Hamburg. Haftverschonung – 68-Jährige muss Wiedergutmachung zahlen. 24 Vorstrafen hat die Seniorin in ihrem Leben angehäuft.

Versprechungen zu machen und andere hinzuhalten hat sie geradezu zur Kunstform entwickelt. Und auch um eine Ausrede war sie nie verlegen. So hat sich Marita R. (Name geändert) durchs Leben gemogelt, seit Jahrzehnten schon. Nur noch drei Euro auf der Naht? Ein Betrag, von dem man sich nicht einmal eine Busfahrt ans andere Ende der Stadt leisten kann? Für die ­68-Jährige kein Hindernis. Sie tourte gleich ins Ausland, Urlaub im Hotel und Wellness inklusive.

Als erfahrene Betrügerin kennt sie die Folgen

Schön waren diese zwei Vergnügungswochen über Weihnachten und Silvester 2014. Doch musste die Rentnerin ahnen, dass sie trotz aller Chuzpe mit ihrer Tour auf die Dauer nicht durchkommt. Als erfahrene Betrügerin kennt sie das Leben, seine Tücken und seine unerfreulichen Konstanten. In ihrem Fall heißen diese: Anzeigen, Anklagen, Prozesse, Strafen – und auch immer mal wieder eine Zeit im Knast. 24 Vorstrafen hat die 68-Jährige in ihrem Leben angehäuft, die erste liegt 37 Jahre zurück, die letzte fünf.

Jetzt sitzt die Hamburgerin vor ihren Richtern, eine Frau mit blassem Gesicht und müden Augen und doch um Haltung bemüht. Sie hofft, dass sie im Berufungsprozess vor dem Landgericht um eine Gefängnisstrafe herumkommt. In der Vorinstanz, beim Amtsgericht, ist sie noch im August vergangenen Jahres zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden – ohne Bewährung. Sie habe um ihre Zahlungsunfähigkeit gewusst und dennoch die Reise für 1470 Euro angetreten, hielt ihr seinerzeit die Richterin vor, die im Zusammenhang mit dem Urlaub von „reinen Luxusanwendungen“ sprach. Damals hatte die Angeklagte noch versucht, sich damit herauszureden. Jetzt, im zweiten Anlauf, gesteht Marita R. ohne Umschweife ihren Betrug.

Wenig Spielraum für Annehmlichkeiten

„Ich musste einfach mal weg, weil ich nicht mehr konnte“, sagt die Angeklagte leise. Die Tage hätten für sie wie eine Kur sein sollen. 425 Euro Rente bezieht die Mutter zweier erwachsener Kinder, darüber hinaus bekommt sie Grundsicherung, um ihre Miete zahlen zu können. Viel Spielraum für Annehmlichkeiten ist da nicht mehr drin. Als der Reiseveranstalter nachhakte, weil das Geld für die zweiwöchige Reise nicht bei ihm eintraf, log sie ihm vor, sie habe die Summe überwiesen. Schließlich genehmigte der Reiseleiter ihre Tour. Und zu Weihnachten, als immer noch kein Geld da war, brachte er es nicht über das Herz, sie des Hotels zu verweisen. So blieb die 68-Jährige volle zwei Wochen. Inklusive Verwaltungs- und Gerichtskosten entstand dem Veranstalter ein Schaden von rund 3000 Euro.

„Warum sollen wir glauben, dass Sie so etwas nie wieder machen“, will der Vorsitzende Richter wissen. „Aus gesundheitlichen Gründen, weil ich keine Kraft mehr habe“, antwortet die Angeklagte mit müder Stimme. Vor zehn Jahren wurde bei ihr Darmkrebs dia­gnostiziert; nach mehreren Operationen hat sie nun Beschwerden an anderen Organen. Zuletzt habe sie auch noch an Depressionen gelitten. Deshalb habe sie auch die Reise gebucht.

Bettina Mittelacher
schreibt jede
Woche über einen
außergewöhnlichen
Fall
Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall © HA | Andreas Laible

3000 Euro Schaden sind ja nicht gerade wenig, überlegt der Kammervorsitzende. Da sei die Frage, wie viel sie abzahlen könne. „Ein bisschen was kann ich schon zusammensparen“, verspricht Marita R. „Ich esse ja nicht mehr so viel und habe aufgehört zu rauchen.“

Nicht nur der Verteidiger plädiert auf die Aussetzung der Strafe zur Bewährung. Auch die Staatsanwältin ringt sich zu diesem Antrag durch, unter anderem, weil die Tat länger zurückliegt, die Angeklagte ein fortgeschrittenes Alter erreicht hat und sehr krank ist. „Kann man“, fragt sie, „so jemanden ins Gefängnis stecken?“

Bei der nächsten Tat kommt sie in Haft

Nein, das kann man nicht, entscheidet das Gericht. Als Auflage für die sechs Monate Haft mit Bewährung erhält Marita R. unter anderem die Weisung, mindestens 900 Euro vom entstandenen Schaden wiedergutzumachen, jeden Monat in Raten von wenigstens 30 Euro. Aber bei der nächsten Tat, das sei sicher, „wandern Sie in den Knast“, so der Kammervorsitzende.