Hamburg. Das Abendblatt stellt die Hamburger Neubaugebiete vor. Heute Teil 5 der Serie: Oberbillwerder.

Das Luftbild zeigt eine große Acker- und Grünlandfläche. Im Süden wird diese von der S-Bahn-Linie nach Bergedorf begrenzt, im Norden vom Billwerder Billdeich. Auf bis zu 120 Hektar soll hier im tiefen Hamburger Südosten in den kommenden zehn bis 15 Jahren das Wohngebiet Oberbillwerder entstehen. Politiker träumen von dem nach der HafenCity gegenwärtig zweitgrößten Stadtentwicklungsgebiet der Hansestadt.

Böse Zungen sprechen hingegen von „Neu-Allermöhe III“ und nehmen Bezug auf die benachbarten gleichnamigen Wohnviertel. Dahinter steckt die Sorge, hier könnte sich das wiederholen, was die Allermöhe-Quartiere seit vielen Jahren wie ein Fluch verfolgt: eine Planung am grünen Tisch und anschließend Bau eines künstlichen Wohn­gebiets, das von Anfang an mit sozialen Problemen zu kämpfen haben wird.

Informationen zu dem Projekt

Betrachtet man allein die Zahlen, scheinen die Bedenken nicht unberechtigt. Bis zu 10.000 Menschen sollen später in dem aus dem Boden gestampften Wohnviertel leben. Bewohner der Umgebung kritisieren den von der Politik ausgegebenen Slogan von der „Stadt im Grünen“. Würden dort erst einmal Häuser stehen, werde das „Grüne“ verschwunden sein, monieren sie.

Zudem fürchten jene, die in Allermöhe leben, eine Zunahme des Verkehrs. Nicht ohne Grund, denn viele Oberbillwerderaner dürften ins Hamburger Zentrum pendeln und die A 25 samt Abfahrt Neuallermöhe-West nutzen. Schon heute werden an Werktagen im Durchschnitt 45.000 Fahrzeuge gezählt. Entlastung über die Bergedorfer Straße (B 5) ist nicht zu erwarten: Dort sind derzeit werktäglich durchschnittlich sogar 56.000 Fahrzeuge unterwegs.

Dorothee Stapelfeldt und Bezirksamtsleiter
Arne Dornquast bei der Auftaktveranstaltung
Dorothee Stapelfeldt und Bezirksamtsleiter Arne Dornquast bei der Auftaktveranstaltung © IBA Hamburg / Bente Stachowske

Trotzdem ist Oberbillwerder auserkoren, Hamburgs 105. Stadtteil zu werden, und dabei sollen tunlichst Fehler der Vergangenheit vermieden werden. Dazu wurden Interessierte eingeladen, sich in die Gestaltung des neuen Stadtviertels einzubringen: bei Veranstaltungen, Gesprächen mit Vereinen und Initiativen, Workshops, einer Ideenwerkstatt mit Experten und der Möglichkeit, online die eigenen Ideen vorzustellen.

Noch steht die Planung von Oberbillwerder ganz am Anfang. Im kommenden Jahr soll feststehen, wie hoch die Wohnhäuser maximal werden sollen, wo Grünflächen denkbar sind und wie die Verkehrsanbindung geregelt werden könnte. Aber erste Ideen und Vorstellungen gibt es bereits.

Besondere Vielfalt

So warnten Teilnehmer der Ideenwerkstatt davor, in Oberbillwerder könnte eine „Schlafstadt“ entstehen, weil es an Arbeitsplätzen im Quartier fehle. Deshalb soll die Planung eine Ansiedlung von Gewerbe beinhalten – Forschungseinrichtungen, Start-ups, Büroräume, Werkstätten oder kleine Läden.

Was die Art der Bebauung betrifft, so könnten die Auffassungen unterschiedlicher nicht sein. Auf der einen Seite steht der Wunsch nach Einfamilien-, Reihen- und Doppelhäusern, „um den dörflichen Charakter zu erhalten und soziale Brennpunkte, die mit Hochhaussiedlungen in Verbindung gebracht werden, zu vermeiden“, heißt es. Andere Teilnehmer der Ideenwerkstatt verwiesen auf den Verbrauch von Boden und plädierten für höhere Wohnhäuser.

Bebauung der „grünen Wiese“ umstritten

Um den Naturcharakter der Gegend zu erhalten, schlugen andere Beteiligte Spielplätze, große Parks, Fleete, „wilde“ Flächen und Gemeinschaftsgärten“ vor. Das Thema Naturschutz dürfte in den kommenden Jahren trotz der Grundsatzentscheidung für das Projekt Stadtplaner und Politik weiter beschäftigen. Gegner des Projekts fordern: „Kein Eingriff in die Natur. Die Flächen sollen erhalten bleiben und keine weitere Versiegelung stattfinden“, heißt es im Protokoll der Ideenwerkstatt.

Auch unter Stadtforschern ist die Bebauung der „grünen Wiese“ umstritten. Prof. Jörg Knieling von der HafenCity Universität fordert, für jede unbebaute Fläche genau zu prüfen, welche sogenannten Ökosystemleistungen sie erfüllt. Ist eine Fläche erst einmal bebaut, sind diese Qualitäten für immer verloren. Nicht zuletzt mahnt Knieling, sich die Kosten genau anzuschauen. Eine verstreute Siedlungsentwicklung erzeuge ungleich höhere Kosten.

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Morgen lesen Sie Teil 6 der Serie über das Holstenquartier