Hamburg . Ein Mann prügelt auf einen Bettler ein, schlägt ihn noch, als er vor Schmerzen schreit. Wer der Täter ist, bleibt mysteriös.

Jeder Schritt ist eine Qual. Schwer auf seine Krücken gestützt humpelt der junge Mann zum Gerichtssaal, ein extrem zierlicher Typ mit eingefallenen Wangen und müden Augen. Er, der auf Hilfe gehofft hatte, hat nicht Unterstützung erfahren, sondern Gewalt. Der 20-Jährige wurde Opfer; geschlagen, getreten und dabei so schwer verletzt, dass er sich einen komplizierten Beinbruch zuzog und noch viele Monate auf Gehhilfen angewiesen sein wird.

Nicolae L. hatte vor einem Supermarkt gesessen und gebettelt. Es war eine schüchterne Bitte um milde Gaben – die einen Passanten offenbar bis aufs Blut reizte. Der Mann hämmerte auf den Obdachlosen ein, auch als das Opfer schon längst hilflos am Boden lag und vor Schmerzen schrie.

Angeklagter wurde auf Fotos erkannt

Wer tut so etwas? Woher kommt dieser Hass auf einen Fremden, ein glühender Zorn, der sich in Gewalt entlädt?

An dem Mann, von dem man sich vielleicht eine Antwort auf diese Fragen erhofft hatte, prallen alle Vorwürfe ab. Denn Stefan Z. (Name geändert), wegen der brutalen Attacke vom September vergangenen Jahres vor dem Amtsgericht angeklagt, weist alle Vorwürfe von sich. „Das war ich nicht“, beteuert der 28-Jährige. „Ich war noch nicht mal in Hamburg.“

Doch Zeugen des Übergriffs hatten den wegen Körperverletzung vorbestraften Hamburger aus einer Vielzahl von Fotos bei der Polizei herausgepickt. Markantes Äußeres mit kahl rasiertem Schädel, Bobybuilder-Statur und bemerkenswert braun gebranntem Teint – so einen auffälligen Kerl hatten Passanten als den Schläger beobachtet. Und diese Attribute treffen auch auf Stefan Z. zu. Dazu trägt der 28-Jährige Rauschebart. Und vor allem sind da die Tattoos, die die Arme vollständig bedecken, sich am Hals heraufziehen und den teilweise kahl rasierten Schädel zieren.

Angeklagter will in Grömitz gewesen sein

Er sei an jenem Tag mit seiner Lebensgefährtin und Freunden in Grömitz gewesen, erzählt der Angeklagte. Weil ihr Leihwagen auf dem Weg dorthin kaputtging, sei am Vormittag ein Mitarbeiter der Mietwagenfirma gekommen und habe ihm ein anderes Auto gebracht. Über diesen Vorgang gibt es ein Übergabeprotokoll.

Außerdem hat seine Freundin im Ort Geld abgehoben, der Kontoauszug beweist dies. Wie auch Fotos vom Strand und vom Frühstück im Hotel an der Ostsee, die er dem Gericht vorlegt und die jeweils das Datum des Tattages zeigen. Doch für die Mittagszeit, als der Überfall geschah, hat der Angeklagte jedenfalls kein unabhängiges Alibi. Zudem gebe es Zeugen, die ihn wiedererkannt hätten, stellt der Amtsrichter fest.

Kein Mensch hat Schläge verdient

„Das kann nicht sein“, protestiert der 28-Jährige. Und wenn dann auch noch der Täter, wie eine Zeugin laut Akte gehört hat, „schreit, er sei von den Hells Angels, dann ist der ein Vollidiot“. Er selber habe zu dem Rockerclub keine Verbindung. „Außerdem würde ich niemals einen Obdachlosen, der um Geld bittet, verprügeln. Kein Mensch hat Schläge verdient, erst recht nicht, wenn er obdachlos ist.“ Eine eigene frühere Verurteilung liege sechs Jahre zurück. „Da hat sich ein Streit hochgeschaukelt. Und wir waren beide alkoholisiert“, rechtfertigt er sich.

Eine 33-Jährige, die damals Zeugin des Übergriffs auf den Bettler wurde und den Angeklagten auf Fotos als Täter identifiziert hatte, ist angesichts des Mannes in der Hauptverhandlung verunsichert. „Wenn ich ihn jetzt so sehe, würde ich sagen, dass er eher nicht der Täter war“, schränkt sie ein. Eine 27-Jährige, die seinerzeit dem Opfer zu Hilfe geeilt war, schildert, dass dem jungen Mann „heftig mehrfach gegen die Beine getreten wurde, auch als er am Boden lag. Und das Ganze am helllichten Tag!“

„Er stand ganz dicht vor mir, sodass ich Angst bekam“

Sie habe dem Opfer, das vor Schmerzen schrie, aufgeholfen. Daraufhin sei der Mann, der ihn misshandelt hatte, zu ihr gekommen. „Er stand ganz dicht vor mir, sodass ich Angst bekam. Er sagte auch was von Hells Angels und dass das sein Revier sei.“ Aus dieser kurzen Distanz konnte sie vor allem sein Gesicht genau betrachten. „Er hatte etwa meine Größe, hatte kein Tattoo am Hals. Und auch im Gesicht war da nichts, keine besonderen Merkmale. Und seine Augen waren ganz anders.“ Die Zeugin ist überzeugt: „Der Angeklagte war das nicht!“

Ein weiterer Zeuge, der ihm von der Mietwagenfirma das Auto an die Ostsee gebracht hatte, bestätigt, dass es eindeutig der 28-Jährige war, mit dem er an jenem Vormittag in Strandnähe in Grömitz gesprochen hat. „Er hat ja einen hohen Wiedererkennungswert.“

"Er trat mich"

Doch Opfer Nicolae L. meint, dass Stefan Z. der Täter sei. „Ich habe gebettelt“, erzählt der junge Mann. „Ich hatte einen Becher, in dem ich Geld gesammelt habe, und ein Stück Pappe, auf dem stand, dass ich Diabetes habe.“ Ein Auto habe angehalten, eine Frau und zwei Männer seien ausgestiegen. „Einer kam zu mir, schmiss meinen Becher, meine Medikamente und mein Schild in den Müll. Dann bekam ich von ihm einen Schlag ins Gesicht, und er trat mich, so sehr, dass ich dabei in die Luft flog.“

Schließlich stürzte der 20-Jährige zu Boden und brach sich dabei ein Bein. „Ein Knochen guckte raus.“ Den Angeklagten erkenne er an drei dezenten Narben im Gesicht, versichert das Opfer. „Aber sonst hat er sich stark verändert. Er hatte nicht so viele Tattoos und keinen Bart.“ Die Fotos vom Tattag indes belegen, dass sich Stefan Z. seitdem sein Äußeres nicht umgestylt hat. Auf diesen Bildern erkennt das Opfer den Angeklagten nicht wieder.

Zu viele Zweifel bleiben

Am Ende lautet das Urteil des Amtsrichters auf Freispruch. Zu viele Zweifel bleiben, erklärt er, nicht nur weil der Angeklagte zumindest zwei Stunden vor der Tat nachweislich an der Ostsee war. Vor allem sei da die Zeugin, die ihn dicht vor sich gesehen hatte und sich sicher war, dass Stefan Z. nicht der Schläger ist. Für den 20-Jährigen müsse die Entscheidung indes „unbefriedigend sein“, so der Richter. „Sie sind Opfer eines schlimmen Übergriffs geworden. Es gibt einen Täter, aber wir wissen nicht, wer es war.“