Hamburg. Dem 34-Jährigen wird sexuelle Nötigung im besonderes schweren Fall vorgeworfen. Nun kann er mit einem Freispruch rechnen.
Wahrscheinlich empfindet Behzad S. jetzt auch ein ordentliches Maß an Erleichterung. Immerhin wird der Iraner, letzter Angeklagter in den Prozessen um die Silvester-Übergriffe auf dem Kiez, am Donnerstag aller Voraussicht nach freigesprochen werden. Ein solches Urteil hat jetzt auch die Staatsanwaltschaft beantragt. Und doch ist es für den 34-Jährigen, als habe er vor allem verloren: „Egal, was ich jetzt sage: Es ändert nichts daran, was mir widerfahren ist. Mein Leben ist auseinandergerissen“, formuliert der kräftige Mann in seinem letzten Wort vor Gericht.
Mehr als 70 Tage in Untersuchungshaft
Seit mehr als einem Jahr schwebt über Behzad S. der Verdacht, er sei einer jener Männer, die in der Silvesternacht 2015/2016 an der Großen Freiheit Frauen bedrängten und begrapschten. Mehr als 400 Frauen wurden damals Opfer von Straftaten, es gab 243 Strafanzeigen, unter anderem wegen sexueller Nötigung und Raub. An drei Übergriffen soll der 34-Jährige laut Anklage beteiligt gewesen sein. Mehr als 70 Tage saß der Iraner in Untersuchungshaft, bis er wieder auf freien Fuß kam. Die zuständige Kammer am Landgericht hatte entschieden, dass die Voraussetzungen für eine weitere Zeit hinter Gittern nicht mehr gegeben seien. Und nun, am sechsten Verhandlungstag, beginnt der Staatsanwalt sein Plädoyer mit den Worten, für die Anklagebehörde stehe fest, „dass der Angeklagte freizusprechen ist“.
Behzad S. wird unter anderem sexuelle Nötigung in einem besonders schweren Fall vorgeworfen. Laut Anklage soll er zusammen mit anderen Männern aus einer größeren Gruppe heraus Frauen eingekreist haben. Dabei habe ein anderer, bisher nicht ermittelter Täter eine 21-Jährige im Intimbereich angefasst und penetriert. Ein weiterer noch unbekannter Mittäter soll der Geschädigten ihr Handy aus der Hand gerissen haben. Die anderen hätten darüber gelacht. Anschließend soll der Angeklagte mit mindestens zwei Mittätern aus der Gruppe zwei 19 und 20 Jahre alte oberhalb der Kleidung an deren Brüsten, am Schritt und am Gesäß berührt haben.
25 Euro pro Tag in Untersuchungshaft
Eine 21-Jährige hatte in dem Prozess unter anderem erzählt, wie sie in dem Gedränge vor einer Diskothek von zehn bis 15 Männern eingekreist worden sei. Diese hätten den Ring immer enger gezogen. Einer der Männer habe sie von hinten begrapscht, während ein anderer ihr das Handy aus der Hand gerissen habe. „Die haben alle gelacht“, sagte die Zeugin. Es sei wie abgesprochen gewesen: Während die Gruppe sie umringte, habe sie ein Mann intensiv bedrängt. „Die anderen haben dafür gesorgt, dass er da rankam, wo er rankommen wollte.“
Behzad S. hatte zwar gesagt, er sei in jener Nacht auf der Reeperbahn gewesen, aber deutlich vom eigentlichen Tatort entfernt – und unschuldig.
Auch nach Überzeugung des Oberstaatsanwalts ist dem Angeklagten nicht nachzuweisen, dass er die Taten beging. Zwei der Opfer hätten ihn gar nicht wiedererkannt, und auch die Aussage der dritten betroffenen Frau reiche nicht aus, um den Iraner eindeutig zu belasten, so der Ankläger. Es sei möglich, dass sie lediglich die Schlussfolgerung gezogen habe, dass er wohl der Täter sei. In jener Nacht von einem Partyfotografen angefertigte Fotos seien ebenfalls nicht beweiskräftig genug für eine Verurteilung. Für die erlittene Untersuchungshaft sei der 34-Jährige zu entschädigen, sagt der Staatsanwalt. Für jeden der mehr als 70 Tage stehen dem Angeklagten laut Gesetz 25 Euro zu.
Verteidiger erhebt Vorwürfe gegen Polizei und Justiz
Sein Mandant hätte erst gar nicht vor Gericht landen dürfen, argumentiert der Verteidiger in einem fast zweistündigen Plädoyer und übt massive Kritik unter anderem an der Art, wie in dem Fall ermittelt worden sei. Die Polizei habe „Indizien so zusammengetragen, dass sie ins Bild passen“, sagt Anwalt Shahryar Ebrahim-Nesbat. So sei bei den Fotos von jener Nacht, die den Zeuginnen vorgelegt wurden, „suggestiv Einfluss genommen“ worden. Bei Übersichtsaufnahmen sei eindeutig, dass alle auf dem Kiez „eng an eng“ gestanden hätten. „Wie will man da eine Gruppe ausmachen?“ Einige der Beamten seien „Jäger, keine Zweifler“. Auch das Oberlandesgericht, das bei dem Angeklagten einen dringenden Tatverdacht gesehen habe, kritisiert Verteidiger Ebrahm-Nesbat.
Schließlich hatten die Vorwürfe für den Angeklagten auch ohne Verurteilung Folgen: Seine Frau hat Behzad S. verlassen. Und seine Kinder, erzählt er, leben seither in Angst. „Papa“ fragen sie ihn demnach, „musst du schon wieder zum Gericht?“ Er frage sich, „was ich bloß verbrochen habe“. Er habe einst bei seiner Flucht aus seinem Geburtsland viel investiert, „um ein Leben in Freiheit zu leben. Und das ist dabei herausgekommen.“