Hamburg. Die Tierliebe von Barbara T. scheint sogar weit über etwaige Empathie für ihre Mitmenschen hinauszugehen.

Viele Menschen haben vorzugsweise Fotos von ihren Liebsten bei sich, den Kindern, den Partnern, den Enkeln. Barbara T. (Name geändert) dagegen zeigt gern ein Bild, das demon­striert, wie sie umschwärmt wird – von einer Menge Vögel. „Und die Möwen sitzen sogar auf meinem Kopf“, erzählt die 63-Jährige stolz. Die Gefiederten, so hat sie mal gesagt, hätten für sie einen größeren Stellenwert als so mancher Mensch. Diese Einschätzung würde die Rentnerin auch heute noch so unterschreiben: „Tiere insgesamt sind mir sehr viel wert“, sagt die zierliche Hamburgerin voller Inbrunst.

Nun scheint die Tierliebe von Barbara T. sogar weit über etwaige Empathie für ihre Mitmenschen hinauszugehen. Darauf deutet die Anklage gegen die Rentnerin im Prozess vor dem Amtsgericht hin. Zum Eklat kam es demnach im September 2015 auf dem Großneumarkt. Nachdem ein Mann sie gebeten hatte, mit dem Füttern von Tauben aufzuhören, holte die 63-Jährige laut Staatsanwaltschaft ein Messer aus ihrer Tasche und drohte: „Ich stech dich ab.“

Angeklagte: Vorwürfe „vollkommen hirnrissig“

Selbstbewusst beugt sich die Angeklagte auf ihrem Stuhl vor und geht in die Offensive. Die Vorwürfe hält sie für „vollkommen hirnrissig“. Diese vermeintliche Abstrusität möchte sie unter anderem daran festmachen, dass sie „keine Tasche hatte, sondern einen Rucksack“, unterscheidet die dunkelhaarige Frau mit Nachdruck, und ihre Stimme bekommt einen schneidenden Klang. „Und ich habe keine Tauben gefüttert, sondern Möwen und Krähen.“ Weil sie für die Vögel Fleisch eingepackt hatte, habe sie ein Messer mitgenommen, um die Brocken zu zerteilen. Plötzlich trat laut ihrer Schilderung ein Mann von hinten an sie heran und pöbelte: „Tauben füttern verboten!“ Dass sie ihn bedroht haben soll, sei glatt gelogen, insistiert die Angeklagte. „Ich habe bestimmt nicht gesagt: ,Ich stech dich ab‘“, wehrt Barbara T. entrüstet ab.

Polizei: Frau wirkte „etwas desorientiert“

Sie würde sich „nie auf so ein Niveau begeben und ihn duzen“, betont die Hamburgerin. „Und ,abstechen‘ gehört nicht zu meinem aktiven Wortschatz.“ Besser würde eine Bemerkung wie „Sie haben mir gar nichts zu sagen!“ zu ihr passen, meint Barbara T. Außerdem habe sie nicht das Messer auf den Mann gerichtet, sondern es zusammengeklappt und in ihrem Rucksack verstaut – mit neuem Ziel für weitere milde Gaben. „Ich wollte zur Alster weiter und dann lieber dort Möwen füttern.“

Sie vermutet, dass der Rentner umgehend die Polizei alarmierte. „Die Beamten waren jedenfalls sehr schnell da.“ Laut Akte sagte sie seinerzeit einem Polizisten, sie habe das Messer bei sich, „um sich zu verteidigen“. Nein, protestiert Barbara T. energisch und beteuert: „Ich wollte damit lediglich das Fleisch schneiden.“

Zeugen ist die Empörung anzumerken

Der Polizist erinnert sich als Zeuge vor allem daran, dass die Frau „etwas desorientiert wirkte. Was wir sagten, war für sie nicht relevant“, erzählt er. Und der Beamte ist sich sicher, dass Barbara T. sowohl eine Tasche als auch einen Rucksack bei sich trug. „Sie machte erstaunlich viel Aufhebens darum, dass wir ihre Tasche unter keinen Umständen auf den Boden stellen sollten. Sie hatte Sorge, dass sie dann schmutzig werden könnte.“

Vor allem um den Dreck, den die Tauben hinterlassen, ging es allerdings für den Rentner, der mit der Vogelliebhaberin aneinandergeriet. Dem 76-jährigen Zeugen ist noch immer die Empörung anzumerken, wenn er an jenen September-Tag zurückdenkt. Es sei ja nun bekannt, „dass das Taubenfüttern verboten ist“, sagt der wohlbeleibte weißhaarige Mann. Doch das störe manche Anwohner vom Großneumarkt offensichtlich nicht weiter. „Da ist vor allem eine Familie, die füttert regelmäßig vom Balkon aus“, schildert der Hamburger. „Da muss man als Gast der Lokalitäten damit rechnen, dass es einem plötzlich auf den Tisch platscht.“

Richterin sieht die Aussagen als glaubwürdig an

Damals genoss er einen Eisbecher und einen Espresso, als er auf Barbara T. aufmerksam wurde. „Es waren ganz sicher Tauben, die zu der Frau angeflogen kamen“, erinnert sich der Zeuge. „Es war ein richtiger Vogelschwarm, der segelte auch über unsere Tische. Das war mir irgendwann zu viel.“

Als er die Frau auf das Fütterungsverbot hinwies, „sagte sie, ich solle verschwinden. Das gehe mich einen Dreck an.“ Daraufhin habe die Vogelfreundin in ihre Tasche gegriffen und gesagt: „Ich habe hier was für dich.“ „Ich dachte, Wunder, was da jetzt kommt.“, erzählt der 76-Jährige. „Da holte sie ein Messer hervor, hielt es in meine Richtung und sagte: Ich steche dich ab.“ Da suchte er schleunigst das Weite und alarmierte die Polizei.

Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu zehn Euro

Die Amtsrichterin verurteilt Barbara T. schließlich wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu zehn Euro. Es seien wohl vor allem Tauben gewesen, die die Angeklagte seinerzeit gefüttert hat. „Es mögen allerdings auch ein paar Möwen dabei gewesen sein.“ Obwohl Barbara T. bestritten hat, den Rentner bedroht zu haben, sehe sie dies wegen der glaubwürdigen Zeugenaussagen, die sich zu einem einheitlichen Bild fügten, als erwiesen an, betont die Richterin.

Die angedrohte Messerattacke verfüge über eine „gewisse Intensität“, schließlich habe zwischen Täterin und Opfer nur eine kurze Distanz gelegen. „Und das Messer, das Sie auf ihn richteten“, redet sie der Angeklagten ins Gewissen, „hat den bedrohlichen Charakter noch verstärkt.“ Barbara T. fehlen für einen Moment die Worte, dann reckt sie trotzig das Kinn: „Ich bin fassungslos!“ Spricht’s und rauscht von dannen...