Hamburg. Das Abendblatt fragt die Menschen in der Stadt, worüber sie sich ärgern und was ihnen gefällt. Teil 2: Fleischer Dirk Hübenbecker.

Er hat seine Plage mit immer mehr behördlichen Auflagen und steuerlicher Bürokratie. Er macht sich Sorgen über das Sterben kleiner, inhabergeführter Ladengeschäfte in Hamburg und wundert sich, dass die Leute darüber klagen – aber in großen Supermärkten einkaufen. Er versteht nicht, warum es trotz hoher Arbeitslosenzahlen so schwer ist, Auszubildende und zuverlässige Angestellte zu finden.

Dennoch hat Dirk Hübenbecker Spaß an seiner Arbeit im eigenen Geschäft. Der 47 Jahre alte Hamburger ist Fleischermeister in fünfter Generation. Gemeinsam mit seinen Eltern betreibt er zwei Fachgeschäfte in Groß Flottbek und Nienstedten sowie einen Stand auf dem Blankeneser Wochenmarkt. Der HSV-Fan wohnt in Schenefeld, ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Menschen wie Dirk Hübenbecker kommen in dieser Gesprächsreihe zu Wort. Es sind Menschen, die kein politisches Amt bekleiden, keine Interessen von Vereinen, Verbänden oder Berufsständen vertreten – aber denen etwas unter den Nägeln brennt.

Herr Hüben­becker, was bewegt Sie gerade?

Dirk Hübenbecker: Eine ganze Menge. Aktuell der Umbau der Waitzstraße. Dort haben wir ja unser Geschäft. Die Bauarbeiten sind seit einem halben Jahr im Gange und sind wohl erst im Herbst abgeschlossen.

Dann passiert ja wenigstens etwas.

Hübenbecker: Vorher sah es aus wie in den 1950er-Jahren. Nun wird vieles besser. Mich ärgert es, dass viele Leute nur am Meckern sind, alles schlechtmachen und nicht das Positive sehen. Das betrifft besonders die sogenannte gesetzte Jugend, also Bürger zwischen 40 und 60 Jahren. Ich bin gerade aus dem Urlaub auf Kuba zurückgekommen. Wer dort war, weiß, wie gut es uns hier geht.

Was nervt Sie sonst noch?

Hübenbecker: Da wir gerade beim Stichwort Baustellen sind. Planung und Koordination sind alles andere als optimal. In der Stadt und außerhalb. Bald gibt’s neue Baustellen auf der Autobahn 1 – gerade dann, wenn viele an die Ostsee fahren. Ich weiß, dass in den Behörden keine Idioten sitzen. Aber das Ganze ist manchmal schwer zu verstehen.

Wofür fehlt Ihnen sonst noch Verständnis?

Hübenbecker: Ich habe für meinen Laden lange keine Gesellen und Verkäufer gefunden, trotz intensiver Suche und teurer Anzeigen. Dabei haben wir doch viele Arbeitslose. Vielleicht wirkt ein Fleischerfach­geschäft wenig sexy? Die Leute haben Vorurteile. In vielen Köpfen ist verankert, dass unser Beruf mit frühem Aufstehen, schwerem Tragen, rauem Umgangston und einer kühlen Umgebung verbunden ist. Das stimmt heutzutage nicht mehr. Tatsächlich ist es ein interessanter, vielseitiger Beruf.

So wird man Fleischer

Sind viele Menschen faul?

Hübenbecker: So drastisch würde ich es nicht sagen. Ich kenne aber Gastronomen, die seit Monaten Kellner und Köche suchen, jedoch keine finden. Aus meiner Sicht hat sich die Mentalität gewandelt. Motto: möglichst viel Freizeit und dennoch viele Taler auf dem Konto. Größtmöglicher Ertrag bei geringem Aufwand. Auch der Neid hat meines Erachtens zugenommen. Dabei ist die Devise unserer Vorfahren unverändert gültig: ohne Fleiß kein Preis. Über meine Erfahrungen im Ehrenamt als Lehrlingswart unserer Innung könnte ich ein Buch schreiben.

Sagen Sie mal in Kürze ...

Hübenbecker: Die Klassen in der Berufsschule sind nicht mehr voll und mussten teilweise zusammengelegt werden. Heute haben wir etwa 15 Lehrlinge pro Jahr. Glück­licherweise ändert sich das allmählich ein bisschen. Vor zehn Jahren waren es doppelt, vor 20 Jahren dreimal so viele. Und noch eine Zahl: 1957 hatten wir 1700 Fleischerläden in Hamburg, in den 70er-Jahren 1200. Heute gibt es maximal 100.

Sind die Schlachtertheken in den Supermärkten mitgerechnet?

Hübenbecker: Nein, die kommen hinzu. Aber damit sind wir bei einem weiteren Thema, das mir Sorgen macht. Jeder weiß, dass kleine Läden immer seltener werden. Alle Welt jammert darüber, geht aber letztlich doch in den Supermarkt, ins Einkaufszentrum oder ins Internet. Da soll man sich letztlich nicht wundern. Jeder wünscht sich einen gesunden Branchenmix, aber kaum jemand tut etwas dafür.

Apropos: Was verwundert Sie aktuell noch?

Hübenbecker: Wirklich ärgerlich und immer schlimmer ist der Bürokratendschungel. Ständig gibt es neue Auflagen, Verordnungen und Gesetze. Für uns kleine Selbstständige ist der Geschäftsalltag komplizierter denn je. Ich könnte eine Person abstellen, nur um den ganzen Behördenkram zu erledigen. Manches ist sinnvoll, eine Menge überflüssig. Unter dem Strich kostet das Zeit, Energie und Arbeitsplätze.

Beispiele?

Hübenbecker: Wir müssen ein umfangreiches Zusatzstoffe-Buch parat haben. Nach diesen Papieren hat bei uns noch nie jemand gefragt. Und seit ein oder zwei Jahren müssen Mitarbeiterbögen geführt werden. Das kann Sinn machen, ist aber arbeitsintensiv. Oder wenn ich ein Steak verkaufe, sind sieben Prozent Mehrwertsteuer enthalten. Liefere ich es aus, und es liegt ein Plastikbesteck dabei, sind 19 Prozent fällig. Es gäbe viele weitere Beispiele. Meine Meinung: Wer fleißig ist, wird gemolken. Der Staat wirft uns Knüppel zwischen die Beine.

Trotzdem machen Sie einen lebensfrohen Eindruck.

Hübenbecker: Das bin ich ja auch, sehr sogar. Das Gute an Hamburg ist das Naturell der Menschen hier. Hat man einmal einen guten Draht, hält er ewig. Stänkerfritzen gibt es überall, die meisten Kunden allerdings sind aufgeschlossen, fröhlich, verlässlich und toleranter.

Über Ihren HSV wollen wir heute nicht sprechen. Was sagen Sie zur Elbphilharmonie?

Hübenbecker: Mich erfreut, dass es mit dem HSV endlich wieder aufwärts geht. Vorher möchte ich noch sagen, dass ich traurig bin über die Profisportarten, die in Hamburg in letzter Zeit beerdigt wurden. Auch das Nein zu Olympia ist eine Schande. Und nun zur Elbphilharmonie. Anfangs haben viele geflucht, zu Recht, heute sind fast alle stolz wie Bolle. Neulich habe ich mehr als drei Stunden im Internet gewartet, dann hatte ich zwei Tickets à 80 Euro für August ergattert. Fast jeder, dem ich davon erzähle, will sie mir abkaufen. Doch haben die keine Chance. Ich will da hin.