Hamburg. Das passiert mit den Wertstoffen, die die Hamburger in gelben Säcken und Tonnen trennen.

Sebastian Gofskie (35) steuert den 25-Tonnen-Laster mühelos in den Ehestorfer Weg in Eißendorf, als sei jener ein Kleinwagen. Vor den Häusern stehen gelbe Tonnen, am Fahrbahnrand liegen gelbe Säcke. Manchmal unter einem Baum, manchmal am Bordstein. Hält das Fahrzeug, wuchten Gofskie und „Auflader“ Stefan Czempisz (50) die gelben Tonnen und Container auf den Kipper und werfen die gelben Säcke mit einem Schwung in den Schlund des Lasters, wo eine Presse die Wertstoffe zerdrückt. Am Ende ihrer Tour werden es 400 gelbe Säcke und bis zu 500 gelbe Tonnen sein, die die Männer hochgehievt haben.

Lohnt sich die Trennerei? Was passiert mit dem Inhalt der gelben Säcke? In die gelben Tonnen und Säcke gehören Wertstoffe wie Kunststoff, Metall, Verpackungen, und in Hamburg dürfen auch Bratpfannen und Töpfe hinein. Doch nicht jeder hält sich an die Regeln. Die Hamburger sind eher Trennungsmuffel: 120 Kilogramm Wertstoffe hat jeder laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2014 getrennt – damit belegt die Hansestadt bundesweit den vorletzten Platz. Nur die Berliner trennen weniger (111 Kilo pro Einwohner). Mülltrennungsstreber sind die Rheinland-Pfälzer mit 173 Kilogramm pro Einwohner. Ziel der Abfallwirtschaft ist es ohnehin, Abfall zu vermeiden. Obwohl die Hansestadt bei der Mülltrennung den meisten Bundesländern seit vielen Jahren hinterherhinkt, tut sich was laut Stadtreinigung: „Die Menge an Restmüll sinkt, weil Hausmüll zunehmend besser getrennt wird.“

Trennen ist oft mühsam

Manchmal liegt der fehlende Drang, seinen Hausmüll zu trennen, daran, dass in dicht besiedelten Wohngebieten das Trennen mühsam ist, weil die Anwohner nicht wissen, wo sie die gelben Säcke bis zur nächsten Abholung lagern sollen. Denn 13.000 Haushalte haben keine gelbe Tonne und entsorgen ihre Abfälle in rosa und gelben Säcken. Weil die Stadtreinigung die rosa Säcke mit dem Restmüll häufiger abholt als die Wertstoffsäcke, kann es dazu verleiten, auf die Sortierung zu verzichten. Allein bei 6,42 Prozent der Beschwerden bei der Hotline der Stadtreinigung über herumliegenden Müll geht es um die gelben Säcke. Tendenz steigend.

In vielen Köpfen hält sich auch 26 Jahre nach Einführung des Grünen Punkts der Verdacht: Das landet doch ohnehin alles auf einem Haufen. Dabei sind zehn private Unternehmen dafür zuständig, den Verpackungsmüll wiederzuverwerten. Die Hersteller von Verpackungen zahlen dafür Hunderte von Millionen Euro – sonst müssten Hersteller und Händler die Verpackungen nach dem Gebrauch wieder zurücknehmen. Diese Firmen lizenzieren, eine davon ist Veolia Umweltservice Dual, die Verpackungen, sammeln die Verpackungsabfälle aber nicht in allen Fällen selbst ein. In Hamburg hat die Wert GmbH, eine Tochter der Stadtreinigung, den Auftrag für das Einsammeln.

Eine der größten Anlagen Deutschlands

Sebastian Gofskie und Kollege Stefan Czempisz von der Wert GmbH erkennen schon am Gewicht des Sackes oder der Tonne, ob Dinge drin sind, die nicht hineingehören, wie Flaschen, Holz oder Baumaterial. Dann lassen sie die Tonne stehen und kleben einen Aufkleber darauf: „Stop“, steht da, „leider mussten wir eine Fehlbefüllung feststellen.“ Der Eigentümer wird dann informiert. Zeigt sich der Verursacher uneinsichtig, kann der Wertstoffbehälter eingezogen werden.

Um kurz vor sieben Uhr waren Sebastian Gofskie und Stefan Czempisz an diesem Tag am Eißendorfer Pferdeweg gestartet. Um 15.34 Uhr fahren sie mit ihrem Fahrzeug auf den Hof von Veolia an der Werner-Siemens-Straße in Billbrook. In der Sortieranlage wird sich zeigen, was die Eißendorfer in ihre gelben Säcke und Tonnen geworfen haben. 50 bis 80 Fahrzeuge laden jeden Tag ihren Abfall, der hier Wertstoff heißt, ab. 400 Tonnen aus Hamburg, Schleswig-Holstein und dem nördlichen Niedersachsen sind das jeden Tag. Es ist eine der größten Anlagen in Deutschland, die an fünf Tagen in der Woche in drei Schichten 22 Stunden lang läuft.

Anlage hat einen dummen und smarten Teil

Es riecht süßlich, aber es stinkt nicht in der mehr als 6000 Quadratmeter großen Halle, umgerechnet sind das etwa eineinhalb Fußballfelder. Im Sommer, sagt Diplom-Ingenieur und Produktionsleiter Mattias Berwanger, sei das bei den hohen Temperaturen anders. Auf dem Boden ziehen sich braune Tonbänder aus Kassetten und Tonbandgeräten quer durch die Halle. Die sind nervig, weil sie sich schlecht sortieren lassen, sich um die Förderbänder wickeln und sich auf dem Hallenboden verteilen. Genau wie Garn und Malerkrepp gehören Kassettenbänder zu den Störstoffen. Stoffe, auf die man bei Veolia gern verzichtet.

Ein Fahrer schiebt den Abfall mit einem Frontlader in verschiedene Boxen in der sogenannten Inputhalle und auf eines der Fließbänder, eine Zackenwalze reißt die gelben Säcke auf. In der benachbarten Produktionshalle vibriert und poltert es besonders laut, und am hinteren Ende dröhnen die Schredder. Die Förderbänder quietschen. Ingenieur Berwanger spricht vom dummen Teil, das ist die robustere Technik, und dem smarten Teil der Anlage. Der dumme Teil macht die Grobsortierung, da fliegen Eisenrohre raus, Nutellagläser oder Baumstümpfe – Fehlwürfe heißt das in der Fachsprache. „Dieser Teil hat eine Polizeifunktion und sortiert die schweren Teile heraus und hält sie vom Rest der Anlage fern“, sagt Berwanger.

Vieles läuft elektronisch und digital

Sie könnten sonst Schäden anrichten. In einer Art Wäschetrommel wird der Materialstrom zunächst nur nach Größe eingeteilt. Auf dem Förderband für das mittelgroße Material rast Vertrautes vorbei: Joghurtbecher, Gummibärchentüten, Frischkäseverpackungen. Milch- und Chipstüten, ein rosa Kindergummistiefel mit weißen Punkten. Eklig ist das nicht, sondern überraschend sauber. Dass der Aludeckel vom Joghurtbecher von den Maschinen nicht zu lösen ist, darüber macht sich die Verpackungsindustrie keine Gedanken. Und der Verbraucher zu Hause auch nicht. Magnete ziehen die eisenhaltigen Teile ab, wie Kronkorken, Dosen und auch nicht magnetisches Aluminium und Kupfer, nachdem sie elektrisch aufgeladen wurden. Die Metalle gehen später an Stahlwerke.

Im smarten Teil der Anlage läuft vieles elektronisch und digital. Sensoren unterscheiden zwischen Papier, Folien und Plastik. Fünf Kunststoffarten sortiert die Anlage aus. „Kunststoffverpackungen mögen alle gleich aussehen, aber es sind verschiedene Kunststoffe“, sagt Berwanger. Auf verschlungenen Wegen über vier Etagen verläuft die Sortierung, der längste Abschnitt ist 200 Meter lang. Ein Wirrwarr aus Maschinen, Fließbändern und Treppen. Die ­Zeiten, in denen Menschen am Fließband stehen und den Müll per Hand sortieren, sind fast vorbei.

Metall ist am Ende groß wie eine Münze

An diesem Tag ist ein Mitarbeiter damit beschäftigt, das nachzuarbeiten, was die Maschinen nicht können. Er fischt leicht entzündliche Batterien und Druckluftflaschen heraus. Zum Schutz trägt er gelbe Handschuhe und eine Plastikschürze. Die Sortierkabine ist gewärmt und klimatisiert. Ein ungemütlicher Arbeitsplatz bleibt sie dennoch. 20 Menschen arbeiten in der Sortierung verteilt auf drei Schichten.

Am Ende des Prozesses, wo leichte Stoffe per Luftdruck von schweren Materialien getrennt werden, Papier und Pappe und Getränkekartons und Kunststoffe mithilfe von Infrarotsensoren sortiert werden, werden die Kunststoffe zu Ballen gepresst. Ähnlich wie Heuballen, nur bunter. Die Ballen aus Shampoo- und Waschmittelflaschen duften auch in gepresstem Zustand nach frischer Wäsche. Der weiße Ballen sind Joghurtbecher. Metall ist am Ende groß wie eine Münze. Der Großteil der Stoffe, die sortiert werden, wird wiederverwertet. Ein Rest von 15 bis 30 Prozent nicht. Und doch hat dieser Rest aus nicht recycel­fähigem Abfall einen Sinn: Als Ersatzbrennstoff wird er zu Konfettigröße zerkleinert und als Brennstoff in Zement- und Papierfabriken genutzt.

China macht Pullover aus dem Kunststoff

Kritik kommt von Chemie-Professors Michael Braungart: Es befinden sich noch zu viele Schadstoffe in den Verpackungen. „Unsere Dinge sind nicht fürs Recycling gemacht.“ Toilettenpapier beispielsweise lasse sich nicht wiederverwerten. Von der Mülltrennung durch den Verbraucher hält Braungart nichts, solange die Industrieunternehmen zu wenig tun: „Vor allem in der Kupferindustrie wird noch viel zu wenig recycelt.“ Und in den roten Mülleimern der Stadtreinigung, sagt er, werde der Abfall zusammengepresst. „Da kann man später nichts mehr trennen.“

Umgewandelt, also recycelt, wird bei Veolia nicht. In Thüringen werden aus dem Hamburger Wertstoffmüll Putzeimer und Staubsaugerdüsen. Aus einer PET-Flasche kann eine neue werden, Plastikteilchen werden in China zu Fleecepullovern verarbeitet. Altpapier wird frei gehandelt. Was vom Papier wo recycelt wird, regelt der Markt. Aus Biomüll wird Biogas, und Restmüll wird zur Energieerzeugung verwendet. Mit dem geplanten Verpackungsgesetz der Bundesregierung, das die Recyclingquote für Kunststoffverpackungen bis 2022 von 36 auf 63 Prozent hochsetzt, wird es noch mehr auf die Sortierarbeit in Billbrook ankommen.