Hamburg. Für Amir L. waren seine Kampfkünste das kompromisslose Mittel der Wahl, um eine Auseinandersetzung zu entscheiden.

Es war wie eine Szene aus einem Actionfilm. Die, in der ein in etlichen Kampfkünsten geschulter Teufelskerl einen Widersacher niederstrecken will. Er klammert sich an die Dachreling des Autos, in dem der vermeintlich Böse sitzt, holt Schwung und tritt durch das Fenster mit Wucht mit beiden Beinen zu. Der Gegner ist außer Gefecht gesetzt, vielleicht sogar aus dem Wagen geschleudert. Und der Rächer obsiegt.

Im Blockbuster mag so ein super-athletischer Körpereinsatz mit Knock-out-Potenzial seine Berechtigung haben. Schließlich zählt da knallharte Action mehr als umsichtige Deeskalation. Aber in Hamburgs Straßenverkehr? Natürlich vollkommen fehl am Platze. Doch für Amir L. (Name geändert) waren seine Kampfkünste das kompromisslose Mittel der Wahl, um eine Auseinandersetzung zu entscheiden. „Wenn mich einer provoziert …“, versucht der 21-Jährige, ein muskelbepackter Kerl im engen T-Shirt mit den Hobbys Krafttraining und Kampfsport, seine trittfeste Aktion zu erklären und setzt hinzu: „Ich bin auch nur ein Mensch.“

Ein Autofahrer stellte den anderen zur Rede

Auslöser für den Konflikt vom Herbst vergangenen Jahres, der den Hamburger unter anderem wegen Körperverletzung vor Gericht gebracht hat, war eine Verkehrssituation, wie sie täglich unzählige Male vorkommt. Wegen einer Baustelle verengte sich die Straße je Richtung von zwei Spuren auf eine; es galt das Reißverschlusssystem, um sich einzufädeln. Doch Amir L. sagt, er sei „geschnitten worden. Ich musste eine Vollbremsung machen. Zwei andere Autos fuhren fast auf mich auf.“ Mit einem anderen Autofahrer begann eine Auseinandersetzung.

„Da habe ich eine Faust ins Gesicht bekommen“

„Ich geriet etwas in Rage.“ Der andere habe ihn gewissermaßen verfolgt und mit der Lichthupe provoziert. „Es war dramatisch.“ Also hielt der 21-Jährige an und stellte den anderen zur Rede. „Ich steckte den Kopf durch sein Beifahrerfenster und fragte ihn, was das solle. Da habe ich direkt eine Faust ins Gesicht bekommen.“ Die Richterin wundert sich: „So mit richtig langem Arm über die Beifahrerseite?“ Der Angeklagte erzählt ungerührt weiter. Es sei zur Rangelei gekommen, der andere Autofahrer habe immer weitergeschimpft. Weil die Situation eskaliert sei, sei er „richtig in Rage geraten“, schildert Amir L. „Und dann habe ich mich an der Dachreling des anderen Wagens festgehalten und mit den Füßen voran ins Auto gestoßen.“

Bettina Mittelacher
schreibt jede
Woche über einen
außergewöhnlichen
Fall
Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall © HA | Andreas Laible

Ein derartiger Zornesausbruch, eine solche Aggression: „Finden Sie das richtig?“, fragt die Richterin den Angeklagten. Dass einer sich einfädelt und es dann etwas eng wird, sei doch ein normaler Vorgang im Straßenverkehr. „Dann müssten Sie ja 20-mal am Tag in Rage sein.“ Mit Blick auf das breite Kreuz und den Bizeps des Angeklagten möchte sie wissen: „Können Sie sich vorstellen, dass ein anderer sich bedroht fühlt, wenn Sie sich in das Fenster reinbeugen?“ Erstmals wirkt Amir L. nachdenklich. „Ja, schon“, räumt er ein.

Der Mann, den er verletzt hat, erzählt als Zeuge von der Vollbremsung des Angeklagten, von Drohgebärden und einer Rangelei. „Dann hechtete er sich mit voller Wucht, die Füße vorweg, in meinen Wagen.“ Der 52-Jährige trug eine Rippenprellung davon. „Ich hatte mehrere Wochen Schmerzen.“ Am Ende des Streits habe der Angeklagte noch gedroht: „Das klären wir mit meinen Kumpels.“ Das Verhalten von Amir L. bezeichnet der Zeuge als „sehr aggressiv. So etwas habe ich noch nie erlebt. Das kennt man nur aus Filmen.“

Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30 Euro

Wegen der Körperverletzung verhängt das Gericht schließlich eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30 Euro. Außerdem wird dem Angeklagten noch bis Oktober der Führerschein entzogen. Angesichts des aggressiven Verhaltens dränge sich eine solche Maßnahme auf, so die Richterin. „Sie haben sich als Rächer der im Straßenverkehr Geschnittenen aufgespielt. Das war Wildwest auf Hamburgs Straßen.“