die Zahl der in Obhut genommenen Jugendlichen aber gut zweieinhalbmal höher.
Einer Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Abgeordneten Jennyfer Dutschke zufolge wurden im vergangenen Jahr 959 unbegleitete minderjährige Ausländer vorläufig in die Obhut des Fachdienstes Flüchtlinge genommen – nach 2572 in 2015. Den offiziellen Angaben zufolge stammten die meisten der verschwundenen Flüchtlinge aus Afghanistan (72), Somalia (59) und Marokko (32).
So werden junge Flüchtlinge verteilt
Die Behörden müssen seit 1. November 2016 das Alter eines jeden jugendlichen Flüchtlings überprüfen. Die Minderjährigkeit werde entweder durch eine Kontrolle von Ausweispapieren, durch eine qualifizierte Inaugenscheinnahme oder durch eine ärztliche Untersuchung festgestellt. Nach diesen Verfahren reduzierte sich die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge, die 2016 in Hamburg in Obhut genommen wurden, von zunächst 1265 um 306 Personen.
Nach Darstellung von Sozialsenatorin Melanie Leonhard verschwanden vorwiegend ältere Jugendliche, „die noch während der vorläufigen Inobhutnahme die Erstversorgungseinrichtung“ verlassen hätten. Ihre Behörde gehe daher davon aus, dass sich die jungen Flüchtlinge möglicherweise „einer Altersfeststellung oder Verteilung in ein anderes Bundesland entziehen wollten beziehungsweise die Reise zu einem geplanten Fluchtort fortgesetzt haben“, heißt es in dem Schreiben.
Gesetz fordert intensive Betreuung
Die FDP-Abgeordnete Jennyfer Dutschke sieht das kritischer und wirft der Sozialbehörde dagegen Spekulation über das Verschwinden von Flüchtlingen vor. „Dass rund 67 Prozent der Jugendlichen innerhalb der ersten zehn Tage verschwunden sind, stützt zwar die Vermutung, dass Hamburg nicht ihr Ziel war. Doch 15 Prozent der verschwundenen Jugendlichen befanden sich mehrere Monate und teilweise Jahre in Hamburger Einrichtungen“, sagte Dutschke und fügte hinzu: „Hier ist vollkommen unklar, ob sie tatsächlich weitergereist sind oder ob ihnen etwas zugestoßen ist.“
In Hamburg ist der Landesbetrieb Erziehung und Beratung für Unterbringung und Schutz der jungen Menschen verantwortlich. Wenn ein minderjähriger unbegleiteter Flüchtling in der Hansestadt eintrifft, wird er in einer sogenannten Erstversorgungseinrichtung aufgenommen. Zudem werden Flüchtlinge bis zu ihrem 18. Lebensjahr nicht abgeschoben. Dem Gesetz zufolge müssen sie intensiv betreut werden. So wurde mit dem Landesbetrieb ein Betreuungsschlüssel „Ein Pädagoge für drei Minderjährige“ vereinbart.
Minderjährige dürfen Einrichtungen verlassen
Allerdings – das geht aus einer früheren Senatsantwort auf eine parlamentarische Anfrage hervor – gilt die Inobhutnahme eines Minderjährigen als Verwaltungsakt, „der nicht mit Freiheitsentzug verbunden ist“. Deshalb dürften die Minderjährigen die Einrichtung, in der sie untergebracht seien, jederzeit verlassen. Zudem unterlägen sie oftmals keiner Residenzpflicht. Sofern ein Jugendlicher nicht zur verabredeten Zeit in die Einrichtung zurückkehre und eine Kontaktaufnahme scheitere, werde bei der Polizei eine Vermisstenanzeige aufgegeben, so die Behörde.
Dem Senat zufolge wurde 2016 in 58 Fällen das Alter eines jugendlichen Flüchtlings durch eine ärztliche Untersuchung festgestellt. In 32 Fällen habe sich dabei die Volljährigkeit des Untersuchten herausgestellt. Die Kosten für derartige Untersuchungen lagen 2016 bei rund 47.000 Euro.
Die FDP-Abgeordnete Jennyfer Dutschke forderte den rot-grünen Senat zu mehr Anstrengungen auf, das Schicksal der verschwundenen Jugendlichen aufzuklären. Sozialsenatorin Melanie Leonhard müsse zudem erklären, warum noch immer minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Hamburg untergebracht und nicht in andere Bundesländer verteilt würden, obwohl die Stadt die durch den Königsteiner Schlüssel vorgeschriebene Quote bereits mit 127,6 Prozent übererfülle.